Das nächste Missverständnis

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Ein Dilemma: Aufgrund der beschleunigten Produktion päpstlicher Äußerungen wird es schwierig, festzustellen, welches Gewicht welcher Aussage zukommt.

Benedikt XVI. mutet seinem Sprecher derzeit einiges zu. Seit sein Gesprächsband "Licht der Welt" die Schlagzeilen bestimmt, kostet es Federico Lombardi einige Mühe, seinen Chef zu dolmetschen. Es scheint zur Regel zu werden, dass der Papst Übersetzungsprobleme bereitet. Egal was er sagt, es ergibt sich Nachbesserungsbedarf.

Ein ironisches Lehrstück - zum einen in Sachen Aufklärung, an der dem Heiligen Vater in seinem Kampf gegen den Relativismus so viel liegt; zum anderen aber im Blick auf das relativistische Drehmoment in der Sprachpolitik des Papstes, das seinen intellektuellen Feldzug in Gang setzt.

Die Sprachpolitik des Papstes

Dieser formale relativistische Zug hängt mit seiner Kommunikationsregie zusammen. Eine Aufgabe des Pontifex maximus besteht darin, das Evangelium in der Welt von heute zur Geltung zu bringen. Benedikt XVI. liebt klare Ansagen mit ethisch-religiösem Nennwert. Wo ein Kommentar aber den nächsten nach sich zieht, um das Erklärte zu erklären, relativieren sich die päpstlichen Aussagen im exegetischen Dickicht - und werden irgendwann gleichgültig hingenommen.

Dabei muss erschrecken, dass über die Debatten um die Regensburger Rede und die Neufassung der Karfreitagsfürbitte, um die Bischöfe der Pius-Bruderschaft und den Missbrauchsskandal hinaus auch jene Entscheidungen Unverständnis hervorrufen, die geeignet sind, der katholischen Kirche neue Handlungsspielräume zu erschließen. So löste der Verzicht auf den Titel des "Patriarchen des Abendlandes" zunächst Irritationen aus. Zwar wussten die Kenner der Theologie Joseph Ratzingers, dass er damit die Konsequenz einer eigenen Forderung zog. Aber in der Öffentlichkeit blieb lange Zeit unklar, dass damit die aus Sicht des Papstes unangemessene Vermengung des Lehrprimates mit kirchenrechtlichen Titeln symbolisch korrigiert werden sollte.

Die Wucht der Verlautbarungen

Das intime Wissen und die öffentliche Kommunikation sind freilich zwei Paar Schuhe. Wer den Weltmarkt der Meinungen beschickt, setzt sich dem Missverständnis aus, kann aber auch Zeichen setzen. Johannes Paul II. wusste um deren politische Bedeutung - und veröffentlichte ein Dokument nach dem anderen. Seitdem kann man eine dramatische Ausweitung lehramtlichen Sprechens beobachten, und zwar hinsichtlich der Anzahl der Texte wie ihrer Reichweite.

Immer mehr Grundsatztexte und Anweisungen griffen in das kirchliche Leben ein - mit zunehmend kritischerem Blick auf die Gegenwartskultur. Auf diese Weise geriet das päpstliche Lehramt in die doppelte Gefahr, den Eigensinn der säkularen Gesellschaften wie die Autorität des Volkes Gottes zu beschneiden. Beides besitzt die Kraft eines notwendigen Korrektivs, das sich in religiös emanzipierten Lebens- und Wissensformen einerseits, im Glaubenssinn aller Getauften andererseits verkörpert.

Mit der Wucht seiner Verlautbarungen gibt der Papst seiner Kirche einen Resonanzraum für ihre Positionen. Aber aufgrund der beschleunigten Textproduktion kann man nicht mehr alles zur Kenntnis nehmen; und es ist nicht ohne Weiteres festzustellen, welcher Aussage des ordentlichen Lehramtes welches Gewicht zukommt. Das spitzt sich in dem Moment zu, in dem der Papst Unklarheit über seine Kommunikationsformen erzeugt. Gerade unter dem derzeitigen Papst wurde die Bestimmung der Textsorten prekär.

Was soll man von dem Doppelnamen - Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. - halten, mit dem er sein Jesus-Buch unterzeichnet? Wer spricht hier? Auch wenn der Theologe Ratzinger im Vorwort bewusst die eigene Perspektive zur Geltung bringt, verschwimmen doch die Übergänge in der Wahrnehmung des Publikums. Das ist eine Tatsache der öffentlichen Rezeption.

Das gleiche Problem gilt für den neuen Gesprächsband. Wenn der Papst mit dem Gewicht seiner Stimme den kirchlichen Umgang mit Kondomen neu bewertet, tritt er als öffentlicher Akteur auf. Welchen kirchlichen Geltungsgrad besitzt aber seine Äußerung? Sie dürfte fortan von Gegnern und Befürwortern als lehramtliche Leseanweisung begriffen werden. Und wer entscheidet darüber, ob der Hinweis Benedikts auf "begründete Einzelfälle" bei der Verwendung von Kondomen Teil der Tradition oder Aspekt ihrer Durchbrechung ist? Die Macht des Faktischen in ihrem eigenen Relativismus?

Was gilt nun in der Kondom-Frage?

Die Ausdehnung der päpstlichen Sprechformen passt zwar ins unaufhörliche Produzieren von Texten, die das Internet zum Bestimmungsraum der Zeit macht. Aber mit den Übergängen der Textsorten verschwimmen auch die Grenzen von lehramtlichen Sätzen mit ihrem Geltungsanspruch. Sie verschieben sich wie die zwischen dem Papst als theologischer Privatperson und seinem kirchlichen Regiment auf der einen Seite sowie zwischen theologischer Idee und politischer Wirkung auf der anderen. Nicht zuletzt deshalb fühlt Benedikt XVI. sich immer wieder missverstanden. Seit Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde, häufen sich die Anlässe, die Erklärungen zu Erklärungen verlangen.

Das päpstliche Sprechen hebt sich in der Revolte gegen die "Diktatur des Relativismus" selbst auf - und das stellt nicht nur seinen Pressesprecher vor Probleme.

* Der Autor ist Fundamentaltheologe an der Universität Salzburg

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