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Identitäre & Co: Das neue Heidentum

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Auch wenn sie das "christliche Abendland" allzu gerne im Mund führen: Neurechte Bewegungungen diffamieren den jüdisch-christlichen Monotheismus als totalitär.

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Auch wenn sie das "christliche Abendland" allzu gerne im Mund führen: Neurechte Bewegungungen diffamieren den jüdisch-christlichen Monotheismus als totalitär.

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Ein frohes Julfest und besinnliche Tage. Das Alte muß sterben, das Neue erwachen, so ist die Ordnung, so wollen wir' s machen." So lautet eines der Kommentare zum Weihnachtswunsch, den die "Identitäre Bewegung Österreich" auf ihrer Facebookseite am 24. Dezember 2015 gepostet hat. Das Alte steht wohl für das Christentum, das kulturell abgedankt zu haben scheint, weil es keine sinnstiftende Identität mehr schenkt. Wofür steht aber das Neue, das da bereits erwacht? Kein anderes Problem werde die Menschheit im 21. Jahrhundert so beschäftigen, wie das Problem der Identität, verkünden vollmündig die Identitären. Damit "unser Erbe in die Zukunft" weitergetragen werde, brauche es eines militanten Engagements.

Nur so werde Österreich das Land der Österreicher, Europa das Land der Europäer bleiben. Um den "großen Austausch" zu stoppen, brauche es "Politik aus der Liebe zum Eigenen". Denn: im "Verschwinden der Österreicher durch die geringe Geburtenrate und ihre Ersetzung im Zuge der Masseneinwanderung" liege die größte Gefahr.

Rechtspopulistisch bis rechtstextrem

Kurz nach Jahrtausendwende in Frankreich entstanden, entwickelt sich die Identitäre Bewegung in Form von lose miteinander verbundenen rechtsextremen, völkischen und rechtspopulistischen Gruppen. Seit etwa 2012 verbreitet sie sich auch im deutschen Sprachraum, wobei die Beobachter von einer besonders starken Szene in Österreich sprechen. Was verbindet sie untereinander? Über die bei Demos und Störaktionen getragenen Lambda-Symbole und schwarzgelbe Farben hinaus?

Gemäß einem ihrer Theoretiker ist es ihr Engagement für den Erhalt der "ethnokulturellen Identität, das Intellektuelle, Medien, Verlage, Bürgerbewegungen, Projekte, Gesinnungsgemeinschaften, Demonstrationsbündnisse" zusammenführt. Man findet dort "Praktiker und Theoretiker, kluge Köpfe und Spinner, Apparatschiks und Religionsstifter, Einzelgänger und Weltverbesserer, Liberale, Libertäre, Christlich-Soziale und Christdemokraten, Konservative jeder denkbaren Schattierung, Nationale und Nationalisten aller möglichen Facetten". Widersprüchlich scheint zuerst ihre religiöse Identität zu sein.

Marc Jongen, ehemaliger Assistent von Peter Sloterdijk, der in Karlsruhe als Privatdozent Philosophie lehrt und als Programmkoordinator der AfD in Baden-Württemberg arbeitet, bringt die Widersprüche auf die Formel: "An unserer christlich-humanistischen Orientierung in Fragen der Moral ist natürlich unbedingt festzuhalten. Was ich aber in der Tat für schädlich halte, ist der Primat der Moral über die Politik, vor allem über das Recht. Wenn man in den Maschinenraum der Kultur schaut und sich fragt, welche Funktionen Moral erfüllt und welche Dysfunktionen sie ganz konkret bewirkt, dann zeigt sich: wir müssen, um als europäische Staaten und Völker zu überleben, deutlich nüchterner, realistischer und auch wehrhafter werden, mit einem Wort: erwachsener."

In der Tat verschreiben sich die Identitären immer mehr dem Geschäft der Rettung des "christlichen Abendlandes", haben aber im Grunde kein Problem damit, im selben Atemzug den Prozess des Sterbens christlicher Kirchen gutzuheißen, "Julfeste" statt Weihnachten zu feiern und in Friedrich Nietzsche den wohl wichtigsten Vordenker der Zukunft zu sehen. In vielen Punkten unterscheiden sie sich damit wohl kaum von jenen Durchschnittszeitgenossen, die von den Kirchen und christlicher Tradition entfremdet, die Sinnleere -gerade an den traditionellen Hochfesten - durch übermäßigen Konsum und alle möglichen esoterisch anmutenden Events füllen, sich jedoch entsetzt zeigen, wenn sie den Begriff "christliches Abendland" hören. Kann der kulturpolitische und religiös-spirituelle Wirrwarr entwirrt werden? Und dies nicht bloß mit Hilfe moralisierender Appelle, sondern auch auf argumentative Art und Weise?

Rechtes und linkes Lob für "Polytheismus"

Die Formel Dysfunktionen der Moral und der Begriff Ethnopluralismus weisen darauf hin, dass die Bewegung eine Neuauflage jener Nouvelle Droite ist, die sich von Frankreich aus über Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als "moderne" Variante des Rechtsextremismus ausbreitete und die als ihr ausdrückliches Ziel die Restauration der "heidnischen Identität Europas" verfolgte. Was die Diskussion über die damalige Neue Rechte übersah, war das Ausmaß gerade dieser religiösen Herausforderung. Der Vordenker der Bewegung, Alain de Benoist, nützte gezielt die kulturelle Stimmung der Abneigung der 1968er gegen alle Formen des Totalitarismus, diffamierte den jüdisch-christlichen Monotheismus und die biblisch-prophetische Kritik als totalitär, pries die heidnische Logik als den Inbegriff der Pluralität und schuf damit zuerst breite Allianz in der Zivilgesellschaft.

Selber weit von rechtspopulistischen Lagern entfernt, sprach damals der kritische Philosoph Odo Marquard dieselbe Sprache: "Polytheismus ist bekömmlich, Monotheismus aber unverdaulich!" Unzählige Zeitgenossen haben diese Logik als menschenfreundlich verinnerlicht. Sie verdrängten nur eines: dass sie auf der Linie der Infragestellung eines, allen Menschen gemeinsamen Wertehorizontes liegt. Heute sind sie über die Folgen des kulturellen Wandels im Kontext rechtspopulistischer Herausforderung schockiert. Mit Erstaunen nimmt nun die Gegenwart wahr, in welchem Zusammenhang die damaligen Neuen Rechten den Vorwurf des Totalitarismus gegenüber der biblischen Tradition erhoben haben.

Die normative Ausrichtung des Lebens auf die allen Menschen gleich zukommende Würde war es! Sie sei neben der prophetischen Unterordnung der Politik unter Moral bloß das Überbleibsel des "religiösen Aberglaubens" an die gleiche Würde aller Menschen vor Gott. Schuld am Niedergang Europas sei also der biblische Schöpfungsglaube, der die Vision der einen Menschheit generierte; gekoppelt an die entsprechende Philosophie förderte er eine Welt, in der die Menschen die gleiche Würde vor dem Gesetz beanspruchen und denselben Traum von sozialer Gleichheit träumen. Damit "tauften" die Neuen Rechten nicht nur den Liberalismus als spätes Kind des jüdisch-christlichen Menschenbildes. Kein Wunder, dass sie nun im Kontext der Antiglobalisierungsdebatten problemlos den Liberalismus als das Übel qualifizieren können. Sie wiesen vor allem daraufhin, dass das Konzept der allen Menschen gemeinsamen Menschenwürde in der jüdisch-christlichen Offenbarung wurzelt, deswegen auch Menschenwürde und Menschenrechte in einem unauflösbaren, inneren Zusammenhang stehen.

Der Neuen Rechten auf den Leim gegangen

Die Diffamierung des Monotheismus als totalitär stellte demnach nichts anderes dar als den kulturell vermutlich wirksamsten Akt der Diffamierung der Logik der universal geltenden Menschenrechte. Diesem "religiösen Gift der Gleichheit" stellten sie die pluralistisch-heidnische Weltkonstruktion mit dem Begriff: Ethnopluralismus/Pluralismus der Völker entgegen. Deswegen können sie heute das "christliche Abendland" in Europa und die "islamische Welt" woanders problemlos zusammendenken. Und sich so ihrer ethnokulturell verankerten Identität vergewissern.

Und wie sieht die Gegenstrategie aus? Solange wir nicht erkennen, dass mit der kulturellen Diffamierung des biblischen Monotheismus als totalitär die sich liberal gebende Welt der Neuen Rechten auf den Leim gegangen ist und wir in diesem Zusammenhang auch nicht umdenken, werden wir angesichts der realpolitischen Herausforderungen den Kürzeren ziehen. Das bloße Gesundbeten des Pluralismus wird nämlich das fehlende Vakuum eines die universale Menschenwürde anzeigenden Wertehorizontes nicht ersetzen.

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Kath.Theol. Fakultät der Uni Innsbruck

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