Das Opernhaus des Jahres steht in Stuttgart

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Zum zweitenmal hintereinander ist die Staatsoper Stuttgart zum "Opernhaus des Jahres" gewählt und mit weiteren Ehrungen überhäuft worden.

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Zum zweitenmal hintereinander ist die Staatsoper Stuttgart zum "Opernhaus des Jahres" gewählt und mit weiteren Ehrungen überhäuft worden.

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Anlaß für den jüngsten deutschen Opernskandal war ein nicht erwischtes hohes C. Nach der "Troubadour"-Premiere wagte es der Tenor Vladimir Kouzmenko kein zweites Mal, sich dem wild buhenden Publikum der Frankfurter Oper zu stellen. Am nächsten Morgen wurde der ukrainische Sänger gefeuert - er sei der Partie des Manrico nicht gewachsen, hieß es. Prompt reagierte die Staatsoper Stuttgart, wo Kouzmenko einen Fünfjahres-Vertrag hat, und warf den Frankfurtern vor, "in schamloser Weise" einen Sündenbock für den Mißerfolg der Inszenierung zu suchen. Die Replik kam postwendend: Die Stuttgarter Oper geriere sich als "Oberlehrer der deutschen Opernszene" und deren oberste moralische Instanz.

Das Opernhaus der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart ist in der Tat nicht irgendeine Oper: Zum zweiten Mal hintereinander ist es ihr gelungen, von den Kritikern der renommierten Zeitschrift "Opernwelt" zum Opernhaus des Jahres (im deutschen Sprachraum) gewählt zu werden. Während 1998 mit der "Entführung aus dem Serail" von Regisseur Hans Neuenfels auch die Aufführung des Jahres an Stuttgart ging, verfehlte sie mit dem "Rheingold" des neuen Stuttgarter Rings dieses Ziel nur knapp. Dafür räumte die Stuttgarter Oper weitere Preise ab: Die jugendlich-dramatische Sopranistin Angela Denoke wurde zur Sängerin des Jahres, Generalmusikdirektor Lothar Zagrosek zum Dirigenten des Jahres und der Stuttgarter Opernchor zum besten seiner Art gewählt. Angela Denoke gibt übrigens am 22., am 26. und am 30. März in der Wiener Staatsoper die Elisabeth in Richard Wagners "Tannhäuser".

Publikumszuspruch Zwar handelt es sich bei den Prämierungen um eine Entscheidung von Musikkritikern und nicht etwa des Publikums, dennoch beträgt die Platzausnutzung am Stuttgarter Haus 90 Prozent. Fakt ist, daß in Stuttgart auch kontroversielle Regien und zeitgenössische Opern (wie Luigi Nonos "Intolleranza" und "Al gran sole carico d'amore, für dessen fulminante Realisierung der Chor in erster Linie prämiert wurde) relativ großen Publikumszuspruch erhalten. Des weiteren sind hier eben die Regisseure, die auch schon mal Skandale provoziert haben, die sich aber durch die Qualität ihrer Arbeiten und ihren Hang zu kompetenter und eigenwilliger Interpretation, nicht nur aus heutiger Sicht, hervorgetan haben: Martin Kusei, Joachim Schloemer, Jossi Wieler oder Johannes Schaaf.

Auf die Einstudierung des Ensembles wurde unter der Intendanz von Klaus Zehelein, der seit 1995 im Amt ist, sofort größerer Wert gelegt, indem etwa zwei zusätzliche Korrepititoren eingestellt wurden. Das Repertoire wird musikalisch ebenso gepflegt wie Premieren und Wiederaufnahmen. Mit Co-Intendantin Pamela Rosenberg, die auch einmal als Volksopern-Direktorin im Gespräch war, steht dazu eine Stimmenexpertin zur Verfügung, die junge Sänger und Sängerinnen ans Haus geholt hat, die - wie im Fall von Angela Denoke - nun eine internationale Karriere starten. Bei der Koloratursopranistin Claudia Barainsky handelt es sich um eine weitere Ausnahmesängerin im Ensemble.

Die Linie der Intendanz, Schwierigstes exzellent zu präsentieren, trägt auch in den Zeiten des großen Sparens ihre Früchte. So soll in der nächsten Spielzeit "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" von Lachenmann herausgebracht werden, das ebenso wie die Werke von Nono eine sehr lange Probenzeit benötigt. Man hat aber auch populäre Opern (Mozart, Verdi, Wagner) im Repertoire, wofür bei zirka 18 Stücken pro Spielzeit immerhin 60 bis 70 Prozent der Probenzeit verwendet wird. Ein Schwerpunkt ist auch die ältere Oper, wo Stuttgart mit "Alcina" von Händel und "Incoronazione di Poppea" von Monteverdi zwei Flaggschiffe im Fundus hat.

Anfang dieses Jahres stand die "Fledermaus" von Johann Strauß am Programm. Es war klar, daß man am Opernhaus des Jahres keine leichte Inszenierung der klassischen Operette würde sehen können. Der junge Regisseur Tilmann Knabe hat mit den Sehgewohnheiten im wahrsten Sinn des Wortes aufgeräumt. Um der Grundthese der jederzeit verfügbaren Öffentlichkeit aller Darsteller zu entsprechen, wurde eine Art Bahnhofs- oder Markthalle im Fin de siecle-Stil aufgebaut, mit offenen Schächten und schlecht unter Putz gelegten Stromleitungen.

Überkandidelt An den seitlichen Öffnungen herrscht ein reges Aus und Ein. Die Kostüme hängen der Einfachheit halber direkt in den Türen, denn man spielt mit dem Kostüm, das einen ja immer verkleidet und zwar breiteste Palette der Gründerzeit, phantastisch und überkandidelt, ein Augenrausch. Alle Figuren werden in ihrer selbstinszenierten Verkleidungspose mit Hang zu szenischen Gags herausgestellt. Dazu kommt eine eigenwillig schummerige Choreographie. Die Sänger und der zum Teil aus dem Orchestergraben agierende Chor liefern die entsprechenden ausgezeichneten Leistungen ab.

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