Das Panoptikum des Schreckens

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Albträume gelten heute als Pannen in der emotionalen Verarbeitung. Über die Angst vor der Angst und "Dämonen“, die auf Verwandlung warten.

Im Kino einen Thriller oder Horrorfilm zu verfolgen, zählt durchaus zum Spektrum der beliebten Freizeitaktivitäten. Denn sich in einem dunklen Saal zeitlich begrenzt dem kalkulierten Schrecken auszusetzen, kann ganz schön lustvoll sein. Anders ist das aber, wenn mitten im Schlaf das Kopf-Kino zu laufen beginnt und plötzlich schreckliche Bilder auf die innere Leinwand wirft. Dann ist man völlig eingetaucht in den Horror der Traumwelt: Das Erleben ist so unmittelbar, bar jeder Kontrolle, sodass meist kein Abstand zu Bild und Story herstellbar ist. Bleibt oft nur das jähe Erwachen und die große Erleichterung, dass alles nur ein Traum war.

Bei Albträumen im engeren Sinn führen Gefühle der Bedrohung und des blanken Entsetzens tatsächlich zu einer Unterbrechung des Schlafes. Aber es gibt auch Angst-besetzte Träume, die mit weniger intensiven Gefühlen einhergehen und den Schlafenden nicht zu wecken vermögen. Ein emotionaler Nachgeschmack im Wachzustand bleibt dennoch oft. "Im schlimmsten Fall wird die Angst vor der Angst im Albtraum so groß, dass die Betroffenen dazu tendieren, den Schlaf überhaupt zu vermeiden“, berichtet die Wiener Psychotherapeutin Brigitte Holzinger.

"Alb“ als Nacht- und Lichtgeist

Am häufigsten treten Albträume in der Kindheit auf. Groß angelegte Untersuchungen lassen darauf schließen, dass circa fünf Prozent aller Menschen wöchentlich zumindest einen Albtraum erleben - Frauen doppelt so häufig wie Männer. Die Ursachen sind vielfältig: Angst, Stress, Krisen, traumatisierende Erlebnisse oder Persönlichkeitsstörungen, aber auch organische Krankheiten können zu vermehrtem Auftreten solcher Träume führen. Gemäß einer aktuellen finnischen Studie leiden insbesondere Menschen mit Schlafstörungen oder Depressionen (sowie anderen Gemütserkrankungen) relativ häufig an Albträumen.

Dass die Schreckensträume oft seelische Botschaften von uns an uns selbst sind, ist Holzinger überzeugt. "Allein durch bewusste Zuwendung zum Traumgeschehen können Selbstheilungsmechanismen in Gang gesetzt werden. Hierzu empfiehlt es sich, ein Schlaf- und Traumtagebuch zu führen“, so die Psychotherapeutin. Erkenntnisse der Gehirnforschung zeigen, dass der Schlaf eigentlich dabei helfen soll, emotionale Reize zu verarbeiten. So ist die Konzentration von Stresshormonen wie Adrenalin im traumreichen REM-Schlaf gegenüber dem Wachzustand generell gesenkt - es herrscht ein stressarmes inneres Milieu, in dem man besser mit Auslösern des Schreckens umgehen kann. Aus einem Albtraum zu erwachen wäre so gesehen eine Panne im Prozess der emotionalen Verarbeitung, schreibt Wissenschaftsautor Stefan Klein. Dass sich die "Dämonen der Nacht“ verwandeln lassen, verdeutlicht auch die deutsche Sprachgeschichte: Denn dort erscheint der "Alb“ nicht nur als feindlicher Nachtgeist, sondern auch als wohlwollender Lichtgeist.

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