"Das Potenzial der Mediation wird noch nicht ausgeschöpft"

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Psychotherapeutin Eva Mückstein über moderne Konfliktregelung und die letzte Bedingung als Extremfall zwischenmenschlicher Beziehungen.

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Psychotherapeutin Eva Mückstein über moderne Konfliktregelung und die letzte Bedingung als Extremfall zwischenmenschlicher Beziehungen.

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Wenn eine ultimative Bedingung gestellt wird, handelt es sich psychologisch ausgedrückt bereits um eine hohe "Eskalationsstufe". Die FURCHE sprach mit Eva Mückstein über Ultimaten aus Sicht der Erziehungsberatung und Paartherapie.

DIE FURCHE: Worum geht es beim Ultimatum aus psychologischer Sicht?

Eva Mückstein: Es handelt sich um eine Drohgebärde, einen Unterwerfungsversuch, der mit einem "Gesichtsangriff" verbunden ist - es geht um den Gesichtsverlust des anderen. Jemand, der sich in der mächtigeren Position wähnt, will dem anderen ein bestimmtes Verhalten aufzwingen. Das ist eine Art der Machtausübung, verbunden mit dem Abbruch einer wertschätzenden Kommunikation. Ein Ultimatum kann auch einen partiellen Identitätsverlust einfordern, weil damit mitunter vom anderen verlangt wird, Kernbereiche seines Seins einfach aufzugeben. Derjenige, der droht, legt sich mit einem Ultimatum selbst wiederum so weit fest, dass ein Zurückziehen ebenfalls mit einem Gesichtsverlust verbunden wäre. Das macht die Radikalität und Härte des Konflikts aus.

DIE FURCHE: Welche Gefühle brauen sich da zusammen?

Mückstein: Diese Konfliktstrategie geht mit aggressiven Gefühlen, manchmal auch mit Rachegefühlen einher. Auf der Gegenseite entstehen Widerstände; unfreiwillige Unterwerfung verursacht Ohnmachtsgefühle, emotionale Verletzung und damit latente Gegenaggressionen. Auf kognitiver Ebene kommt es zur Aufspaltung des Selbst-und Fremdbilds in nur "gut" und "böse"; ein "Engel"- und-"Dämon"-Szenario wird bedient. Zugleich wird der Konfliktgegenstand ideologisiert: Derjenige, der droht, schafft sich mächtige Gedankenkon strukte zur Rechtfertigung. Die Geschichte zeigt uns, dass diese Dynamik auf politischer Ebene sehr gefährlich werden kann.

DIE FURCHE: Ist das Machtverhältnis in Partnerschaftskonflikten denn immer so eindeutig?

Mückstein: Drohungen sind hier nicht immer als "Kriegserklärungen" zu verstehen, sondern können auch einen Appellcharakter haben und Ausdruck von Verzweiflung sein. Ein Beispiel: "Wenn du die Drogen nicht lässt oder wenn du deine Liebschaften nicht aufgibst, dann verlasse ich dich." In diesen Fällen erfolgt das Ultimatum nicht aus einer vermeintlichen Machtposition, sondern aus Schwäche heraus. Hinter der ultimativen Drohung verstecken sich dann Ohnmachtsund Hilflosigkeitsgefühle.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie Ultimaten in der Erziehung?

Mückstein: Wenn Eltern ihre Kinder mit Ultimaten erziehen, handelt es sich meist um eine zu rigide Erziehungshaltung. In der modernen Psychologie geht man davon aus, dass Kinder auch in Konf liktsituationen ähnliche Rechte wie die Erwachsenen haben sollen. Das Kind wird in die Diskussion miteinbezogen. Eltern versuchen, ihren Kindern verständlich zu machen, warum sie etwas wollen oder nicht. Sie reagieren auf das Kind mit ihrer Erfahrung und Erziehungsverantwortung, lassen aber auch die Meinung des Kindes gelten. Wenn Kinder schon sehr früh lernen, eigene Meinungen zu reflektieren und Kompromisse zu erarbeiten, wird das ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihre Konfliktkompetenz stärken.

DIE FURCHE: Welche Alternativen gibt es zum Ultimatum?

Mückstein: Methoden der gewaltfreien Kommunikation, Mediation und andere moderne Formen der Konfliktregelung bieten die Möglichkeit zur guten Konfliktregelung. Generell sollte der Spielraum für Kompromissbildung vergrößert werden, vertrauensstärkende Momente sind hier wesentlich. Ultimaten hingegen führen zu einem Vertrauensverlust. Die Chance auf einen guten Kompromiss steigt durch wertschätzendes und authentisches Verhalten.

DIE FURCHE: In der Logik des Ultimatums gibt es keine Zwischenbereiche, keine Dialektik. Haben Sie den Eindruck, dass die Mentalität des "Alles oder Nichts" in unserer Kultur auf dem Vormarsch ist?

Mückstein: Im psychosozialen Bereich erlebe ich eher das Gegenteil: Tendenziell nimmt der Anspruch auf eine gute Lösung, die ein akzeptables Ende für alle Beteiligten bedeutet, zu. Wenn es schwerwiegende Konflikte gibt, wird heute öfter an professionelle Hilfe gedacht, sei es in Partnerschaftskonflikten, in Unternehmen oder zum Beispiel auch in der Schule, bei Konflikten in Klassengemeinschaften. Auch bei rechtlichen Auseinandersetzungen zeigt sich die Tendenz, vermehrt Schlichtungen und Mediationsprozesse anzunehmen. Das sind durchaus erfreuliche Entwicklungen.

DIE FURCHE: Ist die Mediation in Österreich schon ausreichend verankert?

Mückstein: Wir haben schon gute gesetzliche Rahmenbedingungen, aber in der Praxis wird das Potenzial der Mediation bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Vor Gerichtsstreitigkeiten etwa wäre es immer sinnvoll, eine Phase der Mediation zu durchlaufen. In den nordeuropäischen Ländern ist Mediation bereits stärker verwurzelt als in Österreich. Im norwegischen Familienrecht etwa ist Mediation vor einer Scheidung verpflichtend. Eltern müssen sich darüber einigen, wie sie mit ihren Kindern und ihrem Vermögen umgehen wollen; erst dann kann man die Scheidung einreichen. Das finde ich sinnvoll, da man Menschen prinzipiell zutrauen sollte, die besten Lösungen für ihre Probleme zu finden.

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