Olga Tokarczuk - © Foto: APA / AFP / Sascha Schuermann

Das Publikum schlägt zurück, trifft aber die Falsche

19451960198020002020

Wie die Reaktionen auf Peter Handke und Olga Tokarczuk zusammenhängen. Eine persönliche Einordnung.

19451960198020002020

Wie die Reaktionen auf Peter Handke und Olga Tokarczuk zusammenhängen. Eine persönliche Einordnung.

Werbung
Werbung
Werbung

Hach, was waren das noch für Zeiten, als man noch alleine dadurch einen Skandal erzeugen konnte, dass man sich auf eine Bühne stellte und sein Publikum mit Schmähungen überzog. Dieses Kabinettstückchen gelang Peter Handke 1966 im Frankfurter TAT mit „Publikumsbeschimpfung“, heutzutage muss man für einen solchen Effekt schon als Massenmordbefürworter gelten und idealerweise einen Nobelpreis bekommen haben. Diese höheren Anforderungen haben natürlich auch ein bisschen mit dem bekannten Marcel-Duchamp-Effekt zu tun: Das 112. Pissoir im Museum ist eben nur ein Pissoir.

Das Publikum ist nun also abgehärtet. Peter Handke als im Rampenlicht stehende Einzelperson erscheint dagegen, rein systemisch betrachtet, wesentlich verletzlicher, und so kann das Publikum entspannt zurückschimpfen. Handkes „Publikumsbeschimpfung“ hält ein breites Spektrum an Beleidigungen bereit, und ebenso werden Handke verschiedenste Dinge vorgeworfen. Erschreckenderweise zählt dabei bisweilen sogar die Verurteilung (als solche!) der Bombardierung Serbiens schon als Untat.

Einmal saß ich mit einem bosnisch-serbischen Autor, der sicherlich alles andere als ein Sympathisant von Slobodan Milošević bzw. Radovan Karadžić ist, beim Abendessen. Nach einiger Zeit traute er sich, etwas anzusprechen, das ihn offensichtlich sehr bedrückte und empörte: Herta Müller sei einmal auf der Belgrader Buchmesse zu Gast gewesen und habe die Menschen dort darüber belehrt, dass Belgrad zu Recht bombardiert worden sei. Er saß da und schüttelte den Kopf.

Diskursive Funktion?

Vielleicht hat jene Figur, die einsam im Rampenlicht steht und Beschimpfungen seitens des Publikums ausgesetzt ist, eine wichtige diskursive Funktion. Immerhin sind anlässlich der diesjährigen Preisentscheidung nun viele Menschen verschiedener Meinung, die doch sonst einträchtig auf einer Seite der kommunikativen Barrikaden stehen, und vielleicht kann dies etwas zur immer noch sehr mangelhaften Aufarbeitung der 90er Jahre auf dem Balkan beitragen. Eine weitere Gelegenheit ergibt sich in der nun geführten Diskussion speziell für meine Generation: stärker in den Blick zu bekommen, was das Werk von Peter Handke unserer Elterngeneration bedeutet haben mag. So war zum Beispiel das legendäre „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ nicht einfach gute Literatur, sondern eine Sensation, die einen vorher nie dagewesenen Ton anstimmte und die Entdeckung einer ebensolchen Art und Weise zu beschreiben markierte.

Handke hat mit Beschimpfungen seitens des Publikums jahrelange Erfahrung und wird diese neue Welle wohl verkraften können. Leid tun kann einem in dieser Situation vielmehr die polnische Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. „Das Patriarchat“ kann sich die Hände reiben: Es wird einerseits als nun doch nicht gar so mächtig gezeigt, da die polnische Feministin Tokarczuk ausgezeichnet werden konnte, und andererseits bekommt sie längst nicht die Aufmerksamkeit, die eine frischgekürte Literaturnobelpreisträgerin für gewöhnlich bekommt. Zahlreiche erklärte Bekämpfer „reaktionärer Strukturen im Literaturbetrieb“ werden aufmerksamkeitsökonomisch zu Komplizen eben dieser, indem sie Tokarczuks Auszeichnung nur kurz lobend erwähnen und sich dann weiter mit dem Skandalon, das sie in der Auszeichnung Handkes sehen, beschäftigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung