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Der Beginn von 30 Jahren sanfter Stadterneuerung in Berlin war ein gänzlich unsanfter: Im Sommer 1981 herrschte im Westen der geteilten Stadt quasi der Ausnahmezustand.

Anfang der 1980er-Jahre standen in West-Berlin 27.000 Wohnungen leer, während 80.000 Menschen auf Wohnungssuche waren. Die Wohnbauwirtschaft und die Wohnbaupolitik steckten in einem Sumpf aus Korruption und Spekulation fest, der den immensen Altbaubestand dem Verfall preisgab. Von wenigen Gunstlagen abgesehen hatte die gründerzeitliche Bausubstanz viele Jahrzehnte lang und zwei Weltkriege hindurch keinerlei Modernisierung erfahren und galt im öffentlichen Bewusstsein als hoffnungslos überaltert. So hielt man es in Fachkreisen für bautechnisch undurchführbar, die Toiletten von den Stiegenhäusern in die Wohnungen zu verlegen. Und an den Berliner Architekturfakultäten herrschte lange Zeit die Lehrmeinung, dass die Fundamente der Jahrhundertwende der Mehrbelastung nicht standhalten würden, wenn man die Wände der Bäder nun auch noch mit Fliesen ausstattete.

Mafiaähnliche Methoden der "Sanierer“

Das erste Berliner "Stadterneuerungsprogramm“ sah noch den Abriss von 43.000 Wohnungen vor - um der Wohnbauindustrie den am Stadtrand praktizierten Massenwohnbau auch in den innerstädtischen Bezirken zu ermöglichen. Dazu kauften Wohnbauunternehmen als "Sanierungsträger“ im Auftrag des Landes Berlin ganze Quartiere auf und forcierten den Niedergang der Altbauten mit teils mafiaähnlichen Methoden: Es wurden Dächer abgedeckt und Stiegenhausfenster herausgerissen, sodass es in die Gebäude hineinregnete und -schneite - ja sogar Männer bezahlt, damit sie immer wieder in die Häuser gingen und in die Flure pinkelten. So gelang es, immer mehr Bewohner zum Auszug zu drängen - mit dem Ziel, die Mietskasernen flächenhaft abreißen zu können. Doch wuchs auch der Protest gegen die vorsätzliche Stadtverwüstung, der 1979 zur Besetzung von über 80 "entmieteten“ Häusern allein in Berlin-Kreuzberg gipfelte. In diesem Viertel kam hinzu, dass Dutzende Baublöcke einem verkehrsplanerisch völlig sinnlosen Autobahnprojekt weichen sollten, auf dessen geplanter Trasse weit über 100 Häuser jahrelang leer und zum Abbruch bereit standen.

Die Hausbesetzungen waren keine reinen Protestaktionen - die Aktivisten selbst prägten den Begriff der "Instandbesetzung“. Mit der Praxis, Wohnungen zu besetzen und unmittelbar mit Instandsetzungsarbeiten zu beginnen, eigneten sie sich nicht nur dringend benötigten Wohnraum an, sondern führten öffentlichkeitswirksam vor Augen, dass hier brauch- und leistbarer Wohn- und Lebensraum für viele zur Bereicherung einiger weniger vernichtet werden sollte. Zunächst reagierte die Stadtregierung mit massiven Repressionen und ließ am Höhepunkt des Konflikts 1981 stadtweit 60 besetzte Häuser räumen. Als das Autobahnprojekt wenig später aber fallen gelassen wurde, gingen die Stadtväter zu Verhandlungen mit den Besetzern über, um den sozialen Frieden in der Stadt zu retten. Bis 1984 wurden in ganz Berlin über 100 Häuser durch Miet- oder Kaufverträge den Besetzern überantwortet. Da war die 1979 ins Leben gerufene Internationale Bauausstellung (IBA) bereits im Gange, die zu Beginn aber noch ganz andere Ziele verfolgte, als sie schließlich erreichen sollte. Denn nach den ursprünglichen Vorstellungen des Landes Berlin hätten im Rahmen der IBA im Schwerpunktgebiet Kreuzberg 1500 Wohnungen saniert, aber auch 1500 Wohnungen abgerissen und neu gebaut werden sollen.

Instandsetzung unter Einbindung der Mieter

Inzwischen war der Politik allerdings klar geworden, dass solche gravierenden Veränderungen nicht mehr gegen den Willen der Bevölkerung möglich sind. So wurde der an sich auf Neubau ausgerichteten IBA die sogenannte "IBA Alt“ zur Seite gestellt - und der heute 89-jährige Architekt Hardt-Waltherr Hämer, der in Deutschland als Vater der behutsamen Stadterneuerung gilt, mit deren Leitung betraut. "Als erstes war notwendig, das Vertrauen der Bewohner zu gewinnen, für die wir anfangs als Repräsentanten von Politik und Bauwirtschaft galten“, erinnert sich der Stadterneuerungspionier. "Dies gelang nur, indem wir Architekten selbst mit Hand anlegten, um die devastierten Häuser mit Plastikplanen und Holzlatten notdürftig winterfest zu machen.“ Danach begannen Hämer und seine Mitarbeiter in Tausenden von Mieterversammlungen Haus für Haus die erforderlichen und gleichzeitig leistbaren Sanierungsmaßnahmen auszuloten. Dabei blieben sie oft unter den technischen Standards, die von der Verwaltung vorgegeben wurden, wenn die Mieter nur so die Erneuerung ihrer Wohnungen akzeptieren und mittragen konnten. Durch derartigen Pragmatismus gelang es der IBA, ihren Sanierungsauftrag bis Ende der 1980er-Jahre überzuerfüllen: In zehn Jahren wurden in Kreuzberg rund 10.000 Wohnungen saniert - davon mehr als 700 in Selbsthilfe, es wurden 22 Kindergärten und zehn Schulen geschaffen - oft gegen alle baurechtlichen Vorgaben, zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen realisiert und über 180 Höfe begrünt.

Gerade als die "Baustelle“ Kreuzberg beendet war, taten sich durch den Zusammenbruch der DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands die nächsten Probleme auf, und zwar im Osten der nun nicht mehr geteilten Stadt: Ungeachtet des jedem DDR-Bürger verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf eine Wohnung hatte das Regime 40 Jahre lang weite Teile der "bürgerlichen“ Gründerzeitviertel verfallen lassen. Allein im Bezirk Prenzlauer Berg, dem größten zusammenhängenden Sanierungsgebiet Europas, wartete mit 31.000 erneuerungsbedürftigen Wohnungen das dreifache Volumen der ganzen IBA auf die Berliner Stadterneuerung - und dies war nur eines von insgesamt 18 neuen Sanierungsgebieten. Gleichzeitig stand für die historischen Quartiere angesichts der gewaltigen Aufgaben in den Plattenbaugebieten im Osten bei Weitem nicht mehr so viel öffentliches Geld zur Verfügung. Daher wurde die Renovierung des Althausbestandes in erster Linie durch die Möglichkeit von Steuerabschreibungen unterstützt, was natürlich viel mehr auf potente Hauseigentümer abzielte als auf finanzschwache Altmieter. So ist nach der Sanierung von inzwischen 20.000 Wohnungen am längst zum In-Viertel avancierten "Prenzlberg“ ein Wandel der Bevölkerungsstruktur nicht mehr zu übersehen.

Kreativität bei Co-Finanzierung

Dennoch gilt auch Berlins Stadterneuerung der zweiten Generation als modellhaft - etwa wegen der effektiven Bündelung der spärlichen kommunalen Mittel, um Revitalisierungen von Gewerbebrachen oder Wohnumfeldmaßnahmen zu initiieren. Erstere ließen eine beeindruckende Vielfalt an Kultur- und Freizeitangeboten in historischen Gemäuern entstehen, und letztere erwiesen sich als Auslöser für private Investitionen ebenso wie als Basis einer neuen städtischen Lebensqualität. Weiters erstaunt an der Aufwertung insbesondere des Prenzlauer Bergs, die 2004 mit dem Europäischen Städtebaupreis ausgezeichnet wurde, die Kreativität der Sanierungsträger bei der Suche nach Co-Finanzierung ihrer Projekte aus anderen Budgettöpfen wie diversen europäischen Fonds, dem Bundesbudget, der Arbeitsmarktförderung aber auch privaten Stiftungen und Sponsoren - und nicht zuletzt die Aktivierung des bürgerschaftlichen Engagements für zahlreiche Projekte im öffentlichen Raum, vor allem bei der Realisierung von Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche. Aus der öffentlichen Finanznot ist so eine neue Stadterneuerungskultur entstanden, die künftig noch stärker das Selbsthilfepotenzial der Bevölkerung zur Entfaltung bringen müssen wird.

* Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien

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