Das Reparieren salonfähig machen

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Das Wegwerfen, Kennzeichen heutigen Wirtschaftens, ist eine Ursache der ökologischen Probleme. Eine nachhaltige Wirtschaft wird auch eine reparaturfreundliche sein müssen.

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Das Wegwerfen, Kennzeichen heutigen Wirtschaftens, ist eine Ursache der ökologischen Probleme. Eine nachhaltige Wirtschaft wird auch eine reparaturfreundliche sein müssen.

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Nach dem Krieg, 1945, gab es von allem zu wenig. Es fehlte an Nahrung, Wohnungen, Kleidung. Und dann begann ein unglaublicher Aufstieg. Gewaltige Produktivitätsschübe machten es möglich, den amerikanischen "way of life" nach Europa zu importieren. Wachstum wurde das neue Zauberwort für Wohlstand und Lebensqualität, neu statt alt sowie möglichst rascher und hoher Konsum die neue Bürgertugend.

Diese Wegwerfkultur ist politisch und moralisch nicht mehr vertretbar. Denn die Gesellschaft ist ein Kollektiv, das nur dann viele Generationen überlebt und sich stabil erhält, wenn sie ein System entwickelt, das alle notwendigen Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder zu erfüllen in der Lage ist. Und Kultur ist die Summe der Verhaltensmuster, die in dieser Gesellschaft gelehrt und überliefert werden. In diesem Sinne ist unsere Gesellschaftsform mit ihrer Wegwerfkultur und ihren Verhaltensmustern bald am Ende. Mit dieser Erkenntnis vor Augen müssen wir an einem neuen Gesellschaftssystem arbeiten.

Schon heute lassen sich die Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder auch in den reichen Industrieländern durch den zentralen Motor des bestehenden Systems - Produktivitätssteigerung und Wachstum - nicht mehr befriedigen. Weder steigt die Lebensqualität noch ist der materielle Lebensunterhalt gesichert (Massenarbeitslosigkeit).

Die Umweltzerstörung gefährdet den Lebensstandard. Zum einen muß die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes zunehmend für Kosten zur Schadensbegrenzung aufgewendet werden, zum anderen untergräbt Massenarbeitslosigkeit die Basis von Wohlstand und kollektiver Interesssenvertretung sowie Demokratie. Kapital hält sich nicht an Landesgrenzen.

Wir brauchen daher Visionen für das Leben, die Arbeit und das Wirtschaften in Europa im neuen Jahrtausend. Die Reparaturgesellschaft ist die Antwort: * Reparieren, den Verschleiß verringern und damit die Nutzungsdauer und Lebensdauer von Gütern, Anlagen, Gebäuden und Fahrzeugen erhöhen.

* Die Natur reparieren, dort wo wir sie bereits tiefgreifend geschädigt haben.

* Die Gesellschaftsordnung "reparieren", an der die Menschen zu Grunde zu gehen drohen.

Hinter dem Reparaturgedanken steht auch das Konzept, die gewaltigen Ströme an Waren, Rohstoffen und Energie rund um den Erdball zu verringern und zumindest teilweise durch im Kreislauf geführte Stoffströme in der Region zu ersetzen.

Ziel ist es, eine nachhaltige Entwicklung, wie sie von der UNO 1992 in Rio de Janeiro in der "Agenda 21" festgeschrieben wurde, zu erreichen. Nachhaltigkeit heißt, so zu wirtschaften, daß wir sowohl in ökologischer als auch in sozialer Hinsicht zu einer Entwicklung und einer Form der Bedürfnisbefriedigung kommen, die langfristig tragbar ist und auch die Chancen kommender Generationen wahrt.

Reparaturgesellschaft an Stelle der Wegwerfgesellschaft bedeutet einen kulturellen Wandel von der Verbrauchsgesellschaft hin zur Gebrauchsgesellschaft. Zwei Paradebeispiele für eine falsche Entwicklung sind die Einweg-Wegwerfkamera und der Wegwerfrasierer.

Wenn wir wirtschaften, arbeiten, produzieren, konsumieren, sollten der individuelle und gesellschaftliche Nutzen im Mittelpunkt des Interesses stehen, der sich aus dem Gebrauch ergibt. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Anforderungen der Konsumenten an das Produkt und ihre Bereitschaft, Produkte anders als bisher zu nutzen und zu gebrauchen.

Rücken der möglichst lange Gebrauch, die hohe Lebensdauer und das Reparieren in den Vordergrund, so werden Dienstleistungskonzepte in Richtung Leihen, geteiltes Nutzen, Tauschen, Weitergeben, Weiterverwenden sinnvoll und betriebswirtschaftlich rentabel. Dies setzt allerdings eine höhere Qualität und Lebensdauer von Produkten und Anlagen voraus.

Das Reparieren hat in unserer Gesellschaft allerdings oft den Geruch von altmodisch, ärmlich, teuer und häßlich. Daher ist Voraussetzung für eine kulturelle Wende in Richtung nachhaltiges Wirtschaften ein Wertewandel in den Köpfen. Ich meine, Reparatur bringt eine neue Haltung und eine neue Lebensqualität: * Durch Reparatur und Langlebigkeit wird höhere Qualität erschwinglich und unser Konsumverhalten wird sich eher nach den wirklichen Bedürfnissen richten.

* Reparatur schafft ein neues Qualitätsbewußtsein. Minderwertiger Ramsch verliert seine Attraktivität. So vermeiden wir unnötigen Verbrauch, ohne das Gefühl, auf etwas zu verzichten, und wir sparen Geld. Weniger ist mehr, wenn das Weniger den Verbrauch betrifft, das Mehr aber höhere Qualität bedeutet.

* Die Dinge halten länger und ersparen damit viel Ärger, Geld und Zeit. Ist einmal etwas kaputt und muß repariert werden, dann bietet das neue System einer dienstleistungsorientierten Gesellschaft kompetente Hilfestellung in Form einer raschen Reparatur oder eines raschen, wertstabilen Tausches .

* Durch Reparatur werden Rohstoffquellen geschont und in der Folge wird weniger Energie verbraucht, werden Emissionen und Abfälle reduziert und Deponieraum gespart. Grund genug, sich mit gutem Gewissen darüber freuen zu können.

* Reparierbarkeit verlangt ein entsprechendes Produktdesign und höhere Qualität der Produkte. Gleichzeitig schärft sich auch der Sinn für die Wechselwirkungen zwischen Qualität, Schönheit und Ästhetik. Der lustvolle Gebrauch ersetzt den hastigen und gedankenlosen Verbrauch. Eine Reparaturgesellschaft, die auf längere Produktlebenszyklen baut, bietet uns auch die Chance, unser Leben zu entschleunigen, dem eigenen Rhythmus näher zu kommen.

* Wir können auch andere, weniger materielle Ansprüche an unsere Lebensqualität stellen, wenn Reparatur, Langlebigkeit und Qualität zu bewußterem Umgang mit den Dingen, die uns umgeben, führen und die Wahrnehmungsfähigkeit erhöhen (Musik, Bilder, Natur, Gemeinschafterlebnis).

Damit liegen die Veränderungen schwerpunktmäßig vor allem im folgenden Bereichen: * "Nutzen (leihen, teilen, mitnutzen,...) statt Besitzen": Für die individuelle Nutzung liegt der Vorteil - neben der positiven Auswirkung auf die Umwelt - in der uneingeschränkten Gebrauchstauglichkeit. Ich brauche mich um die Anschaffung, Wartung und Reparatur nicht mehr zu kümmern. (Beispiel: Auto-Teilen) * Regionalisierung der Stoffströme: Eine rasche Reparatur setzt Nähe voraus wie z.B. die Servicestelle ums Eck, wo ich auf kurzem Wege persönlich mein Problem darlegen und das zu reparierende Gerät ohne große Wegzeiten - vielleicht schon am selben Tag - wieder abholen kann.

* Dezentralisierung: Die Kleinräumigkeit verlangt nach Betriebsstrukturen mit dezentralen Standorten,benötigt Einrichtungen zur Nahversorgung und fördert den Absatz von Produkten aus der Region.

* Räumliche Zusammenführung der verschiedenen Lebensbereiche: Arbeiten, Wohnen und Einkaufen findet in der näheren Umgebung statt. Das spart Zeit und verringert das Verkehrsaufkommen.

Die Autorin ist Leiterin des Umweltreferates der Gewerkschaft der Privatangestellten und Co-Autorin des Buches "Die Reparaturgesellschaft", ÖGB-Verlag, 1997, 214 Seiten, öS 248.-. Ihr Beitrag ist ein Auszug aus ihrem Vortrag beim O.ö. Umweltkongreß 98 in Bad Goisern.

Information O.Ö. Umweltkongreß "Umwelt-Wirtschaft-Arbeit-Nachhaltige Wechselwirkung": So das Thema des Umweltkongresses in Bad Goisern (2. bis 4. September). Die Tagesthemen: Arbeit und Umwelt im Wandel (2.9.), Zukunftsverträgliche Berufe, Neue Arbeit durch ökologischen Strukturwandel (3.9.), Rahmenbedingungen für eine umweltgerechte Arbeit (4.9.)

Auskunft: O.ö. Umweltakademie, Tel: 0732 7720-4429

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