Das Risiko des Zauderns

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Europas Kampf gegen die Schuldenkrise braucht nicht nur ein tragfähiges Konzept, er braucht auch eine neue Art der Politik, die sich von der mutlosen Lethargie befreit und versucht, Systemfehler an ihrer Wurzel zu korrigieren.

Joseph A. Schumpeter, einer der weitsichtigsten Denker der Ökonomie, hat in seinem Werk den Unternehmer zum Heros der kapitalistischen Gesellschaft geadelt. Seine Bereitschaft, Geld und Existenz zu wagen um ein Ziel zu erreichen, oft begleitet von Niederlagen und finanzieller Vernichtung, sind der Humus von Wachstum und Wohlstand. Das Wagnis, das Risiko des Unternehmers, so Schumpeter, ist der innerste Kern der Wettbewerbsgesellschaft.

Das ist nicht wenig, denn in letzter Konsequenz bedeutet das, dass diese Gesellschaft als Ganzes zum Risiko gezwungen ist, will sie ihren Wohlstand beibehalten. Wir sehen dieser Tage, was passiert, wenn uns Wachstum und Wohlstand verlassen. Das System beginnt sofort, negative Auswüchse zu entwickeln: Unternehmen gehen pleite, Arbeitsplätze gehen verloren, der Konsum sinkt, die Steuereinnahmen sinken, die Sozialkosten steigen. Der Druck auf einzelne Gemeinwesen, siehe Griechenland, kann in relativ kurzer Zeit bedenkliche Ausmaße annehmen. So etwas kann schon in Angst und Panik ausarten, zumal in einer von Desinformation geprägten Gesellschaft, wie an dieser Stelle sehr beredt in der Vorwoche zu lesen war.

Das Substrat der Gesellschaft

Doch - um beim Kern der Sache zu bleiben - es schwindet vor allem das Substrat dieser Zivilisation: die flächendeckende Bereitschaft, ein Risiko in Erwartung eines Gewinns oder Vorteils einzugehen und die Konsequenzen im Falle eines Scheiterns zu tragen. Nicht nur fahren die Unternehmen ihre Investitionen zurück, die Banken geben auch keine Kredite mehr - weder den Unternehmen noch anderen Banken.

Gepaart mit einer Politik, die zunehmend nicht einmal mehr eigene Überzeugungen wagt, konglomeriert die ehemals schwebende Fortschrittsmasse zu einem Stein, den im Flug die Schwerkraft einholt.

Sowohl die Wirtschaft als auch die Politik müssten dem Schumpeter’schen Axiom folgend den Mut zum Risiko und seinen Konsequenzen wieder lernen. Das beginnt bei den Banken und dem gesamten Finanzsektor. Die Idee systemrelevanter Banken, die um jeden Preis gerettet werden müssen, widerspricht diametral der Idee des Wettbewerbs, der nur dann gesund ist, wenn sich die Konkurrenz frei entfalten kann. Denn das heißt, dass die großen Banken geschützt werden, welchen Unsinn sie auch immer anstellen.

Da die Gefahr des Scheiterns fehlt, werden sie weiter zu Milliardenwetten und Verlusten neigen, die dann aus Steuergeldern beglichen werden müssen. Kleinere Konkurrenten hingegen gehen pleite. Die Konsequenz: Die Großen werden größer und ihr Konkurrenzkampf wird mit immer höheren Wetteinsätzen geführt werden, anstatt mit Augenmaß. Das nun kommende Bankenpaket wird also nicht das letzte sein und die Krisen werden sich mit jedem Mal vertiefen. Hat die Krise 2008 die Investmentbanken zu Opfern gemacht, sind es diesmal die Spar- und Retailbanken (siehe Erste, Raiffeisen). Niemand ist mehr sicher.

Gefährliche Lethargie

Es wäre gefährlich, angesichts dieser Probleme in politische Lethargie zu verfallen, und dies ist der gefährlichste Teil der Geschichte. Derzeit verwalten die Regierungen Europas und der USA die Pervertierung ihres Erfolgssystems. Die Politik kann ihren Auftrag aber bewältigen, wenn sie selbst heroisch klug handelt. Das beginnt bei der Zerschlagung von zu großen Banken und der konsequenten Aufarbeitung von Pleiten. Das führt weiter zur Entwicklung einer konsistenten Strategie in der Schuldenkrise, samt Schuldenschnitten und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen in Südeuropa, von denen letztlich alle profitieren. Das endet bei dem Wagnis, mit unpopulären Maßnahmen die eignen Haushalte zu sanieren und die Sümpfe aus politisch organisierter Kriminalität trockenzulegen, die auch an Staaten wie Österreich zehren. Das wird Politikern das Leben schwer machen und manche werden aus ihren Ämtern gewählt werden. Dieser Weg ist also riskant - aber das größte Risiko bestünde heute wohl darin, zu zaudern.

* oliver.tanzer@furche.at

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