Das Scheitern an Ehrgeiz und Träumen

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Mit "Frühere Verhältnisse“ hat Nestroy seiner Zeit ein Stück auf den Leib geschrieben. Die Beständigkeit von Geiz und Gier macht es zeitlos.

Was war meine Leistung? Diese wohl am häufigsten zitierte Frage der letzten zwei Jahre bringt Kumpanei, Cliquenwesen und Intriganz so treffend auf den Punkt, dass es - zumindest in Österreich - keiner Zusatzerklärungen bedarf. Toni Slama, der bei den Reichenauer Festspielen Johann Nestroys heruntergewirtschafteten Hausknecht Muffl spielt, besingt die umgekehrten "früheren Verhältnisse“ in den von Nicolaus Hagg behutsam aktualisierten Couplets, die ein Bühnenorchester begleiten. Dabei ist Muffl selbst für kleine Zuwendungen durchaus offen, um über die wenig glänzende soziale Vergangenheit seines neuen Vorgesetzten (und ehemaligen Dienstboten) mit dem sprechenden Namen Johann Scheitermann schlicht zu schweigen.

Auch Armut verdirbt Charaktere

Nicolaus Hagg, seit Jahren "Fixstarter“ in Reichenau (auch im Bereich von Prosa-Dramatisierungen), gibt den reich gewordenen Holzhändler treffend als lächerlichen Emporkömmling, der nach unten tritt und nach oben buckelt. Nicht nur Geld verdirbt den Charakter, auch Armut und einfache Verhältnisse machen keine besseren Leut’, konstatiert Nestroy wiederholt in seinen Stücken. Im Jahr 1835 hat er seine Kritik am Kapitalismus in der Posse "Zu ebener Erde und erster Stock“ raffiniert thematisiert, in seinem letzten Stück, dem Einakter "Frühere Verhältnisse“ (1862 kurz vor seinem Tod uraufgeführt) variiert er das Thema - verdichtet auf vier Personen - noch einmal neu.

Zum 150. Todestag des großen österreichischen Satirikers bzw. zum 25-Jahr-Festspiel-Jubiläum reüssiert Reichenau mit Nestroys präzise beobachtetem Gesellschaftsbild, das vor allem eines deutlich macht: Vorbehalte und Urteile, die wir am meisten fürchten, sind nicht selten eigene Vor-Urteile: So ängstigt sich Scheitermann, der die noble Professorentochter Josephine (Ulrike Beimpold) geheiratet hat, am meisten davor, dass seine unfeine Herkunft ans Tageslicht kommen könnte. Aus seinem Bemühen, die soziale Distinktion zu verschleiern, ergeben sich köstliche Missverständnisse, etwa wenn der ungebildete Scheitermann aus dem Dienstboten-Comptoir ein verhuschtes "Au Revoir“ macht, weil sich in besseren Häusern die Personal-Vermittlung über die Kräutlerin nicht mehr schickt. Als Scheitermann dann aber (falsch informiert) seine Frau für die Tochter eines Kellners und einer Wäscherin hält, da ist er es, der die Scheidung will, denn so ein Wäscherinnen-Nachwuchs ist auf seinem Weg zum sozialen Aufstieg keineswegs zielführend.

Strategische Gefühle nützen

Die ehemalige Köchin Peppi Amsel, die ihr Glück vergeblich am Theater suchte, sieht Ehe und Liebe pragmatisch. Für die Verbesserung des Lebensstandards sind romantische Gefühle zweckdienlich. Doch da die Verheiratung mit wohlhabenden und begeisterten Verehrern ihrer (auch privat) überzeugenden schauspielerischen Darbietungen nicht folgte, wendet sie sich wieder dem Dienstbotenwesen und ihrem einstigen Verehrer Muffl zu.

Maria Happel, die die Eröffnungspremiere in Reichenau inszenierte, spielt diese Peppi Amsel als selbstironische Moralistin, die jedoch mit allen Wassern gewaschen ist. Schon mit ihrem ersten Auftrittslied, einer gelungenen Opernparodie, zeigt Happel ihr Feingefühl für Nestroys Witz und erschreckend aktuelle Gesellschaftskritik: Um alles weiter schön verschleiert zu halten, müssen das nötige Kapital herbeigeschafft und ein paar Äuglein kräftig zugedrückt werden.

Mit Gespür für das Theatralische bei Nestroy gelingt Happel eine erfolgreiche Eröffnung der heurigen Festspiele Reichenau, deren 25-jährige Geschichte im Kurpark dokumentiert wird.

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