Das schöne Spiel mit den HOHEN SUMMEN

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Ein Milliarden-Geschäft, das zuletzt von riesigen Skandalen heimgesucht wird: Um seinem Wesen gerecht zu werden, braucht der Fußball die Ethik - dringender denn je.

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Ein Milliarden-Geschäft, das zuletzt von riesigen Skandalen heimgesucht wird: Um seinem Wesen gerecht zu werden, braucht der Fußball die Ethik - dringender denn je.

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Ein Fußballer kommt zum Pfarrer mit der Frage: "Ist es verboten, dass ich am Sonntag beim Verein im Ort Fußball spiele?" Darauf der Pfarrer, der ein Anhänger besagten Vereins ist, kurz und bündig: "Nicht dass du spielst, ist verboten, sondern wie du spielst!" Fußball ist schließlich Fußball: Was sollen da Ethik und Moral? Soll mit dem moralisierenden und moralinsauren Reden die Freude und der Spaß am Spiel verdorben werden? Genau das Gegenteil ist der Fall: Mit dem Einbeziehen der ethischen Ebene soll erreicht werden, dass Spiel eben Spiel bleiben kann. Also steht die Frage: "Wie spielen?" im Mittelpunkt. Warum aber ist dies notwendig?

Sport, Krieg und Ökonomie

Fußball steht wie andere Sportarten auch im Spannungsfeld legitimer Interessen. Schon aus der Geschichte ergeben sich verschiedene Bezugsfelder: Da ist zunächst einmal das politische Feld von Konkurrenz und Aggression. Man "kämpft", um zu siegen. Der Sieg ist für den Fußball wesentlich. Das merkt man etwa an folgender Szene: Man einigt sich bei Hobbyspielen, die Tore nicht mitzuzählen, mit dem vorgeschobenen Argument, das Spiel zur Geltung kommen zu lassen (besonders dann, wenn man in der Gefahr steht, nicht zu gewinnen). Das aber geht nicht: Einer zählt immer mit, und zwar falsch, wie die Spieler der gegnerischen Mannschaft sofort bestätigen würden. Der Sieg ist also konstitutiv für den Sport -aber der Sieg um jeden Preis, auch mit unfairen Mitteln und übersteigerter Aggression, die sich direkt gegen den Mitspieler richtet?

Es ist die große Errungenschaft des Sports, der eine historische Beziehung zum Krieg aufweist, dass durch Regeln eine Umleitung der Aggression gegen die andere Person auf Tore, Zentimeter und Sekunden erfolgt und damit der Krieg irrelevant gemacht wird. Aber die Gefahr, dass die Aggression durchbricht und sich gegen andere richtet, dass Fußball etwa als politisches Mittel zur Schaffung und Bekämpfung eines nationalen Feindes eingesetzt wird, ist immer präsent. Dass sich politische Interessen nicht verselbstständigen, dass Aggression nicht die Interessen der Gegner und Mitspieler verneint, daran muss immer von neuem gearbeitet werden.

Fußball steht natürlich auch im Einflussbereich ökonomischer Interessen - und das ist legitim. Wenn man nur bedenkt, wie vielen jungen Menschen in Ländern, die wirtschaftlich am Boden sind, mit Fußball eine Zukunftsperspektive eröffnet wird, so zeigt sich dieser positive Bezug. Es ist nicht verwerflich, wenn mit dem Fußball Geld verdient wird, wenn im "Sommertraum" Anstöße für eine positive wirtschaftliche Entwicklung liegen, wenn Spieler vom Fußball leben können. Die ethische Bedenklichkeit liegt aber in den Summen, die beim Fußball auf dem Spiel stehen. Angesprochen auf die Frage, wie sehr die jüngsten Skandalgeschichten dem Fußball schaden würden, meinte Matthias Sammer, Sportvorstand des FC Bayern München, in einem Interview mit der Kleinen Zeitung: "Wo viele materielle Mittel zur Verfügung stehen, ist manchmal Unanständigkeit dabei. Es muss alles aufgeklärt und möglicherweise bestraft werden. Aber der Ball wird und muss weiterrollen. Die Verantwortung des Balls gegenüber denen, die das Spiel lieben, ist größer als die Bestandteile, die sich derzeit darstellen. Die Historie und Dynamik des Balls ist unverwüstlich."

Wenn Spieler um Ablösen in mehrfacher Millionenhöhe den Verein wechseln, wenn im Rahmen eines "gemeinnützigen" Vereines wie der FIFA Millionen umgewälzt werden, wenn man sich mit dem Verkauf von Übertragungsrechten eine goldene Nase verdienen kann, dann ist eine Anfälligkeit für Korruption und Machtmissbrauch nicht auszuschließen. Problematisch ist es auch, wenn dem "Ball" eine eigene Identität zugeschrieben wird, was dazu führen kann, dass im Namen des "Balls" Interessen verdeckt werden. Dann wird mit dem Geld Politik gemacht, etwa mit der Vergabe von Weltmeisterschaften, was offensichtlich nicht immer dem Fußball und den Menschenrechten dienen muss - siehe die nächsten geplanten Weltmeisterschaften in Russland (WM 2018) und Katar (WM 2022).

In religiösen Sphären

Die hohen Summen, um die es derzeit geht, erhöhen die Gefahr, dass falsche Politik gemacht wird und der Fußball in die Abhängigkeit von einseitigen wirtschaftlichen Interessen gerät. Diese Gefahr wird dadurch erhöht, dass der Fußball in ideologische überhöhte Sphären gerückt wird. Sie lassen den Sport unantastbar erscheinen - damit soll aber nur den wirtschaftlichen Interessen gedient werden.

Wenn wir uns etwa die Vereinsstrukturen in Europa oder auch in Österreich anschauen, so sehen wir gerade im unterschiedlichen wirtschaftlichen Potenzial der Vereine eine existentielle Herausforderung für jene, die eben nicht so finanzstark sind. Dass dann wirtschaftlich getrickst und zu problematischen Mitteln gegriffen wird, haben wir ja gerade in Graz auch erlebt. Fußball muss Fußball bleiben können, und das nicht nur mit den Summen, die hier gehandelt werden, sondern auch angesichts der Kritik dieser Summen.

Fußball steht nämlich auch im Kontext der Arbeit, insbesondere des Ausgleichs von Arbeitsbelastungen. Es war ja nicht zuletzt der Blick auf die Erhaltung der Gesundheit und der Fitness, der gerade die Arbeitersportvereine entstehen ließ. Was bis zu einem gewissen Grad als Gegenentwurf zur Arbeit entstanden ist, droht nun in den Gesetzmäßigkeiten der Arbeitswelt und der verselbstständigten Leistung unterzugehen. Das merkt man etwa hinsichtlich des Werts der Gesundheit, der ja durch den Ausgleichssport gefördert werden soll. Genau das Gegenteil aber ist oft der Fall: Wie Sportwissenschafter sarkastisch bemerken, ist die sicherste Möglichkeit, krank zu werden, eben Spitzensport zu betreiben. Da werden Verletzungen in Kauf genommen und mitunter sogar als wünschenswertes Opfer dargestellt.

Nicht zuletzt wird Fußball in die religiöse Sphäre gehoben. Man braucht nur Inszenierungen von Fußballspielen mit in der Religion entstandenen Riten ins Auge fassen, die sich nun verselbstständigt haben, oder auch religiös anmutende Ausdrücke wie "Flankengott","erlösender Torschuss", die "Hand Gottes" etc.: Opfert man hier dem Fußball - oder werden damit andere Interessen bedient, die mit der religiösen Verbrämung des Fußballs Geld verdienen und Macht ausüben? Wenn Fußball zur Religion wird, besteht die Gefahr, dass die Möglichkeiten des Menschseins verringert werden, weil der Mensch zum Diener des Fußballes wird und nicht umgekehrt.

Mehr Mensch werden kann man vor allem dann, wenn der Spielcharakter erhalten bleibt. Ethisch gesehen wird es damit zur Herausforderung, den Fußball auch aus der Perspektive des Vergnügens und Ausgleichs zu betrachten. Fußball muss Spiel bleiben können, das nicht nur im Betrachten des Kunstwerkes anderer besteht, sondern eben auch im Vollzug der Fußballkunst selbst. Das Kunstwerk im Sport entsteht durch das Tun, ist damit nicht festhaltbar. Wenn durch oftmalige Wiederholung einer Szene etwa ein Torschuss verewigt werden soll, so liegt das wahre Kunstwerk doch im Vollzug. Wenn auch noch so tiefsinnige Konzepte des Fußballs entwickelt werden und die so genannten Konzepttrainer Erfolg haben: Das Schöne dieses Sports besteht gerade darin, wenn es spontan "aus dem Menschen spielt". Eine Situation, die mit Happels Worten "Wenn's laft, dann laft's" umschrieben werden kann: Wo alle Theorie grau ist, weil am Platz die Entscheidung fällt.

Im Zeichen der Barmherzigkeit?

Um auf Papst Franziskus zu kommen: Barmherzigkeit kann es im Fußball nicht geben. Bei einem 0:14 zu lamentieren: "Hätten Sie uns doch ein Tor schießen lassen!", wird dem Fußball nicht gerecht. Wenn man jemanden offensichtlich ein Tor schießen lässt, dann ist das nicht Barmherzigkeit, sondern Demütigung. Man kann höchstens versuchen, nicht mit allen Mitteln ein Tor zu verhindern. Hier zeigt sich auch etwas vom Verhältnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit: Gerechtigkeit ist das Mindestmaß von Liebe und Barmherzigkeit, Barmherzigkeit ist aber die Sehbedingung dafür, was gerecht sein könnte.

Um das zu erfahren, bedarf es auch dessen, was man ironische Brechung nennen mag. Bill Shankly (1913-1981), schottischer Fußballspieler und -trainer, sagte einmal: "Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist!" Um die ironische Brechung noch deutlicher zu machen, lässt sich der Ausspruch so umformen: "Es ist natürlich Unsinn zu behaupten, Fußball ginge auf Leben und Tod. Fußball ist viel ernster." Das Augenzwinkern muss bei allem Ernst bleiben, oder ist nicht im Fußball gerade das Augenzwinkern der Ernst? Und ethische Orientierung fördert dieses Augenzwinkern, das sämtliche Interessen relativiert.

Der Autor ist Leiter des Instituts für Ethik und Gesellschaftslehre an der Kath.-Theolog. Fakultät der Universität Graz

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