Das Schöne und das Hässliche

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Warum noch selbst auf den Auslöser drücken, wenn es schon mehr als genug Fotos gibt? Das Kunst Haus Wien ehrt mit Peter Piller und Anita Witek zwei Künstler, die neue Werke aus bereits vorhandenem Bildmaterial schaffen.

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Warum noch selbst auf den Auslöser drücken, wenn es schon mehr als genug Fotos gibt? Das Kunst Haus Wien ehrt mit Peter Piller und Anita Witek zwei Künstler, die neue Werke aus bereits vorhandenem Bildmaterial schaffen.

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Eine Fotoserie ist bloß mit Stecknadeln an der Wand angebracht. Es handelt sich dabei um einfache Reproduktionen mit unterschiedlichen Sujets. Einer Wohnung, einer Straße, einem Bach mit Brücke. Gemeinsam ist den Bildern, dass jeweils ein Pfeil hineinmontiert ist. Ein Fingerzeig, der den Betrachter auf das Wesentliche im Bild hinweist. Worin das Wesentliche etwa von einem Gitter bestehen soll, das bleibt ihm allerdings verborgen. Soll es auch, denn darin liegt der Witz der Sache respektive die Essenz der künstlerischen Arbeit von Peter Piller.

Der Hamburger Künstler arbeitet mit vorhandenem Material, löst es aus seinem Kontext und kreiert damit Neues, eine eigenständige Serie. In diesem Fall waren das Ausgangsmaterial Pressefotos, die er vor allem in Lokalzeitungen gefunden hatte. Mal lieferten sie die Illustration zu einem Kriminalfall, mal zu einem verstopften Abflussgitter - doch den Text, die Erklärung, lässt er weg, übrig bleiben Bilder mit (originalem) Pfeil, die in erster Linie Rätsel aufgeben. Zu sehen in der aktuellen Ausstellung "Belegkontrolle" im Kunst Haus Wien.

Neben seinem Kunststudium in den 1990er-Jahren arbeitete Piller in einer Medienagentur. Es gehörte zu seinen Aufgaben, Zeitungen und Zeitschriften im Hinblick auf Werbeeinschaltungen durchzuschauen. In dieser Zeit wurde sein Interesse an normaler Gebrauchsfotografie geweckt, er begann sich für sogenannte Durchschnittsware zu begeistern. Piller schnitt Zeitungsbilder aus und sammelte sie. Inzwischen ist er Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und sein Archiv auf 7000 Fotografien angewachsen.

Der Künstler als Sammler und Sortierer

Welche Bilder können zu einer Werkgruppe zusammengefügt werden? Mit welchem Titel? In welcher Größe und auf welchem Papier sind die Vorlagen zu reproduzieren? Mit oder ohne Rahmen? Das sind Fragen, die für Pillers Kunstschaffen zentral sind. Der Künstler ist Sammler und Sortierer.

Seine Fotoserien sind nahezu immer überraschend, skurril, witzig. Eine heißt "Regionales Leuchten". Auf den Bildern sind Feuerwehrleute zu sehen, die sich für den Fotografen in Reih und Glied aufgestellt haben. Das "Leuchten" rührt von ihren Uniformknöpfen her, die das Blitzlicht reflektieren. Da haben wohl Lokalreporter zu ihrem Text auch gleich das Bild liefern müssen - und mit der Technik des indirekten, Reflexe vermeidenden Blitzens waren sie offensichtlich nicht vertraut.

Das Gewöhnliche, das Banale, ja das Fehlerhafte bekommt hier höhere Weihen, wird zur Kunst transformiert - und findet den Weg ins Museum. Der Betrachter fühlt sich etwas an die Fotos von Arnold Odermatt erinnert. An die Aufnahmen von Verkehrsunfällen, die der Schweizer Kantonspolizist zu Dokumentationszwecken Mitte des vorigen Jahrhunderts gemacht hat. Der Kurator Harald Szeemann wurde eines Tages auf sie aufmerksam - und präsentierte sie auf der Biennale in Venedig. Gleichsam über Nacht wurde so Odermatt zum gefeierten Künstler.

Eine Skulptur aus Fotografien

An die Schau von Piller schließt sich im oberen Raum die Ausstellung "About Life" von Anita Witek an. Auch die Wiener Künstlerin arbeitet mit vorgefundenem Material, mit dem Unterschied zu Piller, dass sie daraus - schöne Werke schafft, kompiliert vor allem aus Zeitschriften der letzten 40 Jahre. Teile von veröffentlichten Bildern fügt sie zu einem neuen Bild zusammen, fixiert in einem Foto. "Sie dekonstruiert Magazinseiten und Werbeanzeigen und somit auch einen Aspekt unserer visuellen Kultur", schreibt die Ausstellungskuratorin Verena Kaspar-Eisert.

Für das Kunst Haus hat Witek auch eine ortsspezifische Arbeit geschaffen. Sie nahm sich die umfangreiche Plakatsammlung des Museums vor, zerschnitt sie - zerschnitt Man Ray & Co! - und baute daraus eine begehbare Foto-Installation, eine Skulptur. Die Fotografin als Bildhauerin!

Seit gut einem Vierteljahrhundert profiliert sich das Kunst Haus Wien als ein Ort der Fotografie. Die Doppelausstellung ist allerdings eine Premiere. Die Präsentation einer österreichischen Künstlerin (leider) auch.

Peter Piller "Belegkontrolle" Anita Witek "About Life"

bis 22. Mai, Kunst Haus Wien

tägl. 10-18 Uhr, www.kunsthauswien.com

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