Das Spiel im Seelenschacht

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Peter Simonischek gastiert als Antibarock-Jedermann am Schauspielhaus Graz in einer Inszenierung von Götz Spielmanns Stück „Imperium“.

Die Diagnose kommt erst nach der Halbzeit des Imperiumsbesuchs: Bald wird er tot sein, drei Monate, maximal ein Jahr bleiben noch. Nun muss der erfolgreiche Geschäftsmann, der mit dem Arzt von einem schauderhaften Lachen gebeutelt noch handeln will, an seine Zukunft denken und sich um das Seinige kümmern. Doch erstmals in seinem Leben ist er nicht mehr Herr der einträglichen Lage. „Wenn du nicht genau weißt, wer du bist, dann wird es gefährlich“, gibt Wessely, Nachtclubkönig und Besitzer von elf Bordellen, zu Beginn aus. Peinliche Trivialität spielt fortan immer mehr Trümpfe aus. So muss die Desillusionierung siegen. Wer es jedoch nicht schafft, an diesem zweieinhalbstündigen Theaterabend diese Spielregeln zu akzeptieren, der wird möglicherweise von platten Klischees geplagt das Schauspielhaus wieder verlassen.

Das hat mit der Inszenierung zu tun. Mit der Art, wie Filmregisseur Götz Spielmann sein 2007 in Linz uraufgeführtes Debüt-Stück „Imperium“ am Grazer Schauspielhaus nun erstmals selber umsetzt. Denn alles, was sich auf der Bühne tut, ist das Ergebnis einer präzisen Einstellung. Aber warum sollte Götz Spielmann auch verleugnen, dass er vom Film kommt. Auch wenn eines der stärksten Wunder des Films, die durch Vergrößerungen erzeugte Evidenz, auf das Theater nur schwer zu übertragen ist. Es zu versuchen ist ein Wagnis.

„Das Leben ist ein Kampf“

Spielmann zelebriert Übergänge wie Einschnitte und lässt bei jedem Szenenwechsel die Schauspieler hinaustragen, was sie eben noch gebraucht haben. Was sich nicht tragen lässt, wird leise versenkt. Das Bühnenbild von Martin Warth gibt den Rhythmus vor. Und im Hintergrund geben Wandelemente, die sich verschieben lassen, Lichtstreifen (Licht: Thomas Trummer) frei, die den Raum einmal zur rötlichen Pufffassade, ein andermal zur idyllischen Waldlichtung werden lassen. Dazwischen spricht Peter Simonischek als Wessely mit einer brokatschweren und orakelhaften Befundwisserei vor den Toren seines Imperiums. Erste Anzeichen von Erschütterung zeigen sich, feine Risse queren sein Gebiet. Verrat und behördliche Schikanen fordern Wessely heraus. Mit großer Geste schwört er auf natürliche Selektion: „Das Leben ist ein Kampf, jeder gegen jeden, wie in der Natur, und die ist gnadenlos.“

Banale Lebensausreden

Alles um ihn herum wird zu einer stabilisierenden Kraft seiner egozentrischen Energie. Seine Cello spielende Tochter (Andrea Wenzl) gelüstet es rotlippig nach dem imperativen Leben des Vaters. Lydia Wessely (Claudia Martini) wiegt sich im aprikotfarbigen Jerseytrainer zu Tangoklängen abseits seines halbseidenen Reiches. Sie schweigt natürlich zu Wesselys Privathure Anita (Steffi Krautz), die ihm, sooft er will, wie ein lilafarbiges Plüschtier vom Schießstand in den Schoß fällt. Auf dem Fuß folgt ihm selbst noch sein junger Ronnie (Gustav Koenigs), der Mann für alles, als er bereits an der Tochter herumschnüffelt.

Immer wieder entstehen nun in dem zunehmend komplexer werdenden Beziehungsgeflecht Freiräume, in denen Spielmann nichts beweisen will. Ihm geht es nicht um ein ausbuchstabiertes Stimmungsbild aus der gewaltigen Tristesse zwischen Etablissementplüsch und Ziergartenstillleben. Spielmann richtet seinen Blick vielmehr auf jene diffusen Innenräume seines Helden, in denen Begehren und Enttäuschung, betonierte Ängste und banale Lebensausreden ein ungemein zerbrechliches Gebilde ergeben.

Genau dort setzt Spielmann auf und platziert die Diagnose von der unheilbaren Krankheit, die fortan einen Seelenschacht zwischen innerem und äußerem Imperium zu graben beginnt. Dort begegnet er der toten Exgeliebten (Verena Lercher), weiß gezeichnet, unfunktional und auf seltsame Weise unbezwingbar, eine Festung unerkannter Zusammenhänge, die auch der Tod noch unaufgedröselt hinterlassen muss. Wenn alles vorbei ist, kommt der letzte Schnitt. Es wird finster, und zurück bleibt die große Hinterbliebene, die Desillusion, die peinlich berührt.

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