"Das Sprechen ist die Achse des Schauspiels“

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Der Regisseur und Schauspieler René Medveˇsek über seinen Zugang zum Theater, das Trauma des Jugoslawienkrieges und sein Bestreben, die Zuschauer am Geschehen zu beteiligen. Das Gespräch führte Julia Danielczyk

Seit 3. Oktober ist Tennessee Williams’ "Die Glasmenagerie“ am Volkstheater in den Bezirken zu sehen. Regie führte René Medveˇsek, der am Volkstheater "Szenen einer Ehe“ inszenierte und bei den "Besten aus dem Osten“ (2009) eingeladen war.

DIE FURCHE: Was erscheint Ihnen an "Die Glasmenagerie“ heute interessant?

René Medveˇsek: Das Stück behauptet zu Recht seinen Klassikerplatz, weil die vier Personen zugleich vier Lebensprinzipien verkörpern: Laura ist wie die Seele selbst. Amanda, die Mutter, ist eine Figur, die die Vergangenheit verherrlicht. Tom verkörpert unerfüllte Abenteuer, er möchte ohne zu kalkulieren leben, ganz aufrichtig, während Jim mit der Entwicklung mithalten möchte. Er ist ambitioniert, aufstrebend, voller Energie. Ich denke, wir alle haben etwas von diesen Prinzipien in uns. Sie sind die Kraftlinien des Stücks. Williams hat es geschrieben, als er sein Elternhaus verlassen hatte, "Die Glasmenagerie“ ist also eine autobiografische Aufarbeitung. Er schreibt sich selbst in die Figuren hinein und das macht das Stück entsprechend mehrdimensional.

DIE FURCHE: Nach erfolgreichen Jahren als Schauspieler haben Sie sich auf die andere Seite gestellt, selbst Projekte entwickelt und inszeniert. Warum das?

Medveˇsek: Ich wurde Schauspieler, weil ich am Theater die Möglichkeit sah, Ideen und Visionen umzusetzen. Ich hatte aber oft das Gefühl, dass man mit dem Repertoire eine gewisse Betrübnis weiterpflanzt. Die Stoffe, aus denen Theater entsteht, enthielten zu viel Resignation oder Verzweiflung für mich und meinen Lebensoptimismus. Kunst soll sich mit dem Elend der Zeit und des Lebens konfrontieren, aber auch Hoffnung, Mut und Freude stiften. Während des Jugoslawienkrieges hat sich die Idee für einen neuen Weg in mir noch klarer gezeigt.

DIE FURCHE: Was hat der Krieg für Sie verändert?

Medveˇsek: Der Krieg war eine unglaubliche, entsetzliche Überraschung und eine riesige Enttäuschung, denn man glaubt einfach nicht, dass sich so etwas im 20. Jahrhundert wiederholt. Doch Ent-Täuschung kann insofern auch ein Gewinn sein, weil man mit der Wahrheit konfrontiert wird, mit dem, was der Mensch eigentlich ist. Die Art und Weise, wie wir im Herbst 1991 vollkommen der jugoslawischen Armee überlassen worden sind, das war für uns unglaublich. Niemand glaubte, dass das passieren könnte. Aber es geschah doch. Für einen Moment sah es so für mich auch aus, als wäre es das Ende. Nichts hatte mehr Sinn. Ich hatte damals zwei kleine Kinder, das dritte war unterwegs. Ich dachte darüber nach, ob ich mich bewaffnen sollte, aber ich wusste, dass ich nicht der Typ dazu bin. Und plötzlich gab es etwas wie ein inneres Licht, das mir sagte, dass man sich solchem Elend nur mit Geist und Spiel entgegensetzen könne.

DIE FURCHE: Seit einigen Jahren unterrichten Sie Sprechtechnik, warum?

Medveˇsek: Das Sprechen sehe ich als die Achse des Schauspiels. Allerdings hat das zeitgenössische Theater große Probleme damit. Dazu hat u. a. der Film beigetragen. Die Idee des Schauspielens entwickelte sich nämlich immer mehr in Richtung Naturalismus, der den Zuschauer zu einer Art Voyeur macht: zu einem Zusehenden, aber nicht am Spiel Beteiligten. Dieser Druck des "Natürlich-Seins“, des "Lässig-Seins“ brachte privates anstatt szenisches Sprechen auf die Bühne. Dadurch hat das Theater an Essenz verloren, man vergisst, dass der eigentliche Ansprechpartner im Publikum sitzt. Immer öfter sieht man dann auch Schauspieler mit Mikroports. Das heißt nicht, dass Visuelles unbedeutend ist. Ich glaube aber, man muss das Gesprochene, welches zur Nebensache geworden ist, in den Vordergrund heben.

DIE FURCHE: Worauf achten Sie, wenn Sie Schauspielschüler trainieren?

Medveˇsek: Dem, was man "egozentrisches“ Spielen nennen könnte, versuche ich einen "echozentrischen“ Spielstil entgegenzusetzen. Sprechendes Handeln kommt in den Fokus: Wenn das gelingt, dann ist es so, als wäre die Luft akustisch magnetisiert. Dann kann sich das Ensemble auch einstimmen. Das gesprochene Wort ist der Moment, wo wir einander physisch begegnen. Und das Theater ist eine Kunst der Begegnung im Moment. Wir Menschen sind wie gebundene Gefäße - nur eine Stimme, die frei klingt, überträgt das Gefühl in all seinen Dimensionen.

DIE FURCHE: Was bedeutet für Sie perfor-mativ?

Medveˇsek: In Bezug auf das Theater finde ich den Begriff problematisch. Konkret bedeutet das etwa, wenn ein Schauspieler einen Wutausbruch auf der Bühne performativ zeigt, dann bleibe ich Voyeur. Mein Verständnis von Theater meint ein Mitspielen, bei welchem der Zuschauer die Wut im Inneren miterleben kann - das geschieht aber nur, wenn die Technik des Schauspielers unter dem gezeigten Wutanfall nicht leidet. Wenn man sieht, dass er die Wut führt und nicht die Wut ihn. Dann versteht man auch den Text, die Poesie, trotz starker Emotion. Darin sehe ich den Sinn des Schauspiels, nämlich dass der Mensch zwar an seinen Gefühlen leidet, ihnen aber im Spiel überlegen ist. Das ist dann Kunst, nicht nur Provokation oder Vorfall.

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