Das Sprechen über das Schreiben

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„Die Frau mit den 5 Elefanten“ erzählt von Swetlana Geier, der bedeutendsten Übersetzerin russischer Literatur ins Deutsche. 16 Jahre hat die gebürtige Russin gebraucht, um Dostojewskis Mammutromane neu zu übersetzen.

„Ich lese das Buch so oft, bis die Seiten Löcher kriegen. Im Grunde kann ich es auswendig“, sagt Swetlana Geier. „Dann kommt ein Tag, an dem man plötzlich die Melodie des Textes hört. Und dann sagt meine Sekretärin: ‚So, und jetzt fangen wir an‘, und dann diktiere ich ihr die Übersetzung.“

Sie gilt als bedeutendste Übersetzerin und damit Vermittlerin russischer Literatur im deutschen Sprachraum: Tolstoi, Bulgakow und Solschenizyn. Und Dostojewski: Sechzehn Jahre lang hat Swetlana Geier Fjodor Dostojewskis fünf Mammutromane neu übersetzt, in akribischer Kleinarbeit und mit großer Sorgfalt, mündlich, denn sie will dem Klang der Sprache nachspüren, und ohne Scheu vor neuen Formulierungen. „Schuld und Sühne“ heißt bei ihr etwa „Verbrechen und Strafe“, aus „Die Dämonen“ wurde „Böse Geister“. Ein jedes Wort legt sie auf die Waagschale, jeder Satz wird mehrmals gedreht und gewendet, bis er aufgeschrieben werden darf. Geier nennt sie ihre „fünf Elefanten“, die fünf großen Dostojewskis. „Das übersetzt man nicht ungestraft“ sagt die alte Dame, die mit ihrem zarten Vogelgesicht und dem weißen Haar wie eine liebreizende Großmutter wirkt.

Meistens verschwindet die Arbeit von Übersetzern hinter dem ursprünglichen Autor des Buches, doch der deutsch-schweizerische Regisseur Vadim Jendreyko lenkt in seiner wunderbaren Dokumentation den Blick auf jene Frau, die den russischen Schriftsteller erst herholt in unsere Sprache. Ohne Übersetzung keine Literatur, obwohl, wie Geier sagt, „Sprachen inkompatibel sind“: Eine Übertragung aus dem Russischen ins Deutsche kann immer nur eine Annäherung sein.

Geier ist gebürtige Russin, aber erhielt schon als Kind Privatunterricht in Französisch und Deutsch, sodass ihr die deutsche Sprache keine Fremdsprache ist. Vadim Jendreyko nähert sich ihr von unterschiedlichen Seiten: über ihre persönliche Geschichte, über ihre Familie und über ihre Arbeit. Der frühe Verlust des Vaters, die Auswanderung nach Nazideutschland, das Germanistikstudium, ihre Arbeit an der Universität, ihre spätere Übersetzungstätigkeit. Dann das Dasein als Mutter eines verunglückten Sohnes, der im Krankenhaus liegt, sterben wird und dem sie täglich Essen bringt, das ihm guttun muss; ihre Position als Urgroßmutter einer weitläufigen Familie, in der gemeinsam gekocht und gegessen wird. Und dann wieder die zärtliche Behandlung des Textes, das Sprechen über das Schreiben: Mag sein, „Die Frau mit den 5 Elefanten“ ist in manchen Momenten nicht kritisch genug seiner Protagonistin gegenüber, erstarrt ein wenig in Bewunderung dieser besonderen Frau und ist gefesselt von der Faszination Sprache. Vielleicht ist dieser Film aber auch gar nicht anders möglich.

Die Frau mit den 5 Elefanten.

CH/D 2009. Regie: Vadim Jendreyko. Verleih: Stadtkino. 93 Min.

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