Das Theater am Ende?

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Verdis, nein: Peter Konwitschnys "Falstaff" am Grazer Opernhaus. Ein Werk des Abschieds.

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Verdis, nein: Peter Konwitschnys "Falstaff" am Grazer Opernhaus. Ein Werk des Abschieds.

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Es gibt nur eine Art, besser als mit Otello aufzuhören", schrieb Verdis Librettist Arrigo Boito 1889 an den Komponisten, "und das ist ein triumphales Ende mit Falstaff. Nachdem alles Schreien und Stöhnen des Menschenherzens zum Ausdruck kam, könnte man schließlich in ein schallendes Gelächter ausbrechen, das die Welt erstaunen wird." Verdis "Falstaff" bietet in seiner abgründigen Heiterkeit nach wie vor Anlass zum Erstaunen: derzeit am Grazer Opernhaus. Peter Konwitschny hat das Stück als eines an der Schwelle zur Moderne, als Werk des Abschieds, interpretiert und stellt dabei unserer heutigen Zeit kein gutes Zeugnis aus.

Dass man sich bei Konwitschnys Inszenierung von Verdis letzter Oper auf einiges gefasst zu machen habe, wurde dem Premierenpublikum wohl spätestens beim Betreten des Opernhauses klar: Die Szenerie von Abbruch und Umbau, in der die lyrische Komödie um den dickbauchigen Möchtegern-Verführer Sir John angesiedelt ist, verwandelte das ganze Gebäude: Mit Baustellennetzen verhüllte Geländer, Absperrungen in den Gängen, kaltes Neonlicht im Zuschauerraum stimmten auf die sukzessive Demontage des schönen Scheins im Verlauf des Abends ein.

Die Bühne, gestaltet von Jörg Koßdorff, ist nichts als eine riesige Baustelle. Beinahe nebenbei wird hier dann doch noch Theater gespielt mit dem Grundton des Abschieds, eines letzten Mals: "Theater war schön" ist in dünnen weißen Großbuchstaben mit Kreide an den roten Bauschuttcontainer inmitten der Bühne geschrieben und stellt wohl auch das künstlerische Credo des Regisseurs dar.

Konwitschnys Falstaff, stimmgewaltig verkörpert von Jacek Strauch, sieht die Welt mit gewitzt realistischem Blick und ist sich dabei seiner Wirkung durchaus bewusst. Dass ihn besonders die Frauen lieben, macht seine respektlosen, mitunter auch derb-lüsternen Eskapaden in den Augen der Gesellschaft nur noch schlimmer. Nicht unbeeindruckt bleiben die durchwegs überzeugenden "lustigen Weiber" Natalia Biorro (Alice), Natela Nicoli (Meg) und Ildiko Szönyi (Quickly).

Die markanten szenischen Bilder der Grazer Inszenierung verdeutlichen die zeitkritische, mitunter nihilistische Seite des Stücks: Die Ehre, zur bloßen Äußerlichkeit verkommen, stolpert als verschreckte Miss im glitzernden Badeanzug über die Bühne. Dass mit der drastischen Vernichtung jeglicher überflüssiger Staffage Raum geschaffen wird für die Aussagekraft der Musik, ist vielleicht die größte Stärke der Inszenierung. So oblag es den Sängern und dem Grazer Philharmonischen Orchester Humor, Parodie und Ironie, aber auch große Gefühle zum Klingen zu bringen. Berückend die sehnsuchtsvoll hilflos per Handy nach Nähe ringenden Liebesbezeugungen Nannettas (Sonia Zlatkova) und Fentons (Sergei Homov), packend die lodernde Eifersucht von Miguelangelo Cavalcanti als Ford.

Unter Ulf Schirmer gelang eine lebendige Interpretation des vielfältigen Ausdrucksspektrums des Verdischen Spätstils, der mit seinen oft abrupt wechselnden Kontrasten an die Musiker nicht unbeträchtliche Anforderungen stellt. "Alles auf Erden ist Spaß" lautete das provokativ gegen das Publikum gerichtete Schlusswort. Dass nach der Demaskierung der vermummten Hochzeitspaare schließlich auch die Zuschauer als Genarrte zurückblieben, haben die Grazer Peter Konwitschny nicht verziehen. Der Regisseur musste lautstarke Missfallensbekundungen hinnehmen. Sänger und Musiker wurden mit heftigem Beifall bedacht.

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