Das Theaterblut spritzt ausgiebig beim Morden

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Frank Castorf inszeniert nach 15 Jahren wieder am Burgtheater. Mit Hans Henny Jahnns "Die Krönung Richards III." beschert er dem Publikum aber schwere Kost.

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Frank Castorf inszeniert nach 15 Jahren wieder am Burgtheater. Mit Hans Henny Jahnns "Die Krönung Richards III." beschert er dem Publikum aber schwere Kost.

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Die Überforderung ist bei Castorf schon fast Programm. So gesehen enttäuschte er seine auch hierzulande beträchtliche Fangemeinde nicht. Sowohl die Länge des Abends - er endete nach mehr als sechs Stunden erst nach Mitternacht - wie auch die Wahl von Autor und Stück, sowie schließlich die gewohnt freie Interpretation waren einem "typischen" Castorf, mit einer einzigen Einschränkung, durchaus würdig. Allein auf die Videoprojektion, die das für das Publikum oft nicht mehr einsehbare Bühnengeschehen zeigt, hatte er diesmal verzichtet. Auch wenn das überrascht hat, vermissen musste das kaum einer.

Theater mit drastischen Mitteln

Dafür bietet die österreichische Erstaufführung der Jahnn'schen Version von William Shakespeares "Richard III."(geschrieben 1917, uraufgeführt 1922 in Leipzig) andere Reize. Castorf inszenierte das monumentale Werk nämlich als Grand Guignol! Das Grand Guignol war nicht nur ein Theater, das von 1897 bis 1962 in Paris für so manchen Theaterskandal sorgte, sondern es begründete auch ein Genre, das aus nicht vielmehr bestand, als aus einer Aneinanderreihung von effektvoll inszenierten blutigen Folterungen und Zerstückelungen von Menschenpuppen. Es war gewissermaßen eine Fortsetzung des Theaters der Empfindsamkeit mit drastischeren Mitteln.

Hauptfigur dieser Exaltationen der Gewalt, bei der das verbotene Vergnügen an den Qualen und den körperlichen Zerstörungen mit den visuellen Fetischen Blut, Eingeweiden und Exkrementen ein fragwürdiges Zentrum bildeten, ist ein gewisser Guignol, ein sadistischer Gewalttäter, der seine destruktiven Impulse unter Beifall des Publikums drastisch und mit tricktechnisch beträchtlichem Aufwand ausagierte.

Einem Drama, das Shakespeares teuflischer Held Richard, dessen Lust am Bösen, vielfältigen perversen Veranlagungen und Machthunger ihn von Opfer zu Opfer treiben, das Mäntelchen des Grand Guignol überzustülpen, ist nicht gar weit hergeholt. Nur tieferen Sinn muss das noch nicht machen, zumal das, was einst als Reaktion auf eine reaktionär-moralische Welt der sexuellen Verdrängung in einer permissiven Gesellschaft galt, heute nicht unbedingt zwingend notwendig erscheint.

Morden und wüten

Castorfs Wiener Inszenierung kommt ästhetisch und thematisch dem Grand Guignol, wie auch dem daraus hervorgegangenen Zombie- und Kannibalenfilm sehr nahe. Auch hier spritzt viel Theaterblut, türmen sich abgetrennte Gliedmaßen, werden Jünglinge kastriert, andere als Menschenopfer zerstückelt und aufgefressen. Und wie das klassische Horrorgenre hat auch "Die Krönung Richards III." hier ein einschlägig architektonisches Zentrum: die Burg. Der Bühnenbildner Bert Neumann hat vor einem grellroten Rundhorizont eine riesige schwarze Burg auf die Drehbühne der Burg gebaut. In ihren Kammern und Verliesen morden und wüten im Schein von Fackeln gesichtslose Handlanger des Bösen (in Sadomaso-oder Wrestlermasken, oder als Pussy-Riot-Zitat?), am brutalsten Guignol alias Richard, gespielt vom wunderbaren Martin Wuttke, der sich erst als Laute spielender Mephisto geriert, um bald darauf im Voodoopriesterornat und schwarzsträhniger Langhaarperücke zur Höchstform aufzulaufen. Sophie Rois (mit ihrer unverwechselbaren Stimme) als Königswitwe steht dem schurkischen Titelhelden allerdings in nichts nach.

Ihrer monströsen Fleischeslust gehört die erste Stunde. Und wenn Paris, dessen sie überdrüssig geworden ist, schon sinnlos stirbt, so doch wenigstens in Schönheit. Markus Meyer stirbt als Paris in wahrlich berückenden Pirouetten.

Über das Rätsel der Existenz

Anders als beim gänzlich humorlosen Norddeutschen Hans Henny Jahnn bekommt bei Castorf die inszenierte Gewalt deutlich satirischen Anstrich. Nur da entfernt er sich von Jahnns Pessimismus. Sonst bleibt er (von großzügigen Strichen abgesehen) nah am Text. Ihn interessiert nicht nur die Darstellung der exzessiven Bosheit Richards, er breitet ebenso dessen Inneres aus. In langen, umständlichen Monologen, die Castorf mit Texten von Bataille, Artaud und Heiner Müller beschwert, sowie durch etliche Seitenhiebe auf die Turbulenzen am Burgtheater anreichert und von afrikanischen Darstellern in Suaheli kommentieren lässt, was die Verständlichkeit naturgemäß nicht eben erhöht, ergießt sich Richard in ermüdenden Klagen über die existentielle Not, Schmerz, Alter, Tod, Verwesung. Darin manifestiert sich das Böse, anders als bei Shakespeare, als Ausdruck des an der unbegriffenen Existenz leidenden Menschen. Das Rätsel der Existenz sieht Jahnn letztlich im Blut, den Hormonen, im Geschlecht begründet. Und der derart von hormonaler Beschaffenheit abhängige, durch die innere Sekretion determinierte Mensch sei ohne eigentliche Willensfreiheit nur Schauplatz von Ereignissen, dem ewigen, unabänderlichen Kreislauf des Werdens und Vergehens ausgeliefert. Das Schöpfungsprinzip sei dem Einzelnen gegenüber grenzenlos gleichgültig. Und das mache alle Menschen letztlich zu Opfern in einer Welt, die auch keine moralische Ordnung mehr kennt. So betrachtet ist Castorfs Inszenierung nicht einfach eine Verherrlichung des Sadismus, sondern die Negation der Banalität des Bösen, inszeniert als Triumph des Theatralischen. Grand Guignol.

Die Krönung Richards III.

Burgtheater - 20. März, 12., 13. April

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