Das Trauma der Casting-Shows

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Jugendliche träumen von der Karriere als Sänger oder Model – die Casting-Shows der Fernsehunterhaltung holen die meisten zurück in eine untergriffige Wirklichkeit.

„Du hast ein gutes Gesicht, aber du bist zu dick für den Laufsteg“, sagt die Wiener Agenturchefin Andrea Weidler. „Du hast nichts drauf, außer vielleicht Zahnbelag“, sagt Dieter Bohlen. Junge Möchtegern-Sänger und Models in spe brauchen eine dicke Haut, wenn sie sich in TV-Casting-Shows der Kritik von sogenannten Experten aussetzen. Die Juroren von Casting-Shows halten mit der Wahrheit nicht hinterm Berg – im Gegenteil: Je untergriffiger ihre Sprüche sind, desto größer ist die Gaudi bei den Zuschauern. Beleidigung bringt Quote, für Shows wie „Austria’s Next Topmodel“ (Puls 4) oder „Deutschland sucht den Superstar (DSDS, RTL).

„Die Sucht, in einer öffentlichen Show aus einer Masse entdeckt zu werden, nimmt zu“, urteilt die Wiener Entwicklungspsychologin Brigitte Rollett. Dafür nehmen die meist halbwüchsigen Kandidaten die harte oder herablassende Bewertung durch eine Jury in Kauf – freiwillig. „Jeder dort denkt: Mich trifft es nicht, ich bin so wunderbar“, berichtet Rollett über die fehlende Selbsteinschätzung Jugendlicher, aber auch Erwachsener. „Von der Familie kommen Huldigungen, weil man vielleicht Konfrontationen scheut, in der Realität wird man heruntergemacht, weil es Geld bringt.“ Die daraus entstehende Kluft zwischen Fremdwahrnehmung und dem Selbstbild führt oft zum Absturz. „Oft verursacht harsche Kritik eine tiefe persönliche Enttäuschung, die vor allem, wenn sie öffentlich geschieht, bis zu Depressionen und vermindertem Selbstwert führen kann“, so Rollett.

Auftritt als Motivation

Die Freiwilligkeit, mit der sich Menschen solchen Risiken aussetzen, verwundert auch Katrin Draxl vom ernährungspsychologischen Beratungsinstitut „sowhat“ nicht, wo schon zehnjährige Kinder mit Essstörungen beraten werden. Sie sieht den Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Anerkennung und „eingebildeter Selbstwertsteigerung“: „Ob man heruntergemacht wird, ist nicht vorrangig“, so Draxl. „Man kann ins Fernsehen kommen, das ist die Motivation.“ TV-Shows seien zwar nicht die Ursache, aber oft der Auslöser für Essstörungen, berichtet Draxl aus ihren Erfahrungen: „Die Medien suggerieren, dass nur glücklich und erfolgreich ist, wer die richtigen Maße hat. Instabile junge Menschen sind sehr anfällig auf solchen Druck.“

DSDS ist der deutschen Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) seit Jahren ein Dorn im Auge. „Die Kandidaten werden gezielt beleidigt und lächerlich gemacht“, urteilt KJM-Vorsitzender Wolf-Dieter Ring. „Wenn im TV Respektlosigkeit und Intoleranz als völlig legitim dargestellt werden, kann das desorientierend auf Kinder wirken.“

Schwer definierbarer Raum

Dabei legt RTL mittlerweile jede Sendung der „Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen“ (FSF) vor, wo man keine Probleme mit dem Jugendschutz ortet. „Wenn aus regulativer Sicht nichts zu beanstanden ist, was uns die FSF bescheinigt, dann bewegen wir uns wieder in diesem schwer definierbaren Raum, an dessen Tür ‚Geschmack‘ steht. Über den lässt sich bekanntlich gut streiten“, sagt RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger in einem Interview mit dem Online-Dienst dwdl.de. „DSDS ist eine Symbiose aus Neugierde und Freude an der Selbstdarstellung, aus Exhibitionismus und Voyeurismus. Daraus mache ich keinen Hehl. Die, die sich zur Schau stellen, sind sich dessen, was sie da tun, voll bewusst.“ Auch die Macher von „Austria’s Next Topmodel“ sehen keine Verantwortung für die Emotionen ihrer Kandidaten: „Die Jury gibt konstruktive Kritik und bereitet die Mädchen für ein Berufsbild vor“, befindet Christina Patzl von SevenOneMedia. Immerhin stünden den Kandidatinnen während der gesamten Staffel auch „Ansprechpartner“, Ernährungsberater und Fitnesstrainer für Gespräche zur Verfügung. Einmal rausgekickt, sind die Jugendlichen wieder sich selbst überlassen, mit oder ohne verbliebenem Selbstwert. Letztere werden vielleicht später mal Juroren.

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