Wir streben doch immerfort danach, oder glauben, es zu tun: Nach dem Paradies, einem Zustand oder Gefühl, in dem uns unumschränktes Glück und Wonne umfließt. So haben wir es gelernt. Vermutlich kennt jede Schöpfungsgeschichte einen solchen Zustand, ein "vor unserer Zeit", eine mythologisch verbrämte Periode der Harmonie. Aber in allen Mythen heißt es, die Menschen hätten diesen Zustand verlassen.
Die Gründe dafür variieren oder sind manchmal gar nicht überliefert. Wir können also nur darüber spekulieren. Und doch dürfen wir annehmen, dass die Motive für diesen Akt auf der psychologischen Ebene noch immer in uns sind und in unserer Seele schlummern. Deshalb sind, so meine ich, Mythen von enormer Bedeutung. Weil sie etwas beschreiben, das nie passiert ist und doch immer passiert.
Natürlich streben wir nicht nach dem Schlechteren: Im Gegenteil, es gab und gibt immer Raum für Verbesserungen. Aber nicht einmal Adam und Eva, die vermutlich den besten aller vorstellbaren Zustände erlebten -ohne die Existenz von Not oder psychischer Last -waren zufrieden mit ihrer Umgebung. Auch sie wollten einfach mehr (in ihrem Fall das Wissen über Gut und Böse). Es ist also möglich, im Paradies zu leben, aber nur für eine gewisse Zeit. Und tatsächlich habe ich Ähnliches erlebt: Jüngst nahm ich an einem Treffen des World Economic Forum in Dubai teil. Dubai ist perfekt. Die Sonne scheint dort immerzu, das Meer ist wunderschön und alles, was die Dubaier nur wollen, haben sie sich gebaut -inklusive eines Berges zum Skifahren. Sogar die Autobahnen werden mit Staubsaugern gereinigt. Nach drei Tagen aber sehnte ich mit nach nichts mehr als nach einem schummrigen tschechischen Pub und nach Spaziergängen in unaufgeräumten Seitengassen von Prag. Das Paradies war unerträglich geworden.
Der Autor ist Professor für Ökonomie an der Karlsuniversität Prag
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