Das verfehlte Leben -keine Komödie

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Anton Tschechows 1896 in St. Petersburg uraufgeführte "Möwe" ist das Stück der unglücklichen Paare. Und weil bei Tschechow die Liebe etwas Unbedingtes ist, ist das als "Komödie" betitelte Stück auch eines über das nicht gelingende, das vergebene, das falsche Leben. Falsch gleich in mehrfachem Sinne: erstens weil die Komödie in Wahrheit tief traurig ist, weil zweitens hier jeder den Falschen liebt. Kostja, der Sohn des Hauses, der mit fiebrigem Eifer eine "neue Form" für das Theater sucht, bei Jan Bosse spielt ihn der hochaufgeschossene Daniel Sträßer im Dreiteiler, liebt die junge, von naiver Lebenseuphorie strotzende Nina (Aenne Schwarz). Sie aber liebt den berühmten Dichter Trigorin, den Michael Maertens als etwas eingeschlafenen Schlappi, als emotionsarmen Angler gibt. Der biedere Wortesammler, der sich geschmeichelt fühlt und mehr aus Langeweile mit ihr flirtet, wird wiederum von Kostjas Mutter geliebt, der alternden Diva Irina Arkadina (Christiane von Poelnitz), nicht so unbedingt zwar, aber sie braucht ihn, in ihrem Kampf gegen das Älterwerden. Eigentlich liebt sie nur sich selber.

Einsame Unglücksmenschen

Dann ist da noch Polina (Barbara Petritsch), die Frau des Gutsverwalters, die den charmanten Doktor liebt, der zu viele Frauen liebte, aber nie zur Liebe fand. Ihre Tochter Mascha (Mavie Hörbiger), ein graues Mäuschen, liebt Kostja, der das nicht einmal bemerkt, heiratet aber den ihr wie ein Hund ergebenen, armen Lehrer (Peter Knaack), den sie demütigt und schließlich verlässt. Und schließlich ist da Sorin (Ignaz Kirchner), der das Leben liebt, das er nie gelebt hat und dem nichts bleibt als auf den Tod zu warten. Das ist das Personal des Stückes, lauter einsame Unglücksmenschen mit nicht zu stillenden Sehnsüchten, verirrt im Leben ohne Zukunft. Wie inszeniert man das als Komödie?

Als Spiel im Spiel vielleicht? Bosses versucht es. Er inszeniert, wie die Schauspieler die Möwe spielen. Aus diesem Grund lässt er sie mit dem Publikum kommunizieren, sie bei ihm in der vierten Reihe sitzen, sie durchwegs aus dem Zuschauerraum auftreten. Aus diesem Grund besteht seine Bühne aus einer bemalten Wand, die nichts anderes zeigt als die Brandmauer des Akademietheaters.

Bosses Zugriff ist zu unentschieden. Als Komödie zu wenig mutig und um die Figuren ernst zu nehmen, sind seine Striche zu radikal. Dass der Abend trotzdem sehenswert ist, liegt an den schauspielerischen Leistungen und nicht zuletzt auch an Tschechow, dessen meistgespieltes Stück auch als Komödie beinahe unzerstörbar ist.

Die Möwe - Akademietheater 7., 17., 28. Juni

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