"Das verwöhnte Kind Israel braucht Kritik"

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Nach der Wahl Ehud Baraks zum israelischen Ministerpräsidenten heißt es weltweit: Jetzt werde der Friedensprozeß zum Ziel führen. Felicia Langer, Alternative Nobelpreisträgerin, rechnet eher mit "viel Prozeß und wenig Frieden" - es sei denn Israels Denken wandelt sich.

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Nach der Wahl Ehud Baraks zum israelischen Ministerpräsidenten heißt es weltweit: Jetzt werde der Friedensprozeß zum Ziel führen. Felicia Langer, Alternative Nobelpreisträgerin, rechnet eher mit "viel Prozeß und wenig Frieden" - es sei denn Israels Denken wandelt sich.

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dieFurche: Kürzlich wurden Sie unter die 50 wichtigsten Frauen Israels gereiht und als "Eine-Frau-Menschenrechtsorganisation" gewürdigt. Wie kam es dazu?

Felicia Langer: 23 Jahre lang verteidigte ich als Anwältin die Palästinenser vor israelischen Gerichten. Ich habe mich für Menschenrechte eingesetzt, gegen Folterungen, Deportationen, Landbeschlagnahmungen gekämpft. 1990 schloß ich mein Büro als Protest gegen das Rechtssystem, das zur Farce geworden war. Denn während der Intifada war ich nur mehr eine Art Feigenblatt, ein Alibi für den Rechtsstaat. Das wollte ich nicht, ich wollte das System entlarven.

dieFurche: Würden Sie heute Ihre Kanzlei wieder öffnen? Hat sich das Rechtssystem in Israel verändert?

Langer: Nein, nein und nochmals nein. Meine Nachfolger beschreiben das System als noch schlimmer als damals. Die Militärgerichte sind noch da. Sie sind zwar nicht mehr im Gazastreifen, aber sie sind daneben - und sind noch schlimmer, als früher.

dieFurche: Hier hat man doch den Eindruck, die Situation der Palästinenser habe sich durch den Friedensprozeß - verbessert ...

Langer: Was die Menschenrechte betrifft, hat sich gar nichts geändert. Man kann zwar sagen: Weil die Armee nicht mehr in den Palästinensergebieten ist, tötet man nicht mehr so viele Palästinenser. Aber tatsächlich hat sich nichts geändert. Israel setzt seine Unterdrückungspolitik fort. Die Menschenrechtssituation der Palästinenser ist weiterhin sehr tragisch.

dieFurche: In Ihrem Buch "Laßt uns wie Menschen leben!" klagen sie auch palästinensische Behörden an, Menschenrechtsverletzungen zu begehen.

Langer: Das ist eine zusätzliche Tragödie. Es wird von israelischer und amerikanischer Seite Druck auf die palästinensische Führung ausgeübt, die Opposition in den eigenen Reihen zu zerschlagen. Und die Palästinenser beugen sich diesem Druck. Menschenrechte zählen dabei nicht und Folterung, Haft ohne Gerichtsverfahren, Todesstrafe ohne Berufungsmöglichkeit stehen an der Tagesordnung. Menschenrechtsverletzungen darf man aber nie rechtfertigen. Sie machen den Frieden unmöglich. Frieden braucht Versöhnung, braucht menschliche Würde, braucht Demokratie. Insbesonders wenn man mit Israel verhandelt, muß man die eigenen demokratischen Kräfte aktivieren. Das Gegenteil ist leider der Fall.

dieFurche: Nach den Wahlen konnte man von palästinensischer Seite die paradox klingende Analyse hören, Netanjahus Niederlage sei ein Unglück für die Palästinenser. Nun werde der Westen Arafat zu schlechten Kompromissen drängen. Teilen Sie diese Sicht, sind Sie auch traurig über den Wahlausgang?

Langer: Nein, als Israelin bin ich froh, daß Netanjahu und seine Regierung nicht mehr da sind. Das ist positiv, weil diese Kombination war ein Rezept für noch mehr Eskalation. Doch nicht mehr! Ich teile nicht die Friede-, Freude-, Eierkuchen-Stimmung! Der neue Ministerpräsident Barak muß erst zeigen, daß das was er vor den Wahlen gesagt hat, nicht wahr ist. Denn er hat die Siedlungen befürwortet, und eine starre Position in der Jerusalem-Frage gezeigt. Wir müssen hoffen, daß die Kräfte um Barak, die öffentliche Meinung ihn zu anderen Inhalten führt. Wenn er seine Haltung nicht ändert, wird der Friedensprozeß illusorisch und ohne Substanz sein. Das heißt viel Prozeß und wenig Frieden.

dieFurche: Neben dem was Sie aufgezählt haben, hat sich Barak entschieden für einen Palästinenserstaat ausgesprochen. Ein Grund zur Hoffnung?

Langer: Ja, aber was für einen Staat? Man kann dieses "Homeland" der Palästinenser, Staat nennen. Was bedeutet das schon? Da fehlen doch wichtige Faktoren! Wenn sie ohne Souveränität sind, ohne Wasserrechte, ohne Bodenrechte. Ein lebensfähiger Staat muß souverän sein und das Recht haben, über sich zu bestimmen. Die Wahl war ein klares Votum gegen Netanjahu, aber das ist noch kein klares Votum für Frieden mit Gerechtigkeit. Es ist ein Votum für den Friedensprozeß, und das ist gut. Man soll den Friedensprozeß weiterführen! Aber es ist noch kein klares Ja zu einem lebensfähigen palästinensischen Staat.

dieFurche: Was sind unabdingbare Komponenten für den von Ihnen geforderten Frieden mit Gerechtigkeit?

Langer: Erstens Räumung der besetzten Gebiete und Liquidierung der jüdischen Siedlungen mit Entschädigungen für die dort lebenden Siedler. Denn Wahrheit ist: Die Israelis, die dorthin gegangen sind, haben von der Regierung Förderungen bekommen. Sonst wären sie nicht gegangen. Und es gibt Siedler, die mit staatlicher Unterstützung zurückgehen würden. Nicht der harte Kern, aber nicht alle sind der harte Kern. Zweitens: Lösung der Jerusalem-Frage. Das heißt zwei Hauptstädte: Ostjerusalem für die Palästinenser, Westjerusalem für Israel. Weiters: Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge, Ende der israelischen Dominanz, gerechte Aufteilung des Wassers und ökonomische Unabhängigkeit.

dieFurche: Wieviele Israelis aber unterstützen solche Forderungen?

Langer: Zur Zeit noch eine Minderheit, aber das ist ein Prozeß. Es ist jetzt schon kein Tabu mehr - es ist noch nicht lange her, da war es eines - über den Palästinenserstaat zu sprechen. Heute ist das Problem nur mehr die Natur dieses Staates. Ich mache keine Vergleiche mit dem Holocaust, weil das unvergleichlich ist. Wahr ist aber, daß ein Volk, das so gelitten hat, sich so grausam mit einem anderen Volk benimmt. Das ist tragisch, denn es heißt, daß die meisten nicht die richtige Lehre gezogen haben - die Menschlichkeit heißt. Aber die Friedenskräfte in Israel haben die richtige Lehre gezogen. Und es sind viel mehr heute als gestern, und es wird morgen mehr geben als heute. Nur, ohne internationale Solidarität mit den Palästinensern und ohne Druck auf Israel, wird es keine Mehrheit für eine gerechte Lösung geben.

dieFurche: Wie soll dieser Druck ausgeübt werden?.

Langer: Israel bekommt vielerlei Unterstützung und Sympathie. Obwohl wir viele UNO-Resolutionen mißachtet haben, sind wir nie zur Verantwortung gezogen worden. Das ist unser Unglück, denn wir sind wie ein verwöhntes Kind und glauben, es kann so weiter gehen. Doch die Unterstützung und Solidarität gegenüber Israel darf nicht bedingungslos sein. Es wird keine Zustimmung für einen Frieden geben, ohne daß die Weltgemeinschaft ihre Solidarität, ihre Unterstützung und Sympathie entzieht. Alle wollen, daß sich der Friedensprozeß bewegt. Aber die Richtung, die Substanz der Bewegung muß Gerechtigkeit sein: Israel muß das besetzte Land räumen.

dieFurche: Sind die jüdischen Einwanderer in Israel, die Wohn- und Arbeitsplätze brauchen ein Argument gegen die Räumung der Siedlungen?

Langer: Die Siedlungen sind keine demographische Notwendigkeit, die der Wohnungsnot entspringt. Staatsgründer Ben Gurion sagte einmal in der Wüste Negev kann man zehn Millionen Juden ansiedeln. Ich glaube nicht, daß die jüngsten Einwanderungsgruppen, darunter auch die Russen, ein Hindernis für den Frieden sind. Die israelische Bevölkerung muß verstehen, daß Frieden nicht nur ein Wort ist, Frieden hat Inhalte. Die Palästinenser haben schon sehr viel nachgegeben.

dieFurche: Während sich die Verhandlungen hinziehen, werden mit dem Siedlungsbau Fakten geschaffen, die nicht mehr ignoriert werden können ...

Langer: Sicher, Fakten zu schaffen, ist klare israelische Praxis. Muß das so weiter gehen? Und: sind Fakten unveränderlich? Diese Fakten kann und muß man eben rückgängig machen. Das ist keine Katastrophe! Die israelischen Siedlungen haben in den besetzten Gebieten nichts verloren. Das ist völkerrechtswidrig! Das ist auch gegen Israels Intressen, weil wir nie Sicherheit haben werden, nie ein normales Leben genießen können, wenn die Palästinenser nicht ihre Rechte bekommen.

dieFurche: Wie soll sich Europa im Friedensprozeß, im Verhältnis zu Israel, zu den Palästinensern verhalten?

Langer: Die Resolutionen gegen die Siedlungen waren sehr positiv. Auch die Erklärung, daß die Palästinenser das Recht auf Selbstbestimmung haben, ist klarer und besser als die von seiten der USA. Aber das ist nicht genug. Das wichtigste ist zu kritisieren, zu verurteilen, Konsequenzen zu ziehen. Zu sagen, es werde keine Unterstützung mehr geben, wenn die israelische Politik weiterhin den Frieden ablehnt. Minimumforderung ist: ein unabhängiger, lebensfähiger, palästinensischer Staat. In diese Richtung muß Europa Israel drängen. Wir brauchen um unser selbst willen Kritik!

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Felicia Langer wird am 2. Juni 1999 im Salzburger Bildungshaus St.Virgil zur Situation der Palästinenser und die Zukunft der Friedensbemühungen sprechen.

Literaturhinweise: Laßt uns wie Menschen leben! Schein und Wirklichkeit in Palästina, Lamuv Verlag Göttingen 1999, kart., 205 Seiten, öS 137,Miecius später Bericht. Eine Jugend zwischen Getto und Theresienstadt, Lamuv Verlag Göttingen 1999, kart.

Zur Person Israelische Anwältin für Palästinenser Felicia Langer wurde 1930 in Polen als Kind jüdischer Eltern geboren. Vor der deutschen Invasion floh sie in die Sowjetunion. Nach dem Krieg heiratete sie Mieciu Langer, "der es irgendwie geschafft hatte, aus fünf Konzentrationslagern lebend herauszukommen". Beide wanderten nach Israel aus, wo sie Jus studierte. Als Rechtsanwältin setzte sich Langer nach dem Krieg 1967 und der Besetzung von Gaza-Streifen und Westbank für die Menschenrechte der Palästinenser ein. Israelische Landsleute bedrohten sie deswegen; von palästinensischer Seite erntete sie Dank und Anerkennung, wurde Ehrenbürgerin von Nazareth. 1990 erhielt Langer den Alternativen Nobelpreis, 1991 den "Bruno-Kreisky-Preis" für Menschenrechte. Felicia Langer lebt heute in Tübingen. Sie ist Autorin mehrerer Bücher.

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