"Das war ein Gejohle"

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Rudolf Leopold, Kunstsammler und museologischer Direktor des Wiener Leopold Museums, über seine Leidenschaft für Schiele und die wieder aufgeflammte Restitutionsdebatte.

Wenn Rudolf Leopold über seine Sammlung spricht, leuchten die Augen des 83-Jährigen. Die Leidenschaft für Kunst treibt den Direktor des Leopold Museum bis heute. Bereits während seines Studiums begann der 1925 in Wien geborene Rudolf Leopold mit dem Sammeln von Bildern, besonders des damals kaum beachteten Egon Schiele. Zu Schiele kamen später Hauptwerke des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Kunstgewerbe und Möbel der Jahrhundertwende hinzu. So entstand im Lauf von Jahrzehnten, was als - weltweit einzigartige - Sammlung Leopold 1994 in die Leopold Museum-Privatstiftung einging; 2001 wurde das Museum im Wiener MuseumsQuartier eröffnet. Immer wieder stand Leopold auch im Zusammenhang mit der Debatte um Restitution im Kreuzfeuer der Kritik; im Rahmen des diesjährigen 70-Jahrgedenkens der Novemberpogrome entzündete sich der Streit erneut. Andreas Nödl, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied der Stiftung, erklärte, man werde dem "sensiblen Thema weiterhin nur auf sachlicher Ebene begegnen". Zu diesem Zweck wolle man "den Weg einer zusätzlichen, unabhängigen Provenienzforschung" beschreiten und werde sich davon "weder durch Zurufe von außen noch durch Aktionismus abbringen lassen".

Die Furche: Herr Professor Leopold, Sie als Person und dieses Haus werden in erster Linie mit Egon Schiele verbunden. Was macht bis heute die Faszination von Schiele aus?

Rudolf Leopold: Egon Schiele ist einer der zwei bedeutenden österreichischen Expressionisten - der andere ist Kokoschka; und Schiele ist sicher der größere Zeichner als Kokoschka. Kokoschka war ein hervorragender Maler, aber nur bis 1925. Dann hat er sehr nachgelassen. Es gibt auch keinen deutschen Expressionisten, der die gleiche Zeichenkunst besessen hat wie Schiele. Seine Vorbilder waren Albrecht Dürer und Hans Holbein der Jüngere. Man mag zunächst verwundert sein, wenn man an die kühlen Porträts von Holbein denkt. Aber das künstlerisch Wesentliche - die Laien sehen ja immer nur das Motiv - ist, dass es Schiele, genauso wie Holbein, gelungen ist, bloß mit der Umrisszeichnung auch die Raumsituation herzustellen; also das Räumliche zu geben und womöglich noch Emotionen - und das alles mit seinem mehr oder weniger stark aufdrückenden und teilweise auslassenden Stift. Schiele war aber auch ein sehr interessanter Maler, wobei seine Gegner immer gemeint haben: "Ah, der kann nur zeichnen." Das stimmt aber überhaupt nicht. Er hatte nur eine andere Art zu malen.

Die Furche: Als Sie begonnen haben, sich für Schiele zu interessieren, seine Werke zu kaufen, standen Sie damit ziemlich alleine …

Leopold: … und nicht nur das, Schiele war ein Verachteter! Er wurde als degenerierter und entarteter Künstler bezeichnet - man hat sogar diesen blöden Terminus des "Dritten Reichs" bei ihm angewandt. Als ich den "Gelben Akt" 1954 im Dorotheum ersteigerte, hat man es nicht gewagt, den im Auktionssaal herzuzeigen. Das war ein Gejohle, als der Schiele an die Reihe kam, Händler haben gerufen: "Der gehört heruntergerissen und verbrannt!" Ich bin als Verrückter und als Liebhaber von Pornografie bezeichnet worden - aber Schiele ist eben nicht pornografisch, er ist sehr erotisch. Der Unterschied ist, dass ein Pornograf einschlägige Dinge eiskalt darstellt, um sein Machwerk verkaufen zu können - während der erotische Künstler bei der Darstellung mitfiebert und etwas künstlerisch umsetzt.

Die Furche: Wie kam es, dass sich das Verständnis von Schiele binnen weniger Jahrzehnte so geändert hat?

Leopold: Es ist falsch, wenn die Leute immer sagen, das ist von Amerika ausgegangen. Otto Kallir (österreichisch-amerikanischer Kunsthistoriker, Verleger und Kunsthändler; Anm.) konnte, wie er mir selbst erzählt hat, bis zum Jahr 1958 keinen Schiele verkaufen. Dann ist es plötzlich gegangen. Warum? William Sandberg, der Leiter des städtischen Museums in Amsterdam, hat eine Ausstellung moderner österreichischer Künstler, darunter Schiele, zusammengestellt. 1955 ist er gekommen, da war ich gerade 30 Jahre alt, und hat gesagt: "Ich habe eine Idee: Stellen Sie mir den Schiele-Teil allein zusammen." Wie kam ich zu solch einer Ehre? Damals waren nur Professoren für Kunstgeschichte dabei. Sandberg aber sagte: "Sie haben so eine lebendige Art, und Sie sehen die Dinge eigentlich wie ein richtiger Maler an." Das war meine Stärke - nur wenige haben dieses "Schauen wie ein Maler". "Und außerdem", fügte Sandberg hinzu, "haben Sie auch das Wissen eines Kunsthistorikers, das könnte etwas Schönes werden." Und so habe ich den Schiele-Teil zusammengestellt. Das waren zwar nur sieben Prozent der ausgestellten Werke - aber dieser Teil hat den Erfolg der gesamten Ausstellung ausgemacht. Der damals bekannteste Kunstkritiker Deutschlands, Albert Schulze-Vellinghausen von der FAZ, ist extra angereist und hat geschrieben: "Der uns bisher unbekannt gewesene Egon Schiele rückt mit einem Schlag in die erste Reihe der europäischen Zeichner auf."

Die Furche: Wie empfinden Sie die seit einiger Zeit laufende Museumsdebatte? Es wird immer wieder kritisiert, dass alle im Prinzip dasselbe zeigen. Wie sehen Sie das? Sollte der Staat irgendwelche Vorgaben machen?

Leopold: Das Leopold Museum ist als Sammlermuseum eine Einheit. Es ist durchwegs vom 19. bis zum 20. Jahrhundert aus einem Geist geschaffen: Realität, Modernität, Expression, Qualität, so wie ich es empfunden habe, bei jedem einzelnen Stück unserer Sammlung. Die politisch Zuständigen verstehen nicht, dass ein Museum auch ein Ankaufsbudget braucht. Wir haben - und das ist eine unglaubliche Niedertracht - ein Drittel der Jahressubventionen des MUMOK (Museum für Moderne Kunst, Stiftung Ludwig; Anm.). Dabei sind alle wirklich wichtigen Werke, die Ludwig gesammelt hat, in Aachen und in Köln, darunter einer der berühmtesten Kokoschkas, "Die Heiden", ein liegendes Liebespaar. Wir haben einen Bruchteil der Subventionen von Peter Noevers MAK, der nicht tut, was er tun sollte, nämlich die großartige Kunstgewerbesammlung ausstellen.

Die Furche: Sie fühlen sich benachteiligt …

Leopold: Ohne meine Sammlung wäre das gesamte MuseumsQuartier nicht gegründet worden. Es wäre nicht durchzubringen gewesen, wenn ich nicht meine Bilder hergegeben hätte. Und ich habe eigentlich keinen Dank dafür. Unsere Sammlung ist von Kennern im In- und Ausland als ein Kunstwerk bezeichnet worden. Sie hat wirklich einen einzigartigen Aufbau, sie beinhaltet zudem die weitaus wichtigste Schiele-Sammlung der Welt, überdies eine der wichtigsten Alfred Kubin-Sammlungen. Wir machen ununterbrochen qualitativ hochwertige Ausstellungen. Das Leopold Museum ist das bestbesuchte Haus im MuseumsQuartier, ein wichtiger Tourismus-Magnet. Und für all das kriegen wir ein Hunger-Budget ohne Ankaufsmöglichkeit und bislang nicht indexangepasst! Jemand hat vorgeschlagen: "Naja, man kann ein paar Schiele-Bilder verkaufen, um wieder zu Geld zu kommen. Erstens ist das gegen die Stiftungssatzung, und zweitens ist das ja verrückt, da würde man die Sammlung als Gesamtwerk geradezu vernichten!

Die Furche: Fühlen Sie sich von der Öffentlichkeit missverstanden?

Leopold: Von der Öffentlichkeit nicht, aber von einem Teil der veröffentlichten Meinung ganz bewusst. Für viele dort ist Kunst nur das Federl am Hut, mit dem repräsentiert werden soll. Aber in Wirklichkeit haben sie keine Beziehung zur Kunst.

Die Furche: Also ist es Ahnungslosigkeit?

Leopold: Auch Talentlosigkeit. Für die Kunst braucht man von Natur aus ein Talent. Wenn man es hat, kann man sie durchschauen und vergleichen - wenn nicht, dann eben nicht.

Die Furche: Haben Sie es bereut, dass Sie Ihre Sammlung zur Verfügung gestellt haben?

Leopold: Ja, ich habe es bereut, und ich hätte es nicht getan, wenn ich gewusst hätte, wieviel hier gelogen wird und welche Aktionen der Herr Muzicant (Ariel M., Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde; Anm.) starten würde, wie etwa die Absperrbänder bei unserem Haus mit der Aufschrift "Tatort Raubkunst" - und das am Tag der Erinnerung an die Novemberpogrome.

Die Furche: Wie erklären Sie sich, dass die Debatte über Restitution erneut aufgeflammt ist?

Leopold: Das ist ganz einfach: weil die Preise so hoch sind, dass es sich lohnt, diese Sachen versteigern zu lassen.

Die Furche: Aber eine Zeit lang schien es, als wäre aus dem Thema die Luft ziemlich heraus …

Leopold: Ja ja … Vor etwa fünf Jahren war ich bei Dr. Muzicant und habe bezüglich des einzigen Bildes, bei dem man nach derzeitigem Wissensstand davon ausgehen muss, dass es nicht restituiert wurde - Schieles "Häuser am Meer" - gesagt, dass ich im Jahr 1998 erfahren habe, dass es entzogen wurde. Ich hatte es seinerzeit rechtens erworben, denn der Besitzer hatte mir gesagt, er habe es von seinem Vater geerbt. Daraufhin hat Muzicant zu mir gesagt - was er später geleugnet hat: "Sie sind der einzige, der die Moral hat, dass er etwas beisteuern möchte. Ich komme in einer Woche auf Sie zu, wir machen dann ein Abkommen." Wer nicht auf mich zugekommen ist, war der Herr Muzicant. Dreizehn Monate später sehe ich ihn bei der Eröffnung einer Ausstellung und erinnere ihn daran, dass er auf mich zukommen wollte. Da entgegnet er: "Aber das kann ich doch nicht gesagt haben!" Immerhin hat darauf Erika Jakubovits, ansonsten eine besondere Gegnerin von mir (Executive Director der Kultusgemeinde; Anm.), gemeint: "Doch, das haben Sie gesagt!" Von mir ist die Hand gereicht, ich stehe dazu.

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