Das Weltbild eines Massenmörders

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Massenmörder, der gleichzeitig Rechtsextremer und Freimaurer ist? Passt das zusammen? Versuch der Interpretation des Weltbildes von Anders Breivik.

Als Anders Nehring Breivik am 22. Juli durch das Ferienlager Utöya tobte, streckte er mit großer Wahrscheinlichkeit auch Söhne und Töchter von Männern nieder, die er seine "Brüder“ nannte. Seit Anfang dieser Woche kann er das nicht mehr, denn die Freimaurerloge "St. Olaus til de tre Søiler“ ("St. Olav zu den Drei Säulen“) in Oslo, die größte von acht anerkannten sogenannten Johannislogen in der Hauptstadt, hat die Unperson aus ihren Reihen entfernt. "Der mutmaßliche Massenmörder wurde mit sofortiger Wirkung von dieser Loge ausgeschlossen“, heißt es in einer Erklärung der Großloge (der maurerischen Dachorganisation) von Norwegen. Und weiter: "Was bei diesem Verbrechen den Menschen angetan wurde, ist völlig unvereinbar mit dem, wofür die Freimaurerei steht: Humanismus, Toleranz, Brüderlichkeit…”

Freimaurer und Templer

Tatsächlich haben die norwegischen Freimaurer neben dem moralischen auch einen formellen Anlass zur Distanzierung, denn während Breivik zum Beispiel aus der rechtspopulistischen "Fremskrittspartei“ bereits 2004 wieder ausgetreten ist, führen ihn die Freimaurerakten noch 2008 als Lehrling (der erste Grad), und zeigt ihn ein von ihm selbst ins Netz gestelltes Porträtfoto in der Montur eines Freimaurers im dritten Johannisgrad, dem eines Meisters. Er war bis zuletzt Angehöriger seiner Loge.

Die Templertradition, die er in seinem 1500-Seiten-Pamphlet beschwört, gehört auch nicht zum Repertoire von Neonazis, sondern zur Symbolik einiger freimaurerischer Hochgrade, die der "Spiegel“ einmal so charakterisierte:

"Die Hochgrad-Maurerei schmeichelte der Eitelkeit und reizte zugleich die Phantasie. Die Geschichte der Bruderschaften wurde zurückverlängert und gewissermaßen geadelt. Nicht die schlichten Handwerker der Dome, sondern die ebenso exklusiven wie geheimnisumwitterten Tempelritter der Kreuzzugszeit sollten nun am Anfang der maurerischen Ahnenkette stehen.“

Egal ob Breivik sich je einem weiterführenden Hochgradsystem angeschlossen hatte, steht fest, dass die Freimaurerei eigentlich keine zwingende Domäne christlicher Betulichkeit ist. Die große Ausnahme ist Skandinavien.

Die nordischen Logen sind Orden protestantischer Prägung, die nur Christen aufnehmen. Das macht sie freilich nicht zu Glaubenskriegern, aber es erklärt, warum dort prononcierte Christen wie Breivik akzeptiert werden, die anderswo, so auch in Österreich (vor allem in ihrer kontroversiellen katholischen Variante) von den oft agnostischen "Brüdern“ bisweilen mit Skepsis beäugt werden.

Der König an der Spitze

Dennoch sind die skandinavischen Orden in der Weltvereinigung wohlgelitten, da an ihrer Spitze als Großmeister immer Mitglieder der königlichen Familien stehen. Was Breivik aus dem Templerspiel gemacht hat, ähnelt indessen dem bösen Zerrbild eines Lanz von Liebenfels (siehe Kasten).

Darin liegt - abgesehen von der menschlichen Tragödie der Opfer und der Traumatisierung eines ganzen Landes - die multiple Tragik der Tat Breiviks: Er brauchte wohl keine Freimaurer auf der einen, oder die Aufbereitung eines diffusen "politischen Terrains“ durch die Norwegische Fortschrittspartei auf der anderen Seite. Er musste nicht erst aufgehetzt werden.

Menschen wie Breivik denken hermetisch, in einem abgeschlossenen System, das auf keine Zurufe von Geheimbünden oder Ansporne der Tagespolitik angewiesen ist. Er benötigt keinen Austausch, keine Diskussionen. Er ist sein eigener Geheimbund. Und selbst wenn er Helfer gehabt haben sollte braucht es für die Erklärung dieser Wahnsinnstat keine übergeordnete Verschwörungstheorie. Vom König abwärts, den er bis vor wenigen Tagen noch Bruder nennen durfte, könnten die meisten männlichen Exponenten der Elite Norwegens als Kronzeugen aussagen, dass die kreuzbiedere nordische Freimaurerei keine extremistischen Züge trägt, sondern vielleicht sogar ein wenig langweilig und spießig ist. Breivik ist ganz gewiss kein Freimaurer der Gesinnung nach, selbst wenn er einen Schurz trug.

"A Knights Templar does not fear death, he desires it.” ("Ein Tempelritter fürchtet den Tod nicht, er sehnt ihn herbei.“), sagt er in seiner Videobotschaft (siehe Kasten). Diesen Wunsch hat sich der Terrorist des 22. Juli 2011 nicht erfüllt, und auch das norwegische Rechtssystem wird ihm den "Märtyrertod“ nicht gönnen, da es die Todesstrafe nicht kennt. Immerhin "Bruder“ Anders Nehring Breivik ist nicht mehr.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung