Das wirklich große Projekt

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Über die Notwendigkeit einer Erneuerung der politischen Kultur.

Das ist nicht mehr meine SPÖ": So erklärte die ÖH-Vorsitzende und VSStÖ-Abgeordnete Barbara Blaha ihren Parteiaustritt. Der Entschluss bleibt ihr selbstverständlich unbenommen - und warum deswegen noch lange nicht aller Tage Abend in der Politkarriere der Studentenvertreterin sein muss, deutet Wolfgang Machreich in seinem "Zugespitzt" auf Seite 8 an.

Aber man möchte doch gerne tiefer in die politische Vorstellungswelt von Blaha & Co. eindringen. Haben all jene, die nun - über das leidige Thema "Studiengebühren" hinaus - ihrer Enttäuschung und Wut Luft machen, nicht mitbekommen, wie sich sozialdemokratische Parteien in Europa entwickelt haben, zumal wenn sie Regierungsverantwortung zu tragen haben? Oder dachten sie, dass es so etwas wie einen österreichischen Sonderweg geben könnte, auf den schließlich alle Sozialdemokraten guten Willens einschwenken müssten? Österreich als "Zukunftswerkstatt", die die Völker ringsum in ihren Bann zieht? Damit wären die Blahas freilich nicht alleine; solche habituelle Selbstüberschätzung ist hierzulande ein parteiübergreifendes Phänomen, gemäß dem überkommenen austriakischen Witz: "Ein Geisterfahrer? Hunderte!"

Oder ist Barbara Blahas SPÖ jene des steirischen Landesfürsten Franz I. des Leutseligen, der uns in einem an Bizarrerie kaum zu überbietenden TV-Auftritt jüngst tief in die Abgründe der "Provinz" blicken ließ (schmerzlich gerade für jene, die - wie diese Zeitung - nicht zu den notorischen Bundesländer-und Föderalismus-Bashern zählen)?

Wie auch immer - die Studiengebühren sind nichts anderes als Ausdruck einer Einsicht, die in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft weitgehend unbestritten und auch unhintergehbar ist, und an dem auch ein Alfred Gusenbauer (außer vielleicht damals in der Sandkiste) gewiss nie rütteln wollte: Jeder bezahlt sein Essen selbst; wer das aber nicht kann, wird selbstverständlich im nötigen Ausmaß von der Solidargemeinschaft unterstützt. "There is no free lunch" - gratis ist das Essen (das Studium, die Gesundheit, die Sicherheit, ...) nie, irgendwer bezahlt immer. Warum aber sollen die mit Wurstsemmel und Bier das 5-Gang-Menü plus Flaschenwein mitfinanzieren? Über die konkreten politischen Schlüsse, die aus diesem Grundgedanken zu ziehen sind, kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein; aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es bei manchen schon am entsprechenden grundlegenden Bewusstsein mangelt - was man nicht anders denn als eine Art historisches Missverständnis bezeichnen kann.

Das Gegenkonzept zu diesem Missverständnis wie auch zu einem radikalen Liberalismus mag man "soziale Marktwirtschaft" oder "solidarische Hochleistungsgesellschaft" (\0xA9 Alfred Gusenbauer) nennen - es ist jedenfalls das einzig Zukunftsweisende.

Dennoch gibt es etwas, das auch jene, die sich inhaltlich nicht mit den lautstark auftretenden Kritikern identifizieren können, beunruhigen sollte: die Tatsache der gebrochenen Wahlversprechen. Die kühlen Analytiker, die Techniker der Macht, die Zyniker lehnen sich zurück, lächeln fein und sagen: War doch immer so, alles wie gehabt, bitt' dich gar schön ... Stimmt natürlich; aber vielleicht markieren die Proteste doch auch eine Zäsur im Gespür der Politiker, befördern die Schärfung des Sensoriums dafür, was nicht geht. Vielleicht - zugegeben, das klingt nach an Naivität grenzendem Optimismus - haben künftige Wahlkämpfer doch mehr Scheu, tief in den Populismus-Topf zu langen und schamlos das Blaue vom Himmel zu versprechen; und mehr Mut, Klartext zu reden.

Will man die bereits weit fortgeschrittene Abwendung der Bürgerinnen und Bürger aus der Politik stoppen, wird es jedenfalls nicht ohne eine Neuorientierung der handelnden Personen im beschriebenen Sinne gehen. Oder, wie es Erhard Busek im Furche-Streitgespräch (S. 2 f.) formuliert: "Es geht nicht um die Frage: ,Große Koalition neu?', sondern: ,Demokratie neu?'". Hier eine Wende einzuleiten, wäre in der Tat jenes große Projekt, aus dem die Koalition ihre tiefere Legitimation beziehen könnte.

rudolf.mitloehner@furche.at

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