Das Wirtschaftswachstum? Shit!

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Materialfluten: Thomas Köck erzählt nicht nur von ihnen, er präsentiert auch eine textreiche Sprachpartitur, der er den Untertitel "verirrte sinfonie" gibt. Der erste Teil seiner Klimatrilogie, "paradies fluten", hatte am Samstag im Akademietheater österreichische Erstaufführung.

Der Autor verwebt mehrere Erzählstränge: Parallel zu Szenen in Brasilien zur Zeit des Kautschuk-Booms entwirft er dystopische Bilder als Konsequenzen des Kolonialismus und stellt diesen ein heutiges Mittelstandsunternehmen gegenüber. Der begehrte Kautschuk verbindet die Ebenen. Der Boom um das "brasilianische Gold" hat die Ausrottung der Regenwälder und die Vertreibung der Indigenen zur Folge. All das fußt auf dem Wachstumswahn der westlichen Welt.

"Freier Mechanikermensch"

Köck bezieht sich in seiner Sichtweise auf Karl Marx, "dessen Geschichtslogik mein Schreiben begleitet". Der Autor erzählt von kapitalistischer Ausbeutung und Globalisierung, die längst die Mittelschicht getroffen und für soziale Ungleichheit gesorgt haben.

In "paradies fluten" macht sich ein KFZ-Mechaniker selbstständig, trotz der Bemühungen geht die Firma in Konkurs. Der Vater erleidet einen Schlaganfall. Die Tochter, eine Tänzerin, lebt im Prekariat. Der Weg an die Spitze bedeutet für sie nichts anderes als ein berufliches "Unterkommen": Sie wünscht sich ein Festengagement. Bis dahin bleibt "Querfinanzierung" ihr Hauptwort.

Aenne Schwarz ist als trotzige Tochter zu sehen, Katharina Lorenz gibt die verkrampfte Mutter, die nur die Schulden der Firma sieht und im Vater nichts als den "Erzeuger". Den spielt Peter Knaack mit verzweifelten Bemühungen, endlich ein "freier Mechanikermensch" zu werden. Im spätmodernen Subjektdiskurs gibt es kein Ich mehr. Die Figuren sprechen über sich in der dritten Person. Die Sprache der Wirtschaft spricht sie.

Wohin das Versprechen vom Wirtschaftswachstum führt, das zeigen zwei Schicksalsgöttinnen. Sabine Haupt und Alina Fritsch hauchen ein "Shit!" schon zu Beginn ins Publikum. Sie tragen langes, goldenes Haar, auch ist das Gesicht mit goldenem Firnis überzogen. In diesem Moment befinden wir uns 3,5 Milliarden Jahre nach der Jetztzeit: Die Sonne ist implodiert, eine Wand mit unzähligen Glühbirnen (Bühne und Kostüme:

Thea Hoffmann-Axthelm) blendet die Zuseher. Menschen wälzen sich im Dreck, irgendwo zwischen Brasilien und der Zukunft. Die "Postparzen" lassen Sand durch ihre Hände rieseln, Gestern und Morgen, alles ist eins.

Im Vorwort zum Stück wünscht Köck der Regie "viel Spaß". Davon ist in Robert Borgmanns dreistündiger Inszenierung nichts zu spüren. Er nimmt schlicht den Text als Vorlage und bebildert ihn. Statt szenischer Lösungen zelebriert er die Apokalypse. Darin besteht leider ein grundlegendes Missverständnis. Das Premierenpublikum applaudierte dennoch freundlich.

paradies fluten

Akademietheater, 20., 22., 26. Sept.

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