Das Wissenschafts-Panoptikum der Krisen

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Regeln machen nicht nur die Natur des geordneten Zusammenlebens des Menschen in einer Gesellschaft aus. Sie bestimmen offenbar auch den regelmäßigen Zusammenbruch seiner diversen Wirtschaftssysteme. Diesen Regelmäßigkeiten sind die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff auf der Spur und sie führen uns ein reichlich mit wissendem Augenzwinkern gespicktes Werk über „Acht Jahrhunderte finanziellen Irrsinns“ vor Augen.

„Dieses Mal ist alles anders“, lautet dabei die Selbsttäuschung von Politik und Wissenschaft, die solchen Krisen sehr häufig vorhergeht. Reinhart und Rogoff malen die lange Suche nach dieser Stabilität mit Tabellen und Zahlenreihen, sie isolieren Banken- von Währungs- und Geldentwertungs- von Deflationskrisen und Staatsbankrott. Sie geben Journalisten dankbares Futter an die Hand, etwa wie oft ein Land im Laufe einer bestimmten Periode bankrott war.

Was ist eine Krise?

Das ist oberflächlich zwar schön zu lesen, schnelle in kurzen Zeitungstabellen abhandelbare Information, doch schon auf den ersten Seiten zeigt sich, wie schwer es die Autoren hatten, den Krisenbegriff zu definieren. Bedeutet eine Inflation von 20 Prozent zu allen Zeiten eine Inflationskrise? Was bedeuten Geldentwertungen für Gesellschaften, die noch relativ problemlos in den Naturalienhandel oder in Parallelwährungen wechseln können? So befand sich Griechenland nach Angaben Reinharts und Rogoffs von 1800 bis nach 1945 in kontinuierlichem Bankrott, was nicht heißt, dass die griechische Wirtschaft nicht trotzdem funktionierte, wie die Autoren betonen.

Die interessantesten Informationen des Buches finden sich nicht in den Tabellen, sondern im Text. Beispielsweise in der Analyse, dass die Staatspapiere von bankrotten Staaten nach einer länger dauernden Wartefrist zumeist mehr als ihren ursprünglichen Wert gewannen. Auch „Inflationsnationen“ ließen sich da historisch herausarbeiten. Österreich und Deutschland etwa verzeichnen schon zwischen 1500 und 1800 eine relativ geringe Zahl von Inflationsjahren, Italien und Portugal hingegen schon. Doch solche Zeitreihen verhindern nicht exzessive Inflationskrisen zu anderen Zeiten, wie Deutschland sie in der Zwischenkriegszeit erlebt hat.

Die aktuelle Krise findet im aktuellen Teil des Buches breite Erwähnung und wird statistisch ausgefeilt mit den Krisen in Asien und der Dotcom-Blase verglichen. Weil sich die Wirklichkeit aber nicht anlässlich eines Buches einfach verkehrt darstellt, landen die Autoren in ihrer Zusammenfassung auf Seite 292 bei einem überraschend einfachen Resümee: „So wie ein Individuum bankrottgehen kann, egal wie reich es einmal war, so kann auch ein Finanzsystem unter dem Druck von Gier, Politik und Profit zusammenbrechen unabhängig davon, wie gut reguliert es erscheinen mag.“ Lesenswert.

Dieses Mal ist alles anders

von Carmen Reinhart/Kenneth Rogoff

Finanzbuch Verlag, München 2010

Gebunden, 592 Seiten, € 34,90

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