Das Zuckmayer-Dossier

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Wer ist schlimmer? Wer aus naiver Überzeugung den abstrusen Ideologien einer totalitär agierenden Partei und ihren falschen Propheten folgt, oder wer den faulen Zauber zwar durchschaut, aber eilends sein Mäntelchen in den Wind hängt, um mit der Gunst der Mächtigen Karriere zu machen?

Solche Fragen können einem angesichts jener rund 150 Charakterporträts in den Sinn kommen, die der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer 1943/44 für den amerikanischen Geheimdienst Office of Strategic Services (OSS) verfasst hat. Die Frankfurter Allgemeine veröffentlicht vorab die bisher im Deutschen Literaturarchiv Marbach unter Verschluss gehaltenen Texte, die Anfang März im Röhrig Universitätsverlag in Buchform erscheinen werden. Zuckmayers Personenbeschreibungen sind natürlich subjektiv - er hatte auch nicht das geballte Wissen der heutigen zeitgeschichtlichen Forschung über die Biographien der Kulturgrößen der NS-Zeit - aber ohne Zweifel dem Bemühen um Ehrlichkeit und Objektivität entsprungen. Wie in seinem Drama "Des Teufels General" zeigte er auf, dass es auch ein "anderes Deutschland" gab.

Zuckmayers Auftraggeberin, die Emigrantin Emmy Rado, wollte von ihm möglichst viel "Schmutz" über die ihm persönlich bekannten Schriftsteller, Schauspieler, Regisseure, Journalisten und Verleger, die nicht emigriert waren, erfahren. Sie war mit den Dossiers sehr zufrieden, obwohl Zuckmayer nicht auf Denunziation aus war und in seinen literarisch hochwertigen Porträts nur wenige explizit als Fanatiker oder Nutznießer und Karrieristen hinstellte, etwa eine Leni Riefenstahl. Dem Publikumsliebling Heinz Rühmann stellte Zuckmayer hingegen einen Persilschein aus: "Charakterlich ist er in jedem Fall ein vorzüglicher Mann". Über Gustaf (bei ihm Gustav) Gründgens fiel sein Urteil recht differenziert aus: "Er geht mit unsichtbaren Schlittschuhen an den Füßen am liebsten auf blankem Eis - auf einem weniger glatten und ungefährlichen Boden würde er vermutlich straucheln und stolpern."

Heute ist Boden für Künstler, Kulturschaffende und Medienleute sicher viel weniger gefährlich, aber die Versuchung, sich der Karriere zuliebe bei Machthabern oder Parteien anzubiedern, dürfte kaum geringer geworden sein.

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