Datenmassage für ein bisschen Ruhm

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Newton, Einstein, Kammerer: Das Fälschen oder "Schönen" von Forschungsdaten hat in der Wissenschaftsgeschichte Tradition.

Mit dem Fall Hwang Woo-Suk hat die Wissenschaft wieder einmal einen handfesten Skandal. Fehlgeleiteter Ehrgeiz und ungehemmter Konkurrenzkampf haben freilich schon zu allen Zeiten Forscher zu Lug und Trug verführt. Vermutlich hat der englische Mathematiker Sir Charles Babbage (1792-1871) sich als Erster systematisch mit dem Betrugsphänomen in der Wissenschaft beschäftigt. Er stellte eine Klassifikation von verschiedenen Betrugsformen auf, die auch heute noch durchaus gültig ist.

Nach Babbage ist "Forging" die schlimmste Form des wissenschaftlichen Betrugs. Er versteht darunter die totale Fälschung von Daten, um damit einen wissenschaftlichen Erfolg verkünden zu können, ohne mühsam die dafür notwendige Basis erarbeiten zu müssen. Hwang Woo-Suk scheint in diese Kategorie zu gehören.

Einfach abgeschrieben

Ein anderer, besonders dreister Betrüger hat von 1977 bis 1980 in den usa sein Unwesen getrieben. Er nannte sich Dr. Elias Alsabti, obwohl er nie ein Medizinstudium abgeschlossen hatte. Mit gefälschten Empfehlungsschreiben gelang es ihm, in renommierten Kliniken und Forschungsinstituten tätig zu werden. Am Ende seiner "Laufbahn" hatte er etwa 60 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Sein Rezept war einfach aber wirkungsvoll: Er schrieb Artikel aus Zeitschriften ab, änderte die Überschrift geringfügig und setzte als Autor seinen eigenen Namen ein. Solche "Manuskripte" schickte Alsabti dann an andere weniger bekannte Zeitschriften, die sie meistens auch veröffentlichten. Dieses System funktionierte erstaunlicherweise mehrere Jahre ziemlich reibungslos. Der selbst ernannte Doktor wurde dafür nie zur Rechenschaft gezogen - weil er eines Tages spurlos verschwand.

Auch der Fall des deutschen Physikers Jan Hendrik Schön beruhte weitgehend auf "Forging". Schön, der auf dem Gebiet der Mikroelektronik arbeitete, ging 1997 in die usa und publizierte in kurzer Zeit viele Aufsehen erregende Artikel. Die Max-Planck-Gesellschaft wollte den jungen Forscherstar 2002 als Direktor an das Institut für Festkörperforschung in Stuttgart berufen. Kurz vor der Vertragsunterzeichnung meldeten aber Forscherkollegen Zweifel an Schöns Publikationen an. Eine Kommission stellte schließlich fest, dass mindestens 16 von 24 Arbeiten ganz oder teilweise gefälscht waren. Die Max-Planck-Gesellschaft zog ihr Berufungsangebot zurück - und Schön verschwand in der Versenkung.

Sehr viel weiter verbreitet als das "Forging" ist nach Babbage freilich das "Cooking". Es bedeutet, dass die Ergebnisse durch das Verschweigen abweichender Werte "geschönt" werden. Solche unerlaubten Eingriffe haben durchaus auch einige sehr berühmte Forscher vorgenommen. Der große Albert Einstein hat beispielsweise 1915 gemeinsam mit dem holländischen Physiker Johannes de Haas den Magnetismus erforscht. Auf Grund theoretischer Überlegungen gingen die beiden davon aus, dass bei ihren geplanten Experimenten das Ergebnis exakt 1 sein müsste. Bei zwei Messreihen lagen die Ergebnisse aber bei 1,45 und 1,02. Da ihnen der erste Wert zu hoch erschien, veröffentlichten sie nur den zweiten. Leider stellte sich später heraus, dass sie sich verkalkuliert hatten, denn der richtige Wert wurde von anderen Forschern bei 2 ermittelt. Während de Haas die Manipulation zugab, hat Einstein sich zu dieser peinlichen Geschichte nie geäußert.

Als weitere Fälschungskategorie hat Babbage das "Trimming" genannt - im Deutschen spricht man in diesem Fall auch oft von "Datenmassage". Dabei werden Messwerte so lange manipuliert, bis sie in ein vorgefasstes Erwartungsschema passen. Heute werden dafür auch statistische Verfahren mehr oder minder deutlich missbraucht. Ein Meister der Datenmanipulation war der berühmte englische Physiker Isaac Newton. Er bearbeitete seine Messwerte oft mit recht willkürlich festgelegten Korrekturfaktoren. Dank seiner Genialität gelang ihm aber trotzdem die Aufklärung vieler Naturgesetze.

Ein sehr spektakulärer Fall, der wohl am ehesten auch als "Trimming" bezeichnet werden kann, ereignete sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Wien. Damals herrschte in der Biologie noch eine heftige Auseinandersetzung zwischen den "Darwinisten" und den "Lamarckisten". Während erstere annahmen, dass neue Eigenschaften bei Tieren durch evolutive Auslese entstehen, meinten die anderen, erworbene Eigenschaften könnten direkt auf die Nachkommen vererbt werden. Um diese Frage zu klären, experimentierte der Biologe Paul Kammerer mit Geburtshelferkröten. Es gelang ihm, einige dieser normalerweise an Land lebenden Kröten an das Leben im Wasser zu gewöhnen. Bei diesen Tieren beobachtete Kammerer, dass im Laufe mehrerer Generationen bei den Männchen an den Vorderextremitäten kleine Hornwucherungen entstanden. Solche Schwielen findet man sonst nur bei männlichen Wasserkröten, die sich damit bei der Begattung an der feuchten Haut der Weibchen festhalten. Kammerers Ergebnisse wurden weltweit als Beweis des Lamarckismus gefeiert. Vor allem in Russland war man hocherfreut, denn die inzwischen kommunistische Regierung vertrat die Ideologie, der Mensch wäre nur ein Produkt seiner Umgebung und man könnte ihn nach Belieben umerziehen. Kammerer wurde deshalb eine Professur in Moskau angeboten. Bevor er sie antreten konnte, stellte jedoch ein amerikanischer Wissenschaftler fest, dass die Schwielen bei den männlichen Geburtshelferkröten gar nicht eindeutig nachweisbar waren. Kammerer erschoss sich daraufhin, sodass bis heute unklar geblieben ist, ob er bewusst gefälscht hatte oder einer Selbsttäuschung erlegen war. In Russland wurde Kammerers Scheitern freilich nicht anerkannt, sondern als üble Intrige seiner Feinde dargestellt. Die Geschichte wurde sogar zu einem Propagandafilm verarbeitet. Die Vererbung erworbener Eigenschaften galt für die Kommunisten weiterhin als bewiesen und führte dazu, dass die gesamte russische Landwirtschaft darauf ausgerichtet wurde. Hauptorganisator war der von Stalin protegierte Biologe Trofim Denissowitsch Lyssenko, der alle Kritiker mundtot machte. Er verursachte damit nicht nur schwere Störungen der landwirtschaftlichen Produktion, sondern schädigte langfristig auch das Niveau der biologischen Wissenschaft in Russland.

Politisch indoktriniert

Der "Lyssenkoismus" gilt heute als eines der abschreckendsten Beispiele für die politische Indoktrinierung der Wissenschaft. Er trug mit dazu bei, dass moderne, demokratische Staaten die Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu einem hohen Gut erhoben haben. Die Wissenschaftler müssen sich aber zugleich immer der großen Verantwortung bewusst sein, die ihnen durch das hohe Maß an Freiheit auferlegt ist.

Dass Hwang Woo-Suk diese Freiheit spektakulär missbrauchte, hat deshalb nicht nur seine eigene wissenschaftliche Reputation zerstört, sondern der gesamten Wissenschaft schwer geschadet.

Der Autor ist Professor für Humanbiologie und Humangenetik an der TU Kaiserslautern.

BUCHTIPP: FÄLSCHER, SCHWINDLER, SCHARLATANE. Betrug in Forschung und Wissenschaft. Von Heinrich Zankl. Wiley-VCH, Weinheim 2003. 286 S. geb., e 25,60.

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