DDR-Masken

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Ein neues und ein altes Buch von Stephan Krawczyk.

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Ein neues und ein altes Buch von Stephan Krawczyk.

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Jedem DDR-Autor, wenn er von damals schreibt, liegt eine Erblast auf. Der Leser wird ihn unvermeidlich fragen: wie hältst du's mit der Politik? Stefan Krawczyk stellt seinen Romanhelden Roman Bald vor: einen sympathischen, unaufdringlichen Endzwanziger, der grad beglückt seinen ersten Sohn bekommt. Er ist ein verschlossener Typ, mit einer dicken Schutzschicht Schläfrigkeit, er weicht allen Hahnenkämpfen am Arbeitsplatz und in der Kneipe aus, "kommt nie auf die Idee, mehr als nötig in die Umwelt einzugreifen", er hat, ohne es zu wissen, die Langsamkeit für sich entdeckt. Ein Sensibler mit dünner Haut, dickem Fell und guter Maske.

Für sich wäre er durchaus zufrieden, aber schon im engeren Kreis reiben sich die Eltern, Schwiegerleute, Kollegen an seinem Phlegma, sie sehen ihn schlampig, faul und arbeitsscheu. Ohne daß er sich viel wehrt, laufen sie an seinem feinen Spott von selber auf. Nur seine Frau spürt seine inneren Stärken, bringt seine Grundheiterkeit zum Blühen, kann seine Liebesfähigkeit für sich und die Familie tragfähig machen, kann sogar seine Neigung zur Sucht ins Konstruktive lenken. Sie verteidigt ihn beharrlich gegen den äußeren Normendruck. Das private Gleichgewicht ist also stabil, ein kleines Glück könnte sich unauffällig im Aufpasserstaat einrichten, von Politik ist oberflächlich nichts zu sehen.

Der Konflikt kommt unerwartet aus einem poetischen Talent heraus: Roman Bald hat ein Wortspiel-Hobby, wobei man Worte aus zerschnittnen Texten puzzleartig zu sinnvollen Sätzen formieren muß. Die Aufgaben werden landesweit gestellt, es gibt Meisterschaften wie beim Bridge, eine Jury prämiert die besten Lösungen. Ein geistreiches Gesellschaftsspiel, harmlos, doch der Große Bruder wittert in jeder freien Phantasie den Keim von Subversion. So schaltet sich wie von selber der Apparat der "Ausfrager in Ledermänteln" ein. Roman Bald wird beschattet, abgefangen, blaugeschlagen. Auch hier wehrt er sich nicht. Ducken, Warten, Abkapseln im kranken, neurotischen Staat als Überlebensstrategie. Tatsächlich verliert die Obrigkeit das Interesse, die Form des Widerstandes war also gut gewählt. Die Geschichte endet romantisch verfremdet, scheinbar unpolitisch: Der Vater wandert mit dem halbjährigen Söhnchen in der Jacke westwärts in den Sonnenuntergang. Den bleibenden Rückenschaden sieht man im Gegenlicht nicht.

Um die Hauptperson herum wird das Arbeiter- und Bauernbiedermeier der späten DDR skizziert, wie es sich in seinen Kleinwohnungen, Sparautos, Schrebergärten Ende der achtziger Jahre eingerichtet hatte. Bescheidener Wohlstand trotz Schlangen vor dem Bäckerladen, doch gute Bockwurst für den Grill und reichlich Kohle für den Winter. Politisch hielt man den Mund, und wenn man von den Ledermänteln zu kleinen Hinweisen gezwungen wurde, unterschrieb man lieber, als daß man verweigerte. Das Politische wird von den Romanfiguren nicht separat oder gar primär gesehen, es war im Alltag gar nicht als "politisch" wahrnehmbar, Anpassung ein ziviles, kein politisches Geschehen. Auch der Erzähler im Buch wählt strikt die Innensicht, nicht die damalige Westsicht oder den Rückblick. In den Amtsstuben hängt "der Landesvater", nicht das Bild Honeckers. Suggestives Vokabular wie Stasi oder Volksarmee wird gemieden. Krawczyk zeigt die Welt der Mitläufer und kleinen Kollaborateure ohne Hervorhebung oder Retusche, deutet auf des Kaisers täuschende Kleider, wo sonst jedermann gleich den nackten Unhold sieht.

Stefan Krawczyk, geboren 1955 in Thüringen, war als Musiker, oppositioneller Sänger und Liedermacher aufgetreten. Auch er hat, wie vor ihm Wolf Biermann, Berufsverbot und Gefängnis durchgemacht, und Ausbürgerung noch 1988, schon in der Agonie des Staates.

Zeitgleich mit diesem Roman erscheint, als Taschenbuch neu aufgelegt "Das irdische Kind", die autobiographische Kindheitsgeschichte desselben Autors, die gut auch als Kindheit des Romanhelden gelesen werden kann. Die beiden Bücher passen zueinander wie zwei Teile eines Stücks. Auch hier erscheint das Seltsame und Bösartige dieser DDR nicht angeprangert oder begrifflich bloßgestellt, sondern auf seiner dinglichen Ebene, so, wie ein Kind eben seine Welt sieht und sehr wohl dabei die Hintergründe wahrnimmt, etwa bei Schule, Polizei oder später im Militärdienst. So packt den Leser angesichts des Empörenden weniger der Kopfschüttelreflex als vielleicht Nachdenklichkeit und die Frage an sich selber: Was verbergen denn wir hinter unseren Masken?

BALD Roman von Stephan Krawczyk Verlag Volk & Welt, Berlin 1998 361 Seiten, geb., öS 252.

DAS IRDISCHE KIND Roman von Stephan Krawczyk Piper Verlag, München 1998 266 Seiten, Tb., öS 123.

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