Debütantenball als Transvestitenshow

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Wechselvoll sind die Geschicke der „Fledermaus“. Was einst ganze Spielzeiten mittlerer bis größter Opernhäuser sanierte, wird in Graz nun nach 2002 auch 2009 zur Bauchlandung.

Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ – mit diesem Leitmotiv im musikalischen Gedächtnis sind wohl nicht wenige Grazer Premierengäste aus dem nicht wirklich in Champagnerlaune versetzten Opernhaus nach Hause gegangen. Johann Strauß und Richard Genée, die Autoren dieses Inbegriffs der goldenen Operetten-Ära, trifft daran keine Schuld. Da moussiert es ja in der Partitur wie in den Pointen, da gibt es ausführliche Ballettmusik und einen grandiosen Komiker-Dritten-Akt. Leider aber, wie schon in einem Grazer Debakel anno 2002 nun auch 2009, also nach 135 Jahren weltweiter Erfolgsgeschichte, kann selbst ein renommierter Regisseur wie Stephen Lawless, weltweit gefragt von San Francisco, London, Venedig bis Wien und Madrid, straucheln.

Gedacht hat sich das Team um Lawless mit dem Art-Déco-Bühnenbild von Benoît Dugardyn in Schwarz und Gold Nobles, aber irgendwann verstolpert der Debütantenball zur unmotivierten bis degoutanten Dessous-, Sockenhalter- und Transen-Show. Der bei der durch keinerlei Inszenierung gestörten Ouvertüre wohltuend starre Vorhang verspricht mittels Etikett Champagner brut, ausgeschenkt wird „Darling“ lauwarm.

Hypo Alpe-Adria in der Frosch-Perspektive

Köstliche Details wie etwa die Anreise des Tenors Alfred mit eigenem Reise-Flügel gehen unter, wenn im Bühnenbild und in den Kostümen augenüberfordernd Cézanne, Klimt und Degas durcheinanderhaspeln, wenn im Gefängnis anachronistisch ein Photo von Josephine Baker die Kehrseite des Kaiser-Franz-Joseph-Porträts erschlägt, wenn plumpe Textzeilen über das „Riesen-Instrument“ des Tenors Lacher unter der Gürtellinie anstreben. Einzig elegantes Detail der Präsentation des Prinzen Orlofsky: Sein Diener Ivan ist in Graz ein attraktiver Schwarzafrikaner (der vom Programmheft verschwiegen wird). Da kann Robert Meyer, der Wiener Volksopern-Prinzipal, als Frosch mit Kaiser-Franz-Joseph-Backenbart auch nur mit halber Kraft überzeugen, etwa mit seinem Extempore auf die Hypo Alpe-Adria.

Musiziert wird angestrengt von Profis und fünf Debütanten. Marius Burkert macht am Pult scheinbar nichts falsch, lässt aber die Grazer Philharmoniker eher als preußische Militärkapelle klingen ohne wienerischen oder gar pariserischen Charme. Über die von Nicola Bowie mit den bemühten Sängern, dem bizarren Opernchor und zehn soliden Grazer Tänzern erarbeitete Spar-Choreografie kann man sich nur mitleidig wundern.

Herbert Lippert, international gefragter Wiener Tenor mit einem Repertoire von Mozart aufwärts, könnte auch einen erotisch phantasievolleren Eisenstein mimen, singt aber mit viel lyrischem Schmelz und vokaler Raffinesse. Arpiné Rahdjian, ebenfalls Wienerin, ist elegant und attraktiv und trotz Indispositions-Ansage bis auf zwei Pannen eine Csárdás-sichere Rosalinde. Vokal übertrumpft werden sie von Margareta KlobuÇcar, der attraktiven und makellose Koloraturen collierartig knüpfenden Adele – hier wird Strauß pur interpretiert.

Glaubhafte Figur und samtige Mezzokultur sind die Vorzüge der 27-jährigen Deutschen Dshamilja Kaiser, die als Prinz Orlofsky debütiert und auch mit Bärtchen androgyn zum Anbeißen animiert. Leider lässt sie die Regie trotz ihres ungewöhnlichen Body-Guards quasi allein auf der Bühne.

Hinreißend schmachtend und voll körperbetonter Spielfreude, gehört auch Rollendebütant Marlin Miller, der amerikanische Belcanto-Tenor, der in Graz schon von Tamino bis Nemorino, von Jupiter (in Händels „Semele“) bis Peter Quint (in Brittens „The Turn of the Screw“), von Lenski bis Rossillon brilliert hat, zu den erfreulichen und nachhaltigen Attraktionen dieser Produktion.

Mit ihm als Debütanten erfolgreich sind der elegante Bass Wilfried Zelinka als Gefängnisdirektor Frank und der legere Bariton Ivan OreÇsÇcanin als Dr. Falke. Nicht stottern darf Dr. Blind in dieser Inszenierung wegen der Political Correctness: Manuel von Senden darf dafür an Rosalindes und anderen weiblichen Roben Gefallen finden. Chacun à son goût.

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