"Dem Atomkrieg wieder näher"

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Einst war Georgi Arbatow hochrangiger "Kalter Sowjetkrieger". Letzte Woche wurde der Russe aber nach Wien eingeladen, um über die Rolle der Friedensbewegung bei der Beendigung des Kalten Krieges zu sprechen. Auch das Furche-Interview mit Arbatow dreht sich um diesen Themenkomplex und endet bei der Angst vor einem neuen Wettrüsten.

Die Furche: Herr Arbatow, Sie waren der Moskauer USA-Experte in der Zeit des Kalten Krieges - vor kurzem habe ich die tschechischen Dörfer besucht, in deren Umgebung die umstrittene US-Raketenabwehrstation gebaut werden soll. Die Menschen dort sind gegen diese Radaranlage, sie haben Angst vor einem neuen Kalten Krieg - ist ihre Furcht berechtigt?

Georgi Arbatow: Die Fähigkeit von Politikern, Fehler zu begehen, ist bekanntermaßen nahezu unbegrenzt. Kommt es tatsächlich zu einer Neuauflage des Kalten Kriegs, wird er völlig anders sein …

Die Furche: Hoffentlich kein heißer Kalter Krieg …

Arbatow: Doch, gibt es einen neuen Kalten Krieg, wird er viel schlimmer sein als der, den wir kennen. Der Kalte Krieg fand in einer Welt statt, die es heute nicht mehr gibt: Es war ein ideologischer Krieg, die Welt war scharf unterschieden, die Grenzen waren klar abgesteckt, und die Supermächte waren diszipliniert, denn beide Seiten waren sehr stark, zu stark, um zu kämpfen.

Die Furche: Auf diese Formel haben sich Reagan und Gorbatschow bei ihrem ersten Zusammentreffen 1985 in Genf geeinigt - Sie waren als Berater dabei, haben Sie Gorbatschow auf diesen Gedanken gebracht?

Arbatow: Gorbatschows erster Eindruck von Reagan war: Mit diesem Kerl kann man kein ernstes Wort sprechen - schließlich ist es ihm aber doch gelungen, Reagan von der gemeinsamen Erklärung zu überzeugen, "dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals ausgefochten werden darf".

Die Furche: Gorbatschow hat den ersten Schritt gesetzt?

Arbatow: Ja, aber es hat beide gebraucht. Auch Reagan spielte eine sehr wichtige Rolle für die Beendigung des Kalten Kriegs. Seine Aufrüstungspolitik machte den Leuten Angst, so große Angst wie vor der Hölle. Menschen sind für gewöhnlich faul, sie bewegen sich nur unter Druck - und Angst erzeugt den größten Druck. Reagan wollte uns Russen Angst einjagen, aber die Amerikaner waren die ersten, die sich vor seiner Politik fürchteten: Millionen Menschen gingen auf die Straße und forderten eine Abrüstung.

Die Furche: Der Friedensbewegung wurde damals vorgeworfen, sie sei die "fünfte Kolonne" der Sowjetunion.

Arbatow: Dass man uns so viel Macht zugetraut hat, war sehr schmeichelhaft, aber leider hatten wir mit der Friedensbewegung nichts zu tun.

Die Furche: Letztlich hat sich aber die Meinung durchgesetzt, dass nicht die Friedensbewegung, sondern Reagans Wettrüsten die UdSSR ruiniert und den Kalten Krieg beendet hat.

Arbatow: Das ist absoluter Unfug! Der Rüstungswettlauf hat nur die Position der sowjetischen Militärführung und Militärindustrie gestärkt und den Einfluss der orthodoxen Kommunisten und Militaristen vermehrt.

Die Furche: Das heißt, Sie meinen, die Friedensbewegung hat der Sowjetunion zugesetzt.

Arbatow: Natürlich, das Ende des Kalten Krieges ist das Ergebnis des aufopferungsvollen Kampfes vieler Millionen Männer und Frauen, die man unter dem Begriff Friedensbewegung zusammenfasst.

Die Furche: Aber so wie der Papst hatte auch die Friedensbewegung keine Divisionen.

Arbatow: Doch diese Menschen sagten uns glaubhaft, dass sie nicht unsere Feinde sind, sondern wirklich Frieden wollen. Und dann hat uns die Geschichte Michail Gorbatschow geschickt: Der war mutig genug für ein neues Denken, für einen neuen Zugang zu allen Dingen; einer, der sich nicht vor Kritik von innen oder außen fürchtete. Reagan machte den Leuten Angst, doch Gorbatschow erkämpfte sich mit seiner Abrüstungspolitik ihr Vertrauen.

Die Furche: Dafür wird Gorbatschow auch im Westen mehr geliebt als in seiner Heimat.

Arbatow: Ich habe es erlebt, wie ihm bei den Gipfeltreffen in Rejkavik oder Washington die Menge begeistert empfangen und zugejubelt hat.

Die Furche: Und heute? Wer hat heute die Reagan-Rolle? Wer verbreitet Angst? Bush? Putin?

Arbatow: Beide!

Die Furche: Putin?

Arbatow: Die Sowjetunion war kein gutes System, aber es war ein System, man wusste, wie man dran war. Bei Putin sehe ich kein System: Der steht in der Früh auf und präsentiert jemanden als neuen Premier oder Minister, von dem noch niemand etwas gehört hat. Breschnew war kein Genie - er war Metallarbeiter, leitete dann eine Arbeitsbrigade, wurde Fabrikschef, wurde Chefingenieur und diente sich so nach oben. Alle kannten ihn, als er an die Macht kam. Heute kennt nur Putin seine Leute - aber das ist zuwenig, das beunruhigt.

Die Furche: Und Bush?

Arbatow: Präsident Bush macht mit seiner Fortsetzung des Reagan-Traums vom Raketenabwehrschild Angst.

Die Furche: Was fürchtet Russland so bei dieser Raketenabwehr? Die Amerikaner versichern doch, dieser Schild diene nur der Abwehr.

Arbatow: Wenn jemand unangreifbar ist, dann ist er stark, zu stark. So wie zu Reagans Zeiten ist auch heute nicht garantiert, ob dieses Abwehrsystem jemals funktioniert. Doch eines ist klar: Bevor die USA der Entwicklung eines wirklich funktionsfähigen Raketenabwehrschirms nahe kommen, werden die anderen reagieren.

Die Furche: Wer reagiert wie?

Arbatow: Die anderen Nuklearmächte werden nicht zuschauen, bis die USA unangreifbar sind. Bevor die Amerikaner diesen absoluten Schutz haben, machen die anderen einen Präventivschlag. Die Arbeit an diesem Raketenabwehrschild bringt uns nur wieder näher an einen Atomkrieg.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

"Feindbeobachter" von Breschnew bis Jelzin

"Das ist nicht Lenin", sagt Georgi Arbatow, als er den interessierten Blick auf den Anstecker an seiner Brust bemerkt. Wer dann? Die Medaille zeigt den russischen Universalgelehrten Michail Lomonossow und weist Arbatow als hoch dekoriertes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften aus. Während des Interviews kramt Arbatow in seiner Hosentasche und zieht einen zerknitterten Zettel hervor: Das Schriftstück bestätigt, dass der 84-Jährige einen Herzschrittmacher und keine Bombe mit sich trägt - "Sonst lassen sie mich nicht ins Flugzeug steigen!"

Früher ist er viel gereist, seit seine Frau jedoch an Alzheimer erkrankt ist, kann er immer nur kurz von zuhause wegbleiben. In seiner Jugend hat Arbatow Anglistik und Geschichte studiert, heute redet er langsam, vermischt manchmal Englisch mit Russisch und Deutsch.

1967 gründete er das Institut für Amerika- und Kanadastudien der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Bis zu seiner Pensionierung leitete er dieses Institut und als Abgeordneter des Obersten Sowjets und Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU gehörte er zum innersten Machtzirkel im Kreml. Als USA-Experte beriet er alle Sowjetführer von Breschnew bis Jelzin, und das Furche-Gespräch hätte noch viel länger gedauert, wenn nicht nach einer halben Stunde ein anderer Gesprächspartner für Arbatow ins Österreichische Institut für Internationale Politik (OIIP) gekommen wäre, den man nicht warten lässt: Franz Vranitzky.

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