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Helmuth Lohner brilliert zum Abschied als Molières "Menschenfeind" in der Josefstadt.

O schnöde Welt, das Leben ist zum Wändehochgehen! Mit dem Bild des einsam zurückgebliebenen und die Feuermauer hinaufkletternden Misanthropen entlässt Regisseur Günter Krämer die Besucher der neuesten Inszenierung im Wiener Theater in der Josefstadt. Direktor Helmuth Lohner nimmt mit der Titelrolle in Molières "Der Menschenfeind" Abschied von seiner Bühne, anscheinend - man weiß, wie sehr ihn die Vorgänge, bis sein Nachfolger feststand, ärgerten - ähnlich verbittert wie der an Welt und Menschen verzweifelnde Alceste.

Kaum ein Stück der Weltliteratur legt so die Seele seines Autors bloß wie dieses: Wie Molière die Untreue seiner Frau durchschaute, aber nicht von ihr loskam (die beiden spielten bei der Uraufführung 1666 auch die Hauptrollen), hängt Alceste an Célimène, die mit mehreren Verehrern gleichzeitig ihr kokettes Spiel treibt. So sehr ihm Heuchelei und Anbiederung zuwider sind, so gern er allen schonungslos ihre Fehler ins Gesicht sagt, so unfähig ist der scharf beobachtende und urteilende Kritiker menschlicher Schwächen, seine eigene Schwäche zu überwinden. Doch Célimène, zuletzt von allen Anbetern verstoßen, will nicht einmal dann mit Alceste, der noch immer an ihr hängt, abgeschieden von ihrer bisherigen Welt ein neues Leben beginnen. Die "Komödie" endet trostlos. Sie demonstriert eindrucksvoll, dass Menschenhass mit Selbsthass zusammenhängt, während Selbstverliebtheit meist echte Gefühle für andere ausschaltet.

Wenn zu Beginn glupschäugige Figuren in moderner Abendkleidung eine grell leuchtende Bar (eine Qual für die ersten Sitzreihen) umgeben, weiß man sofort, dass hier Regietheater gemacht wird. Krämers Inszenierung im radikal einfachen Bühnenbild von Philippe Miesch trifft sicher nicht gerade den Geschmack des Stammpublikums der Josefstadt, aber im Wesentlichen sehr zielsicher Inhalt und Aussage des Stückes für heute. Man ergeht sich in Texten mit überbetonten Reimen, die ZeitgeistSociety lässt im Rap ihre Marionettenhaftigkeit erkennen. Nur Alceste schwimmt gegen den Strom, steigert sich in ein ständiges Wiederholen einer menschenfeindlichen Suada hinein, bis er buchstäblich Schaum vor dem Mund hat. Ein Handyanruf zitiert ihn wegen Beleidigung des Möchtegern-Poeten Oronte vor Gericht. Die Moralpredigerin Arsinoé verspricht Alceste Beweise für die Untreue der flatterhaften Célimène.

Nach der Pause schlägt die Stunde der Wahrheit: Weg mit den künstlichen Glotzaugen, der Schminke und den Perücken! Unverständlich bleibt, warum nun die Damen barocke Gewänder angelegt haben. Anfangs bewegen sich alle - ausgenommen der Außenseiter Alceste - noch wie ein Dandy-Ballett über die Drehbühne. Doch dann hält nur Célimène, die den Menschenfeind fast zu sehr aus dem Zentrum der Handlung verdrängt, ausdauernd an den affektierten Gesten fest, ehe ihre frustrierten Verehrer deftig und über Molières Originaltext hinaus ihre Wut an ihr auslassen.

Vor allem wegen des alles gebenden Helmuth Lohner lohnt sich ein Besuch der Aufführung, zu deren Gelingen auch Anja Laïs (Célimène), Traute Hoess (Arsinoé) und Herbert Föttinger (Oronte) viel beitragen.

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