Schon die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper 1955 und der "Anschluß" 1938 wurden mit feierlichen Aufführungen von "Fidelio" begangen. Auch anläßlich Österreichs Übernahme der Präsidentschaft des EU-Rates gab die Staatsoper Beethovens einzige Oper zum Besten. Via Satellit wurde den Bewohnern aller europäischen Hauptstädte die Möglichkeit geboten, dem Ereignis auf öffentlichen Plätzen beizuwohnen, auf daß der Glanz der österreichischen Kulturnation bis nach Gibraltar und Lappland erstrahle.
Doch das Ereignis fiel wenig glänzend aus: Die EU-Minister und - Kommissäre zogen es vor, in der Hofburg zu soupieren. Der Publikumsandrang bei den über den Kontinent verstreuten Videowalls hielt sich in Grenzen. Und statt einer spektakulären und einigermaßen aktuellen Aufführung, wurde - durchaus solides, aber dem Anlaß nicht entsprechendes - Repertoire gegeben: Otto Schenks "Fidelio"-Inszenierung aus dem Jahr 1970.
Auch Stars, die der Aufführung Glanz verleihen hätten können, fehlten. Der biedere Peter Schneider vermochte nur in Teilen des zweiten Aktes die Wiener Philharmoniker zu ekstatischem Pathos zu ermuntern. Gute, aber eben keine großen Stimmen waren zu hören: Anat Efraty interpretierte die Marzelline sehr operettenhaft, Walter Fink brummte brav seinen Rocco, und Susan Anthony gab mit ihrem geradlinigen, aber nicht mitreißenden Sopran eine ordentliche Leonore. Robert Hale als Pizarro hätte diabolischer und präziser klingen können. In der Rolle des seit einem Monat auf Wasser und Brot gesetzten Florestin war Johan Botha zu hören, dessen unglaublich mächtiger und warmer Tenor an jenem Abend leider ein wenig unrein klang.