Dem grünen Faden durch die Städte auf der Spur

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Elke Krasny beforschte das globale Phänomen urbaner Landnahmen von 1850 bis 2012. Die von ihr kuratierte Schau "Hands-On Urbanism“ im AzW zeigt Fallbeispiele von Wien bis Hongkong.

Städte sind lebendige Organismen aus Häusern, Menschen und Pflanzen. Vieles, was ihre Atmosphäre bestimmt, ist nicht auf dem Reißbrett entstanden, sondern engagierten Bewohnern zu verdanken. Sie machen die Stadt urban, bilden Allianzen, setzen Aktivitäten, besiedeln Grünraum oder Brachland. Die Ausstellung "Hands-On Urbanism 1850-2012. Vom Recht auf Grün“ im Architekturzentrum Wien widmet sich diesen Phänomenen. "Hands-on Urbanism, Bottom-up Urbanism und ungeplante Stadtentwicklung sind oft Auslöser offizieller Planungsstrategien“, so Kuratorin Elke Krasny. "Seit der Industrialisierung in Europa und Nordamerika bis zur neoliberalen, globalen heutigen Stadt ist die Geschichte der Stadtentwicklung eine Abfolge von Krisen. Das Gärtnern und informelle Siedeln sind deren Seismografen. Vielmehr sind sie jedoch auf Selbsthilfe und Selbstorganisation setzende Handlungsmächte, die Veränderung von unten in Gang setzen.“

Pflanzen aus allen Klimazonen

Krasny ist dem grünen Faden, der sich durch die Geschichte der Städte zieht, gefolgt. Die Schau setzt um 1850 an, als im Zuge der Industrialisierung Europas Metropolen gleichsam explodierten. Sie zeigt die Verwandtschaft zwischen dem damaligen Arbeiterelend und den oft prekären Lebensbedingungen in einer globalisierten Welt. 19 Stationen dokumentieren wie sich das Grün und die damit verbundenen Initiativen in diversen Städten manifestierten. Szenografin Alexandra Maringer teilte die Halle mit gebrauchten Baustellengittern der Strabag in Parzellen. Jedes Gerüst, das auch den Akt des Bauens symbolisiert, ist mit durchsichtigen Plastiktöpfen behangen, in denen Pflanzen aller Klimazonen wachsen. Tafeln mit Texten, Fotos, Archivmaterial und Monitore mit Interviews erzählen von Fallbeispielen: die Siedlerbewegung in Wien, das multinationale Hull House Settlement in Chicago, das Ma Shi Po Village in Hongkong, die Organoponicos in Havanna. Das Projekt "morethanshelters“ widmet sich dem Extrem der Landnahme eines einzigen Menschen: Daniel Kerber hat die temporären Unterkünfte Obdachloser dokumentiert und daraus ein mobiles Haus, das sich wie ein Zelt zusammenfalten lässt, entwickelt.

Die Schau beginnt in Leipzig um 1850: Für die Kinder der Fabriksarbeiter gab es damals nur "Gefahr bringende Straßenpflaster, kleine feuchte Höfe, winzige Gärtchen“. Nach Vorbild einiger Gemeinden in England, die sich selbst regierten, wurde ein Schulverein gegründet, auf einem gepachteten Grundstück legte man Kinderbeete an, aus denen später Schrebergärten wurden. Die Bewegung wanderte weiter, 1909 kam sie in Wien an, 1911 gab das Heer die Wiesen und Felder auf der Schmelz für Kleingärten frei. Man legte Kriegsgemüsegärten an, 1920 wurde die Freie Vereinigung der Schrebergärtner der Zukunft gegründet. Sie blüht und gedeiht bis heute.

In der Zwischenkriegszeit herrschte in Wien Mangel an fast allem, Bettgeher drückten sich in überfüllten Zinshauskasernen für ein paar Stunden Schlaf die Türklinken in die Hand. Damals begannen die hungernden Menschen sich zu organisieren. Am 20. November 1920 entstand die gemeinnützige Kleingarten- und Siedlungsgenossenschaft Altmannsdorf und Hetzendorf: 2000 Arbeitsstunden steckten die Siedler in den Bau ihrer Häuser, die erst per Los vergeben wurden, als sie fertig waren. So waren voller Einsatz und Sorgfalt garantiert. Viele berühmte Architekten - wie Adolf Loos, Josef Frank, Hugo Mayr, Margarete Schütte-Lihotzky - brachten sich mit ihren Ideen ein.

Nährboden für Essentielles

Grünflächen in der Stadt sind immer gefährdet, zu einem Spielball der Mächtigen, der Märkte und der Politik zu werden. Die Qualitäten, die sie bieten, stehen gleichsam reziprok dem potentiellen Gewinn gegenüber. Erde ist Nährboden für Essentielles: Ein Garten kann das Überleben sichern, Solidarität und Gemeinschaft wachsen lassen. Urban Farming führt oft zu Autarkie und Solidarität. Es mobilisiert Kräfte, die positiv für die Vielfalt der Stadt und den Zusammenhalt der Gemeinschaft wirken. Die Wurzeln von Bäumen können Beton sprengen, einige der hier gezeigten Initiativen haben ähnliches geschafft: neue Lebensperspektiven und Einkommensquellen zu eröffnen. Die Ausstellung und der umfassende Katalog erzählen davon.

Hands-on Urbanism 1850 - 2012

Vom Recht auf Grün

Architekturzentrum Wien, 1070 Wien

bis 25. 6., täglich 10-19 Uhr

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