"Dem Publikum ins Gesicht schauen"

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Ihre Mama Resi aus dem "Bullen von Tölz" ist Kult. Aber von niemandem ist diese blindwütig umtriebige Fernsehfigur so weit entfernt wie von ihrer Darstellerin. Ruth Drexel war auf Deutschlands Staatstheatern zu Hause und prägte ein neues Verständnis von Volkstheater. Am 14. Juli wird die Schauspielerin, Regisseurin und Prinzipalin 75.

Die Furche: Gegenwärtig entstehen mit Ihnen ein neuer "Tatort" von Felix Mitterer und neue Folgen zum "Bullen von Tölz". Welches Verhältnis haben Sie zur Mama Resi?

Ruth Drexel: Die Rolle ist nicht so groß, wie man denkt. Sie ist episodisch und langweilt deshalb nicht. Ich mag die Figur, weil sie ein verrücktes Huhn ist. Sympathisch ist sie nicht. Sie fällt auf alles Neue rein, probiert alles aus. Sie besteht darauf zu leben, solange sie lebt. Die Figuren von Mutter und Sohn gehen zusammen, sie sind in ihrem Widerspruch nicht zu trennen. Die Geschichte kommt an, weil sie auf heutige Weise ländlich ist. Mit realistischen Qualitäten und keineswegs gemütlich. Das ist Heimatfilm und Krimi in einem und schrammt an der Satire vorbei.

Die Furche: Sie wirkten in vielen Filmen und legendären Fernsehserien mit ("Zur Freiheit", "Monaco Franze"), spielten in Stücken von Horváth, Fleißer, Kroetz, Brecht und Lorca und inszenierten Nestroy, Schönherr, Büchner und andere. Für München wollten Sie "bissig-kritisches Volkstheater" und schufen in Telfs im Lauf der Jahre eine eigene Dramaturgie. Was ist für Sie Volkstheater?

Drexel: Die Lösung liegt im Wie. Der Terminus entsteht aus einer bestimmten Theaterhaltung. Dass man dem Publikum auf Augenhöhe ins Gesicht schaut und sich nicht erhaben fühlt. Die Stücke ändern sich durch die Aufbereitung. Ich setze mich dem Publikum nicht auf den Schoß, ich bin dafür, dass man mit dem Publikum in den Clinch geht, aber Theater hat doch damit zu tun, dass es sich die Leute anschauen. Volkstheater hat das Recht, kein Ort zu sein, der Eliten vorbehalten ist. Es geht nicht, dass man mit riesigen Qualitätskriterien versieht, was nur wenige verstehen, ohne nachzufragen, ob das nicht doch nur des Kaisers neue Kleider sind.

Die Furche: Wo siedeln Sie Shakespeare an? Sie haben bei den Telfser Volksschauspielen in einem Obstgarten "Hamlet" inszeniert.

Drexel: Shakespeare war Volkstheater in Schlössern, bei den Mäzenen. Dann in Wirtshäusern, und man verkaufte Hühnerbeinchen zwischendurch. Diese Wurzeln werden total verdrängt. Heute fragt man ständig, was passt wohin, was ist Volkstheater, was Klassik, man stolpert über Begriffe. Aber die Grenzen verwischen sich. Das große professionelle Theater hat sich doch der Mittel des verpönten Volkstheaters bedient, hat sich rausbegeben aus dem feinen Käfig und wurde ordinär bis zur gewollten Provokation.

Die Furche: Gibt es ein globales Theater?

Drexel: Theater ist nicht auswechselbar, es findet an einem bestimmten Platz statt. Theater, das überall passt, wird beliebig. Frank Castorf hat überlegt, was passt zu Berlin, zu dieser Region, ihren Problemen, der politischen Aktualität.

Die Furche: Sie reüssierten an Staatsbühnen und haben die Geschichte des deutschsprachigen Volkstheaters mitgeschrieben. Marie Luise Fleißer beschreibt sie als eine zentrale Darstellerin, und Franz Xaver Kroetz haben Sie Anfang der 1970er Jahre zum Durchbruch verholfen ...

Drexel: Ja, bei den ersten Kroetz-Aufführungen, das war an den Münchner Kammerspielen, waren der Hansl Brenner und ich dabei. Wir fanden die Stücke sehr aufregend. Ich habe mit Walter Schmidinger "Heimarbeit" gespielt, der Hansl mit Gustl Bayrhammer unter anderem "Hartnäckig". Wegen "Heimarbeit" gab es einen Riesenskandal, es hieß, das Stück sei pornografisch und blasphemisch, weil eine Frau einen Abtreibungsversuch macht, aber man hat die Frau gar nicht gesehen, nur gehört. In Darmstadt und Düsseldorf haben wir dann auch immer Kroetz gespielt. "Männersache" lief fast 400-mal.

Die Furche: Als Regisseurin brachten Sie Klassiker auf die Volksbühne und machten das Volksstück zum Klassiker. Am Beginn Ihrer zweiten, überraschenden Intendanz haben Sie das Münchner Volkstheater aus dem Totalabsturz wieder hochgerissen - ausgerechnet mit einem der von Ihnen wenig geliebten Bauernstücke. Wie konnte das, was in Wien glückloser kopiert wurde, in München gelingen?

Drexel: Durch einen Griff ohne Zaudern und Prüderie in die Volkstheaterkiste. Wir haben den "Verkauften Großvater" von Hans Michael Rehberg spielen und von Franz Xaver Kroetz inszenieren lassen. Ich finde die Geschichte gut und die Figuren lustig; dass das Stück ausgezeichnet ist, will ich nicht unbedingt sagen. Aber wenn man das hochhievt ...

Die Furche: Es geht der Theaterlandschaft, speziell der deutschen, nicht gut. Häuser werden geschlossen, andere leiden an ihren internen und externen Bedingungen.

Drexel: Die Theaterlandschaft verkleinert sich massiv, es fehlt an Geld. Ich hatte am Münchner Volkstheater nur ein Siebtel des Budgets großer Bühnen. Schlimm ist die kommunale Förderung als freiwillige Leistung, das ist ein rechtloser, unmöglicher Zustand. Die Subventionen müssen fachkundig verteilt werden, aber andererseits kann man Kunst auch mit bescheideneren Mitteln machen. Es hat was Abstruses in Anbetracht der Theatermoden der 70er, 80er, 90er Jahre, dass die Verfall-Spannen immer kürzer werden. Man merkt, dass Epigonen wieder Epigonen produzieren. Die Suppe wird dünner, aber sie wird weiter aufgetischt.

Die Furche: Müssen die jungen Regisseure nicht Moden kreieren, um neu und anders zu sein?

Drexel: Wenn einer anders ist, und es passt, bin ich dankbar. Aber wenn ich merke, dass jemand sich nur anstrengt, anders zu sein, interessiert es mich nicht.

Die Furche: Ab Ende Juni ziehen Sie wieder in die Tiroler Marktgemeinde Telfs, zu Ihren Tiroler Volksschauspielen, wo Sie heuer "Die Makrele" von Israel Horovitz inszenieren. Was bedeutet Ihnen Telfs?

Drexel: Die Volksschauspiele sind eine wunderschöne, überschaubare, ehrliche Sache. Unser Handbetrieb hat das rechte Maß. Jeder arbeitet hier gern, das ist paradiesisch; und so viel Geld, dass man sich bekämpft, ist nicht da.

Das Gespräch führte Ursula Strohal.

Am Höhepunkt einer eigenwilligen Laufbahn

Ab Ende Juni wird sie wieder durch die Telfser Gassen gehen. Bei den Tiroler Volksschauspielen Telfs, die sie seit einem Vierteljahrhundert prägt, ist Ruth Drexel im Sommer zu Hause. Da ist die Arbeit nicht leichter, aber unbelasteter als anderswo. Ruth Drexel, klug, aufrichtig und scheu, steht am populären Höhepunkt einer eigenwilligen Laufbahn. Ihr Debüt führte die junge Schauspielerin aus Oberbayern an die Münchner Kammerspiele, wo sie fast zwanzig Jahre lang auftrat. 1957/58 gehörte sie dem von Bertolt Brecht gegründeten Berliner Ensemble an. Weitere Stationen ihrer Schauspielkarriere führten sie an die deutschen Staatstheater, und bald begann sie auch zu inszenieren. Die große Therese Giese ahnte: Drexel müsse ein Theater leiten. 1988 wurde Ruth Drexel Intendantin des Münchner Volkstheaters und verhalf ihm mit scharfem Verstand und theatralischer Lust zum ungeahnten Höhenflug. Als ihr Nachfolger scheiterte, übernahm sie das Haus erfolgreich ein zweites Mal, bis 2002. Seiher dreht sie unermüdlich vor allem Fernsehfilme. Im Innsbrucker Haymon Verlag erschien dieser Tage ein Buch von Krista Hauser über Ruth Drexel (160 Seiten, e 17,90).

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