Dem Wehen des Geistes Schranken gesetzt

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Der Wiener Weihbischof kritisiert das jüngste vatikanische Laiendokument: Althergebrachtes wird darin festgeschrieben und engagierten Laien der Mut genommen.

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Der Wiener Weihbischof kritisiert das jüngste vatikanische Laiendokument: Althergebrachtes wird darin festgeschrieben und engagierten Laien der Mut genommen.

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Die römische Instruktion über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester hat eine heftige Diskussion entfacht und zu neuen Polarisierungen geführt. Wer die Instruktion kritisierte, erhielt den Vorwurf, er stelle das Weihepriestertum in Frage und sei gegen den Papst. Wer die Instruktion lobte kam in Verdacht, hauptamtliche Laien aus der Seelsorgsarbeit vertreiben zu wollen. Der Streit war oft emotional, wenig sachlich und auf wenige Fragen eingeengt. Mir hat das vatikanische Dokument ganz deutlich Defizite der nachkonziliaren Entwicklung der Kirche gezeigt.

1. Neue theologische Ansätze wurden nicht weitergedacht.

Das Konzil hat für eine katholische Denkweise überraschend den Begriff des "Gemeinsamen Priestertums" neu entdeckt, das Verhältnis zum Weihepriestertum aber wurde weder am Konzil noch danach theologisch aufgearbeitet. Das hat zur Verunsicherung von Laien und Priestern geführt. Heute scheint man offiziell eher wieder auf ein klerikales Kirchenbild zu setzen, die Laien aber, auch die theologisch gebildeten, verweist man vor allem auf den "Weltdienst".

Der ständige Diakonat wurde neu entdeckt. Das Konzil hat in ihm vor allem eine willkommene Hilfe für den steigenden Priestermangel gesehen. Die theologische Fundierung und Profilierung dieser Weihestufe blieb offiziell bis heute aus. Nun fragt man sich zu Recht, warum etwa der Diakon allein auf Grund seiner Weihe innerhalb der Messe predigen kann, nicht aber der (noch so theologisch gebildete) Pastoralassistent. Warum ist der Diakon bei der Teilhabe an der Leitung einer Pfarre gemäß dem Kirchenrecht (canon 517 § 2) dem Laientheologen vorzuziehen? Wozu befähigt die Weihe eigentlich den Diakon? Vor allem zur Verkündigung - oder gar zur Leitung?

2. Den Priestermangel wollte man durch pragmatische "Ersatzlösungen" überbrücken.

Die Konzilsväter ängstigte der drückende Priestermangel in der Dritten Welt. Nach dem Konzil wurde der Mangel auch in Europa immer drohender. Man ging dieser Entwicklung nicht auf den Grund, sondern versuchte pragmatisch und gar nicht konsequent Dienste, die bisher nur vom Priester verrichtet wurden, auch Laien zu übertragen. Nichtgeweihte wurden beauftragt zu Kommunionspendung und Begräbnisdienst, außerhalb der Messe zu predigen und Wortgottesdienste (wo es keine Sonntagsmesse mehr gab) zu leiten, an der Pfarrleitung teilzunehmen, in bestimmten Fällen bei der Eheschließung zu assistieren und sogar die feierliche Taufe (vormals ein Vorrecht des Bischofs!) zu spenden. Dies geschah, um das kirchliche Leben in Regionen großen Priestermangels überhaupt noch aufrechtzuerhalten. Nun wurde aber der Notfall oft zum Regelfall, und es ist verständlich, daß Nichtgeweihte, wenn sie immer mehr Verantwortung in der Seelsorge übernehmen sollen, auch das verlangen, was zu ihrem Dienst notwendig ist. Mir scheint, als hätte man einst Laien wie "Gastarbeiter" in der Priesternot gerufen, in der Hoffnung, diese werde nicht lange dauern. Jetzt gibt man ihnen die Schuld, daß der Priestermangel durch sie noch größer geworden sei.

Gleichzeitig hat man versäumt, neue "Dienste" für eine differenziertere Pastoral zu schaffen. Wohl hat Paul VI. 1972 im Motu proprio "Ministeria quaedam" die früheren "niederen Weihen" neu geordnet, und damit Dienstämter ausdrücklich für Laien eröffnet. Gesamtkirchlich nannte er nur Akolythat (Mithilfe bei der Gabenbereitung im Gottesdienst und Kommunionspendung) und Lektorat (Vortragen von Lesungen). Bischofskonferenzen aber könnten, so hieß es im Dekret, noch andere Dienstämter, die in ihrer Region notwendig oder nützlich sind, vom Heiligen Stuhl erbitten. Die Schweizer Bischöfe haben damals ein Dienstamt für Pastoralassistenten erbeten, was aber abgelehnt wurde. Vermutlich, weil diese Dienstämter ja "gemäß einer verehrungswürdigen Tradition", wie es von Rom hieß, auch weiterhin nur Männern vorbehalten bleiben. In der Instruktion wird nun ausdrücklich verboten, Sendungsfeiern für Pastoralassistenten ähnlich dem Ritus der Beauftragung zum Akolythat und Lektorat zu gestalten. Sind Religionslehrer oder Pastoralassistenten für das Leben der Kirche weniger bedeutend als Lektoren und Ministranten? Sollte nicht gerade eine liturgische Beauftragung der Gemeinde die Bedeutung dieses Dienstes zeigen?

3. Die Ortskirchen haben in der nachkonziliaren Erneuerung ihre Verantwortung zu wenig wahrgenommen.

Seit den siebziger Jahren ist die Zahl der Priesteramtskandidaten stark zurückgegangen, die Zahl der Theologiestudenten, Frauen und Männer, aber gestiegen. Etwa 1.700 studieren zum Beispiel heute in Wien Theologie, kaum hundert aber werden geweiht. Viele Nichtgeweihte gehen in den Schuldienst oder in den pfarrlichen Gemeindedienst.

Die Diözesen - leider auch die Erzdiözese Wien - haben verabsäumt, Pastoralkonzepte zu entwerfen, um jenen akademisch gebildeten Laientheologen eine ihrem Ausbildungsgang adäquate Verantwortung zu übertragen. Von einigen zentralen Posten abgesehen gibt es für sie kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Sie sind mit einem Kaplan zu vergleichen, der allerdings nur kurz in dieser untergeordneten Stellung bleibt, und da schon durch seine Weihe höheres Ansehen genießt. Das hat zu wachsenden Spannungen zwischen Priestern und nichtgeweihten Theologen geführt. Die Laien fühlen sich als "Lückenbüßer" und von der Kirchenleitung zu wenig ernstgenommen.

In dieser Spannung gab es auch Übergriffe. Aus der Not der Situation, oder auch aus "Ideologie" wurden bestehende Bestimmungen nicht eingehalten. Bischöfe waren oft selber schuld daran, weil sie zuerst großzügig der Entwicklung zugesehen haben, später aber die Schwierigkeiten nicht selbst lösen wollten, sondern sich lieber an Rom wandten. So war es auch jetzt. Das Vatikandokument will klare und verbindliche Antwort geben "auf drängende und zahlreiche Anfragen von Bischöfen, Priestern und Laien, die gebeten haben, hinsichtlich neuer Formen ,pastoraler' Tätigkeiten von Laien im Bereich der Pfarreien und Diözesen aufgeklärt zu werden."

4. Aus Angst vor Neuem sieht man die Zeichen der Zeit nicht.

In den einst klassischen Missionsgebieten leisten Tausende Katechisten wesentliche Verkündigungsarbeit. In Lateinamerika leiten Ordensfrauen und Laien weitgehend selbständig Pfarrgemeinden. In den "reichen" Ländern Europas studieren viele hundert Männer und Frauen Theologie. Es hat noch nie so viel theologisch gebildete und in der Seelsorgsarbeit engagierte Laien gegeben, wie heute. Das ist ein deutliches Zeichen der Zeit, das nicht übersehen werden darf. Es ermöglicht, den Dienst in der Kirche reicher als bisher zu entfalten, neue Dienste mit eigener Verantwortung einzuführen. Und wahrscheinlich sind unter diesen theologisch gebildeten Laien auch neue Berufungen zum Priesteramt zu finden, denen man durch eine Änderung der kirchlichen Gesetze nun den Zugang zur Weihe ermöglichen sollte.

Ich hätte mir von der römischen Instruktion gewünscht, daß sie den lokalen Kirchen Mut macht, die Zeichen der Zeit zu erkennen, und Neues regional zu versuchen. So aber hat man Althergebrachtes festgeschrieben, engagierten Laien den Mut genommen und damit wohl auch dem Wehen des Geistes in unserer Zeit Schranken gesetzt.

Der Autor ist Weihbischof in Wien und in der Österreichischen Bischofskonferenz unter anderem für Bildung und Schule sowie den Dialog mit den Religionen zuständig.

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