Demokratie machen nach Bürgerart

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Bertram Meusburger vom Büro für Zukunftsfragen in Vorarlberg über Wege, Menschen für nachhaltige Entwicklung zu begeistern. Die wichtigste Voraussetzung dafür sind die Möglichkeit zur Selbstorganisation und die Ermöglichung politischer Mitgestaltung.

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Bertram Meusburger vom Büro für Zukunftsfragen in Vorarlberg über Wege, Menschen für nachhaltige Entwicklung zu begeistern. Die wichtigste Voraussetzung dafür sind die Möglichkeit zur Selbstorganisation und die Ermöglichung politischer Mitgestaltung.

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Das Büro für Zukunftsfragen wurde vor 20 Jahren mit der Zielsetzung gegründet, BürgerInnen-Engagement, Bürgerbeteiligung und nachhaltige Entwicklung zu fördern und zu unterstützen. Es war nie eine übliche Stabstelle in der Hoheitsverwaltung, sondern mehr ein Brückenbauer zwischen den Akteuren der Gesellschaft. Das ist sehr wichtig zu verstehen, wenn es um Demokratieentwicklung geht. Wenn wir es nämlich als ein Ziel sehen, Menschen mit entsprechenden Methoden und Prozessen zu befähigen, sich für das Gemeinwohl zu engagieren, sich bei gesellschaftlichen Veränderungen und Entscheidungsprozessen zu beteiligen und Ziele zu formulieren, heißt das nicht, dass wir Entscheidungshoheit darüber haben, ob und wie Beteiligung beim jeweiligen Verfahren wirklich gewollt wird. Beteiligung ist immer auch eine Machtfrage.

Weder Engagement noch Beteiligung können verordnet werden. Wir können nur den Boden dafür bereiten, für eine nachhaltige Entwicklung und demokratische Kultur des Miteinanders. Dafür braucht es freie, unverzweckte Räume, wo Beziehungen gedeihen und Menschen mit und voneinander lernen können. Also ein Ort zwischen Politik und Zivilgesellschaft, zwischen Wirtschaft und Experten. Ein lebendiger Begegnungsort, der niemandem ganz und doch auch nicht allen gehört. Ein Raum des Miteinanders, in dem sich Demokratie neu definieren kann.

Nachdem wir in den 90ern erkannt hatten, dass Bewusstseinskampagnen kaum Veränderungen bewirken können und Selbstorganisation ein wichtiger Schlüssel ist, richteten wir unsere Aufmerksamkeit eher auf Eigenverantwortung und Zusammenarbeit. Der verstärkte Fokus auf nachhaltige Entwicklung brachte die Frage auf, wie Akteure mit sehr sektoralen Sichtweisen bei komplexen Fragestellungen besser zusammenwirken könnten.

Und das Auseinanderdriften von Bürgerengagement und (partei-)politischen Machtdynamiken (Wachstumsdogma, Lobbyismus, Effizienzdenken usw.) ließ die Frage immer deutlicher hervortreten. Als ein missing link erwies sich der Bürgerrat, der eine erfolgversprechende Meinungsbildung und Entscheidungs-Beratung ermöglichte.

Durch die gesetzliche Verankerung von Bürgerbeteiligung in der Landesverfassung und die regelmäßige Einberufung sogenannter Bürgerräte nimmt Vorarlberg eine Vorreiterrolle in der Gestaltung einer lebendigen Demokratie ein. Bürgerräte können zu wichtigen, landesweiten Themen, entweder durch die Landesregierung oder den Landtag, aber auch durch Bürgerinnen und Bürger -mit Hilfe von nur 1000 Unterschriften -initiiert werden. So gelangen diese Themen in eine gemeinsame Diskussion und unterstützen dadurch die öffentliche Meinungsbildung und die politische Entscheidungsfindung. Das Büro für Zukunftsfragen begleitet die Durchführung von landesweiten und kommunalen Bürgerräten.

Wie funktioniert ein Bürgerrat?

Das Ziel ist, dass am Ende des "BürgerInnen-Rates" eine gemeinsame Erklärung verfasst wird. Wichtig ist, dass sich die ganze Gruppe auf diese Erklärung einigt, die dann in einem zweiten Schritt der Öffentlichkeit präsentiert wird. Dies kann etwa in Form eines "BürgerInnen-Cafés" geschehen, zu dem es keine Zugangsbeschränkung gibt. Alle interessierten Bürgerinnen und Bürger können hier teilnehmen. Wichtig ist, dass die richtigen Ansprechpersonen aus Politik oder Verwaltung anwesend sind.

Nach der Präsentation sind alle Beteiligten aufgerufen, für sich selbst und im eigenen Umfeld das Ergebnis zu reflektieren und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen: Die politisch Verantwortlichen, die Verwaltung, sonstige beteiligte Institutionen und natürlich die Bürgerinnen und Bürger.

Empfehlungs-Organ

Der BürgerInnen-Rat trifft keine politischen Entscheidungen, hat aber dennoch eine große Wirkung in der Gemeinde bzw. in der Region. Dadurch, dass die Überlegungen und Empfehlungen öffentlich präsentiert werden, entsteht in der Gemeinde ein Bewusstsein für die Herausforderungen und für notwendige Entwicklungen. Bald stellte sich heraus, dass gute Methoden und Werkzeuge zwar wichtig, aber nicht die entscheidende Antwort auf die Implementierung in den (politischen) Alltag sind.

Auf der Suche nach einem umfassenden und praxistauglichen Ansatz stießen wir 2010 auf Art of Hosting. AoH hilft Räume zu schaffen für gute Gespräche. Es ist mehr eine Haltung und Praxis, auch wenn es sich oft als geschickte Auswahl von bewährten Methoden präsentiert. Dabei werden kreative Prozessdesigns entworfen, die sich je nach Kontext ausformen.

Art of Hosting

Doch AoH ist weit mehr. Es ist ein weltweites Netzwerk von Menschen, die sich mit ihren Erfahrungen aus Theorie und Praxis gegenseitig befruchten. Es ist wie das Linux des Prozessdesigns. Aber nicht allen Menschen (z. B. Führungskräften oder Eltern mit kleinen Kindern) ist es möglich, an einem dreitägigen Training teilzunehmen. Daher entwickelten wir das regelmäßige Format der Projektschmiede (zwei-wöchentlich je ein Nachmittag), bei dem die konkrete Entwicklung von Projekten im Mittelpunkt stand und gleichzeitig Art of Hosting praktiziert werden konnte.

Die Projektschmiede wirkt inzwischen wie eine Allmende (Open Source), die von vielen Menschen getragen wird, am Gemeinwohl orientiert ist und ganz konkreten Nutzen stiften soll. In diesem Rahmen konnten bereits rund 60 Projekte unterstützt werden.

Wie können wir das Juwel eines solchen Zusammenwirkens, das eben alle gesellschaftlichen Akteure braucht (und nicht nur aus Akzeptanzbeschaffungs- oder machttaktischen Gründen ein Stück weit zulässt), erkennen und gemeinsam weiterentwickeln? Wenn uns das gelingt, können wir die Kraft bürgerschaftlichen Engagements, politischen Durchsetzungswillens, unternehmerischer Gestaltungskreativität und medialer Aufmerksamkeit für das gemeinsame Handeln nutzen und letztlich Hoffnung in ein wirkungsmächtiges demokratisches System stärken.

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