Demokratische Revolution im arabischen Fernsehen Sturm der Freiheit entfacht

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Die unabhängige, in Katar stationierte Satellitenfernsehstation Al Jezira lässt die Autokraten der Region erzittern. Eine Revolution am Medienmarkt.

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Die unabhängige, in Katar stationierte Satellitenfernsehstation Al Jezira lässt die Autokraten der Region erzittern. Eine Revolution am Medienmarkt.

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So eine kleine Streichholzschachtel - und von hier aus machen sie so viel Wirbel", staunte Ägyptens Präsident Hosni Mubarak jüngst, als er während einer Staatsvisite in Katar spontan die Studioräume von Al-Jezira ("Halbinsel") aufsuchte. Die rund 300 Mitarbeiter dieses pan-arabischen Satellitensenders begnügen sich mit bescheidenen Arbeitsräumen am Rande der Hauptstadt Doha. Und dennoch gelang es ihnen, in kürzester Zeit die arabischen Massen zu erobern.

Millionen von Arabern lauschten fasziniert den Ratschlägen des libanesischen Hisbollah-Führers, Scheich Hassan Nasrallah, der die Palästinenser drängte, ihren Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht zu eskalieren, allmählich anstelle von Steinen Messer und Dolche und schließlich Schusswaffen einzusetzen. Hisbollah, verspricht ihr Chef, werde helfen, wo sie kann, mit Ratschlägen, mit Waffen, vielleicht gar mit Männern. Untermalt wird die Rede von verzweifelten palästinensischen Müttern, die über den Tod ihres Kindes klagen und zugleich die Entschlossenheit bekräftigen, für die legitimen Rechte der Palästinenser noch mehr Opfer zu bringen. Wenig später richtet ein israelischer Regierungsvertreter scharfe Worte der Anklage gegen Palästinenserchef Yassir Arafat.

Herrscher erzittern Mit solch konträren Standpunkten haben die arabischen Medien ihr Volk bis vor kurzem nicht konfrontiert. Star der Informationssendungen ist Faisal al-Karim, in der arabischen Welt heute bekannter und zweifellos populärer als so mancher heimische Herrscher. Wenn der Sohn einer syrischen Bauernfamilie Dienstag abends seine Sendung "Brennpunkt" beginnt, dann leeren sich nicht selten die Straßen arabischer Städte. Der 39-jährige Journalist bietet seinem Publikum eine Fülle unzensierter, gut recherchierter Nachrichten, lebendige, oft hitzige Diskussionen mit unverblümten Fragen - welch ein Gegensatz zu den traditionellen Fernsehsendungen der Region. "Begrüßungs- und Verabschiedungs-Journalismus" charakterisieren Kritiker gerne die herkömmliche Berichterstattung in der arabischen Welt, die sich häufig auf die Aufzählung von Besuchern bei politischen Führern beschränke. Wie in keiner anderen Region der Welt sind die arabischen Medien bis heute von Unterwürfigkeit und Opportunismus geprägt, stehen meist voll im Dienste der autokratischen Herrscher, die ihnen unerbittliche Zensur auferlegen, um jedes politische Denken abzutöten.

Doch das Bild hat sich gewendet. Wenn Al-Jezira und mit ihm einige neue, wiewohl weniger erfolgreiche Satellitensender, rasch, live, kompetent und mutig nach bestem britischen Vorbild über Geschehnisse in der arabischen Welt berichten, dann haben sie damit eine Revolution in der Medienlandschaft ausgelöst, die die Herrscher dieser Region erzittern lässt. Mehr und mehr entgleitet diesen die Kontrolle über die seit Jahrzehnten kontrollierte öffentliche Meinung ihrer Länder. Die arabischen Massen haben begonnen, ihre Stimme zu erheben. Und die politischen Führer können die Gedanken und Gefühle ihrer Untertanen nicht länger ignorieren. "Vor dem Publikum lässt sich nichts mehr verbergen. Die Mentalität hat sich geändert", meint Mohammed Jasem al-Ali, Manager von Al-Jezira. Tagelange Massendemonstrationen in arabischen Städten gegen die blutigen Konflikte in Palästina setzten die arabischen Regime unter massivem Druck, durch konkrete Aktionen gegen Israel Solidarität mit den Palästinensern zu bekunden.

Vom Scheich gefördert Schon zuvor lieferte Al Jezira Beweise seiner Wirkung auf die öffentliche Meinung. Im Dezember 1998 erregte seine Berichterstattung über die britisch-amerikanischen Bombenangriffe auf Bagdad die syrische Bevölkerung derart, dass die normalerweise gar nicht zimperlichen Sicherheitskräfte es für klüger hielten, einer Gruppe von zornigen Studenten nicht entgegenzutreten, als diese in die US-Botschaft von Damaskus eindrangen. Pro-westliche arabische Führer sahen sich gar gedrängt, US-Präsident Clinton telefonisch vor "Straßenaufständen" zu warnen, die fortgesetzte Angriffe der Amerikaner auf den Irak in arabischen Städten auslösen könnten.

Al Jeziras "Revolution" begann vor fünf Jahren. Die saudi-arabische bislang in Kooperation mit dem britischen Sender BBC geführte Fernsehstation stand zum Verkauf und der kurz zuvor in Katar durch eine Palastrevolution an die Macht gelangte Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani ergriff die Chance, mit Hilfe dieses Senders eine eigenständige Rolle in der Region aufzubauen. Er kaufte die Station und übernahm einen großen Teil des arabischen BBC-Teams. In kürzester Zeit stieg Al Jezira zum wichtigsten, erfolgreichsten und effizientesten arabischen Informationsmedium auf.

Das in Dubai stationierte "Pan-arabische Forschungszentrum" behauptet, dass etwa die Hälfte aller arabischen Fernsehzuseher von den öffentlichen lokalen Stationen auf Al Jezira umgeschaltet hätten. Manche Sendungen locken bis zu 30 Millionen Zuschauer. Durch Live-Berichte und Interviews unterläuft Al-Jezira eine mögliche Zensur, die Katars Herrscher dem Journalistenteam aber ohnedies nicht auferlegt. Scheich Hamad hat sich der "Demokratisierung seines winzigen Reiches von oben" verschrieben und Al Jezira entspringt diesem Geist.

Boykottdrohungen Manche arabische Führer delektieren sich an kritischen Berichten über Amtskollegen. Doch trifft es sie einmal selbst, dann ist die Toleranzgrenze überschritten. Libyens Muammar al-Gaddafi etwa freute sich lange über eine relativ wohlwollende Behandlung durch Al Jezira. Doch eines Tages strahlte der Sender ein kritisches Interview mit einem libyschen Exil-Intellektuellen aus, der schwere Anklagen gegen das Regime in Tripolis erhob. Wütend zog Gaddafi seinen Botschafter aus Katar ab. Ähnlich reagierte Tunesiens Staatschef Ben-Ali auf Kritik, die in einer Diskussionssendung gegen ihn erhoben wurde. Zuletzt drohte Ägypten Al Jezira totalen Boykott an, weil der Sender es wagte, diesem Land im Zusammenhang mit der Palästinakrise mangelnde arabische Solidarität vorzuwerfen. Die Kritik an Ägypten sei "ein schwerer Fehler und vergifte die arabische Gesellschaft, zerre sie auseinander", wetterte Informationsminister Safwaat el-Sherif. Auch Saudi-Arabien zürnt. Innenminister Prinz Nayif hält zwar die Berichte von Al Jezira für "ausgezeichnet und präzise", fügt jedoch hinzu, dass der Sender als "Ableger der BBC Gift auf einem goldenen Teller" serviere. Kuwait beklagt sich, das Al-Jezira-Team stünde im Dienste Saddam Husseins, während der irakische Diktator selbst wiederholt scharfe Attacken des Senders bisher weitgehend ohne Proteste hinnahm. Katars Außenministerium erhielt nach eigenen Angaben bisher rund 400 offizielle Protestschreiben. Ob das winzige Scheichtum die Empörung teils mächtiger arabischer Führer auf Dauer verkraften kann, bleibt dahingestellt.

Nur im Weltraum?

"Kein Zweifel", analysiert der prominente libanesische Journalist Saad Mehyo, "Al Jezira hat eine demokratische Revolution im arabischen Fernsehen ausgelöst", eine Veränderung, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Schon sprechen so manche Kommentatoren von der "Arabischen Welt vor und nach Al Jezira". Der Satellitensender hat einen Sturm der Freiheit entfacht - vorerst allerdings nur, klagt Mehyo, "im Weltraum, während die liberale Idee auf dem Boden immer noch in Ketten bleibt". Al Jezira weckt in der arabischen Welt auch neues Selbstbewusstsein.

"Seit langem", klagt der Fernsehjournalist der Konkurrenzanstalt Arab News Network, Kassem al-Mazraani, "fühlen wir uns vom Westen unfair behandelt. Die öffentliche Meinung im Westen ist stets auf Seite Israels. Sie kümmert sich nicht um die Araber. Al Jezira und seine Berichterstattung über die Intifada (den Aufstand) in Palästina hat uns ein neues Gefühl der Einheit gegeben, ein Gefühl, dass wir noch existieren und Israel eines Tages besiegen können." Al Jezira hat große Hoffnung geweckt. "Er hat ein Loch geschlagen in die Wand des arabischen Schweigens", meint der palästinensische Poet Amjad Nasser. Er zeige, dass auch die Araber ihre Stimme erheben könnten, "und dass wir viel zu sagen haben".

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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