Den Islam "verkürzt“?

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Deutsche muslimische Verbände fordern die Abberufung von Mouhanad Khorchide, der an der Universität Münster das Zentrum für Islamische Theologie leitet.

Über mangelnde Anerkennung bei Politik, Kirchen, Öffentlichkeit und Medien in Deutschland kann sich Mouhanad Khorchide nicht beklagen. Zunächst verlief für den in Österreich Aufgewachsenen, der seit 2010 islamische Religionspädagogik an der Universität Münster lehrt, alles positiv. Die islamischen Verbände schienen zufrieden, die Universität begeistert, und vor Interview-Anfragen konnte Khorchide sich kaum retten. Doch inzwischen sieht alles ganz anders aus, denn die im Koordinationsrat für Muslime (KRM) vereinten Verbände fordern seine Abberufung: Die Zusammenarbeit sei "nachhaltig zerrüttet und irreparabel beschädigt“.

Khorchide leitet in Münster eines der vier Zentren für islamische Theologie, die in den letzten Jahren an verschiedenen Universitäten in Deutschland entstanden sind. Das im Oktober 2012 eröffnete Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) in Münster verzeichnet großen Zuspruch: Zum Wintersemester 2013/14 bewarben sich rund 1000 Interessenten um die 260 Studienplätze. Derzeit sind 400 Studierende am ZIT eingeschrieben, die Religionslehrer oder Imam werden wollen. Trotz dieses greifbaren Erfolgs und der öffentlichen Anerkennung in Deutschland hat sich das Blatt gewendet, seit Khorchide im Herbst 2012 sein Buch "Islam und Barmherzigkeit“ veröffentlichte. Im Frühjahr 2013 meldeten sich mehrere islamische Organisationen - wie die Türkisch-Islamische Union (DITIB) Nord, die Schura Niedersachsen und der Bund islamischer Gemeinden Hamburg - mit massiver Kritik an Khorchide zu Wort und forderten ihn zum Teil sogar offen auf, "Reue“ zu zeigen. In bösartigen Kommentaren im Netz wurde Khorchide darüber hinaus sogar als "Lügner, Scharlatan und Islamfeind“ diffamiert.

Unterstützung von Gauck und Al-Azhar

Im Sommer schien die Lage sich in Münster zu beruhigen. Öffentliche Rückendeckung erhielt Khorchide dann von keinem Geringeren als dem deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck. "Sie erleben ein wichtiges Kapitel deutscher Gegenwartsgeschichte. Denn was hier geschieht - in Münster und an einigen weiteren Orten in Deutschland -, das ist aufregend in vielfacher Hinsicht“, bescheinigte Gauck dem ZIT, das er anlässlich einer Münster-Visite im November ganz gezielt und bewusst besuchte. Ausdrücklich ermunterte der Bundespräsident Khorchide und die anderen Vertreter des Zentrums, "das Vielschichtige und die - im positiven Sinn verstandene - Ambiguität im Islam zu zeigen“. Dabei verschwieg Gauck nicht die Konflikte rund ums ZIT, doch Auseinandersetzungen, so der Bundespräsident, seien in einer freiheitlichen und pluralen Gesellschaft nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Aber auch ein Repräsentant der wichtigsten akademischen Institution der islamischen Welt lobte Khorchide und das ZIT bei dieser Gelegenheit. Mahmoud Azab, Chefberater des Großscheichs der Kairoer Al-Azhar-Universität erklärte ganz offiziell: "Die Azhar-Institution begrüßt die theologisch fundierte Arbeit des ZIT mit Nachdruck - sie ist eine notwendige Bereicherung auch für die islamische Welt.“ In einem Schreiben wenige Tage später bezeichnete Azab das ZIT darüber hinaus als "viel versprechendes Projekt für die Ausbildung von jungen muslimischen Theologinnen und Theologen in Deutschland“ und appellierte an alle beteiligten Akteure, "dieses fruchtbare Projekt hier in Münster, dessen Leiter, Professor Mouhanad Khorchide, sowie das junge Team am Zentrum für Islamische Theologie zu unterstützen“.

Doch noch vor dem Besuch Gaucks kün-digte der Koordinationsrat, die Dachorganisation der muslimischen Verbände, ein theologisches Gutachten über Khorchides Thesen zum Islam. Kurz vor Weihnachten wurde dieses veröffentlicht. In dem 71-seitigen Papier wird Khorchide vor allem eine unzureichende, lediglich "dem Zeitgeist entgegenkommende“ Methodik vorgeworfen. Indem er zwischen historisch bedingten und überzeitlichen Koranversen unterscheide, praktiziere er "eine ideologische Selektion der göttlichen Botschaft“, so der islamische Theologe Mohammed Khallouk (München).

Scharfe Kritik muslimischer Verbände

Khorchide übertrage die Standardmethoden der Islamwissenschaft und der christlichen Theologie, insbesondere die historisch-kritische Exegese und die Redaktionskritik, auf die islamische Theologie. Das aber sei, so Khallouk, nur bedingt möglich und einem bekenntnisorientierten islamischen Theologen versagt. Denn während die biblischen Autoren Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte nach dem Jesus-Ereignis berichtet hätten, sei der Koran "vom Erzengel Gabriel vollständig und ausschließlich dem letzten Propheten Mohammed vermittelt worden.“

Das Gutachten lässt in einigen grundsätzlichen Punkten aber auch ein gutes Haar an Khorchides Theologie. So hebt etwa die Theologin Seyda Can hervor, dass die Existenz Gottes bei Khorchide nicht in Frage stehe, und auch eine Verleugnung des Jenseits nicht festgestellt werden könne. Trotz undifferenzierter und unsachlicher Äußerungen bewege Khorchide sich im Rahmen der islamischen Lehre. Da aber wesentliche seiner Positionen von der mehrheitlichen sunnitischen Lehre abwichen, sei es erstaunlich, dass er der Leiter eines konfessionsgebundenen islamischen Zentrums sein könne.

Auch ein weiterer Gutachter, der Islamwissenschaftler und Imam Erol Pürlü, wirft Khorchide vor, er verkürze wesentliche Glaubensinhalte der traditionellen Theologie. Zentral ist aber nach Pürlüs Ansicht vor allem, dass Khorchide eines von 99 Attributen Gottes, nämlich die Barmherzigkeit, besonders hervorhebe und der These "Gott ist Barmherzigkeit“ alles andere unterordne. Eine der größten Schwächen Khorchides, so Pürlü, sei die Beliebigkeit der Quelleninterpretation und die willkürliche Zitierung.

Universität steht hinter Khorchide

Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung um Khorchides Theologie geht es auch um den Beirat für das Münsteraner ZIT. Dieser soll über die Berufung von Professoren und die Lehrinhalte wachen. Der Beirat setzt sich laut Statut aus vier Vertretern der muslimischen Verbände sowie vier muslimischen Persönlichkeiten zusammen, die von der Universität Münster benannt werden. Norbert Robers, Pressesprecher der Universität Münster, bestätigte auf Anfrage, dass der achtköpfige Beirat bis heute nicht funktionsfähig sei. Nachdem zwei vorgeschlagene Kandidaten wegen verfassungsrechtlicher Bedenken abgelehnt worden waren, gebe es inzwischen neue Kandidaten, auf die man sich voraussichtlich einigen könne. Insgesamt gibt man sich an der Universität, die Khorchide als Aushängeschild betrachtet, betont gelassen. "Wir sehen nach wie vor nicht den geringsten Anlass, an der Qualifikation oder Eignung von Professor Khorchide zu zweifeln“, so Pressesprecher Robers zur FURCHE. Außerdem habe der Koordinationsrat der Berufung Khorchides im Jahr 2010 ausdrücklich zugestimmt. Auch sei der künftige Beirat nicht befugt, selbst Khorchide abzuberufen. Das müsse er vielmehr gegenüber Uni-Rektorin Ursula Nelles stichhaltig begründen, bei der die Letztentscheidung liege. Die konstituierende Sitzung des Beirats, so Robers, werde kaum vor Februar stattfinden können.

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