Den Klagenfurter Bewerb wieder laut machen

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Die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt bedeuten drei Tage Literatur im Fernsehen. Die Chancen einer solchen Veranstaltung wurden aber nicht so recht genützt.

Die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt mögen „auch in Zukunft laut sein und laut bleiben“: Das wünschte sich der Juryvorsitzende Burkhard Spinnen in seiner Rede nach der Verleihung des diesjährigen Bachmann-Preises am vergangenen Sonntag. Er sprach sich damit gegen jene „Verbesserer“ aus, die meinten, auf die Lesungen der Autoren verzichten zu können. Jeder könne den Text ohnehin im Internet nachlesen, das spare Zeit und man müsse sich nicht die manchmal schlecht gelesenen Texte anhören. Nein, meinte Spinnen gegen all jene, die ihm ständig „Verbesserungsvorschläge“ unterbreiten, der Bewerb erinnere an das Vorlesen, an die Begegnung, an die „Körperlichkeit der Literatur“, er müsse daher laut bleiben.

Doch laut bleiben kann der Bewerb gar nicht, denn er wurde längst leise gemacht. Wie das Publikum, das auch an Zahl ziemlich abgenommen zu haben scheint seit der angeblich fernsehgerechten Studioumgestaltung vor zwei Jahren. Nun darf man sich nicht mehr auf den Biertischbänken drängen und ab und zu mal seinem Unmut laut Ausdruck geben, nun heißt es in einem verkleinerten Zuschauerraum auf wenigen Stühlen still Platz zu nehmen. Das Ganze sieht bei der Fernsehübertragung nach dem aus, was es nun ist: von der vom Juryvorsitzenden gewünschten Lebendigkeit kaum eine Spur. Daran hat Spinnen selbst seinen Anteil. Mundtot gemacht wurde das Publikum während der diesjährigen Veranstaltung nicht zuletzt durch die Mahnungen des Juryvorsitzenden, der die Konzentration der Jury nicht durch ein lebendiges Publikum gestört wissen wollte. Das hatte er bei seiner Rede gegen die „Verbesserer“ vielleicht vergessen.

Die ganz besondere Chance

Schade um diese Lebendigkeit. Denn gerade dieser immer wieder und aus unterschiedlichsten Gründen kritisierte Wettbewerb böte doch die ganz besondere Chance, drei Tage lang per Fernsehen nicht nur Literatur zu vermitteln, sondern auch die Kriterien transparent und verständlich zu machen, nach denen professionelle Leser versuchen, Literatur zu unterscheiden in gelungenere und wenigere gelungene Werke. Wie viele Lesarten es gibt, selbst unter geübten Lesern, wie man herausfindet, wie ein Text funktioniert oder auch nicht, was eine gute Sprache ist und was ein schlechter Stil – auf solche Fragen könnte gerade diese Veranstaltung unterhaltsam und spannend, beispielhaft und vielstimmig Auskunft geben. Selten hat man so viele professionelle Leser an einem Ort, kann man die unterschiedlichen Argumentationen und Literaturvorstellungen miteinander vergleichen und sich dann eine eigene Meinung bilden, auch gegen die Jury. Dass es einen eigenen Publikumspreis gibt, ist ein schönes Zeichen. Die Juroren könnten bei diesem Wettbewerb die einmalige Chance ergreifen, den Prozess ihrer Beurteilungen interessierten Leserinnen und Lesern transparent zu machen.

Wenn man aber nach den diesjährigen „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ diesbezüglich enttäuscht nach Hause fuhr oder den Fernseher abschaltete, so hatte das verschiedene Gründe. Der erste wurde bereits genannt. Denn ein stillgestelltes Publikum wirkt nicht nur eigenartig nüchtern und unecht (um nicht zu sagen: einschläfernd) auf den Zuschauer zu Hause, sondern feuert auch die Jury nicht an. Diese hätte so etwas aber offensichtlich dringend gebraucht, denn über weite Strecken wirkte sie eher gelangweilt und schlecht gelaunt. Verständlich ist das nicht, denn schließlich waren es die Juroren, die die Texte auswählten, die Autoren einluden. Was sie wählten, schien sie selbst nun nicht so recht zu begeistern. Aber vielleicht entsprang das Desinteresse dem Lagerdenken: Aus Prinzip interessieren nur die eigenen Nominierungen (jeder Juror darf zwei Texte vorschlagen), und aus Prinzip interessieren die Nominierungen der anderen (oder: bestimmter anderer) Juroren nicht. Das ist verständlich, aber trotzdem ärgerlich.

Unverständlich hingegen bleibt das Faktum, dass die ausgewählten Texte nicht gerade wie das Dotter vom Ei der Gegenwartsliteratur aussahen. Böse Zungen behaupteten, mit Peter Wawerzinek (der dann bezeichnenderweise nicht nur den Bachmann-Preis, sondern auch den Publikumspreis erhielt) sei überhaupt der einzige Literat zu Gast. „Die besten Texte, die die junge deutschsprachige Literatur 2009 zu bieten hat“, heißt es großspurig auf jenem Band, der die Texte des Vorjahres versammelt – man möchte hoffen, dass die heuer vorgelegten Texte nicht das Allerbeste waren, das die deutschsprachige Literatur zu bieten hat. Hatten die Juroren keine Auswahlmöglichkeiten? Kaum zu glauben. Einige kritisierten, die Juroren würden sich zu wenig bemühen, neue Talente aufzuspüren. Andere behaupteten, viele Autoren wollten bei diesem Bewerb gar nicht lesen – manche hätten schon mehrmals abgewunken.

Unlust statt Lust

Wenn das stimmt, dann hat dieser Bewerb ein Problem. Denn eigentlich müssten alle talentierten Autoren ihre Chance in Klagenfurt wittern. Immerhin gibt es fünf Preise für 14 Kandidaten. Aber wer hört sich schon gerne von einer Jurorin an, sein Text nötige den Leser, wie es Andrea Winkler im Vorjahr zu hören bekam. Wer erlebt schon gerne wie Verena Rossbacher heuer, dass der sprachlich anspruchsvolle Text nicht einmal in die engere Auswahl kommt. In den vergangenen Jahren wurde zu Recht kritisiert, dass die Jury mehr an Themen interessiert war als an der Machart der Texte. Mit Hubert Winkels statt Ijoma Mangold schien heuer zunächst alles ganz gut loszugehen. Man freute sich auf respektvolle, sachlich argumentierende und verständliche Kritik der Texte.

Doch sei es dem erwähnten Konkurrenzverhalten zu verdanken oder der Überforderung der Jury, drei Stunden nonstop aufmerksam zu sein: Es blieb beim Meinungsaddieren, Gespräch wollte keines aufkommen. Dann schlich sich wieder diese Unlust zu argumentieren ein, die je nach Charakter der handelnden Person ein anderes Gewand anzog. Vom simplen Kundtun des (Nicht-)Gefallens über grantiges Zwischenbeißen bis zu kryptisch-intellektuellen Bemerkungen reichte das Spektrum. Manche Aussagen verrieten mehr über die Psychodynamik in der Jurorenrunde denn über die Qualität eines Textes.

Autoren, die sich diesem Bewerb aussetzen, setzen sich den Launen und der Gestimmtheit der Juroren aus, das wurde einmal mehr deutlich. Was ihnen dann zufällt, zum Beispiel die Verhinderung einer Diskussion durch den Juryvorsitzenden, werden die Juroren rasch, die Autoren nie vergessen.

Mehrere vertane Chancen also, die Einmaligkeit dieses Bewerbs und seine Sinnhaftigkeit (neben der Geldausschüttung) unter Beweis zu stellen. Eine Jury, die sich freut auf lebendige Diskussionen über sorgfältig ausgewählte Texte, und ein Publikum, das laut sein darf: Das wäre mein Verbesserungsvorschlag, Herr Spinnen. Machen Sie den Bewerb wieder laut!

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