Den meisten Frauen fällt es schwer, darüber zu reden"

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Petra Bayr, SPÖ-Nationalratsabgeordnete und Sprecherin der Plattform gegen Genitalverstümmelung stopFGM, sieht Erfolge auf dem Weg zur Bekämpfung dieser grausamen Tradition.

Die Furche: Inwieweit betrifft das Problem der weiblichen Genitalverstümmelung Österreich?

Petra Bayr: In einer Studie aus dem Jahr 2000 wurden in Österreich lebende afrikanische Frauen interviewt, ob sie ihre Töchter auch beschneiden lassen würden. Die Frauen, die befragt wurden, stammen aus jenen afrikanischen Ländern, in denen FGM praktiziert wird, wobei die Beschneidung nicht nur in Afrika Tradition ist. Da haben für mich doch erschreckende dreißig Prozent gesagt "Ja, wir würden das tun."

Aus der selben Befragung wissen wir auch, dass ganz selten Verstümmelungen in Österreich vorgenommen werden. Neunzig Prozent lassen die Beschneidung während eines Heimaturlaubes oder in einem anderen Land durchführen. Das Problem ist, es gibt keinerlei Anzeigen oder Prozesse. Etwas Handhabbares, dass es in Österreich passieren würde, haben wir nicht; es deutet zwar einiges darauf hin, dass es vorkommt, aber es gibt nichts Verfolgbares.

Die Furche: Würden Sie also sagen, das Problem sei in Österreich gering?

Bayr: Wenn dreißig Prozent der Befragten angeben, sie würden ihre Töchter beschneiden lassen, dann würde ich das ganz und gar nicht als geringes Problem einschätzen. Das Problem ist, es gibt keine Zahlen. Für Österreich geistert eine Zahl von 6000 bis 8000 herum. Das ist nur eine Hochrechnung.

Die Furche: Sind die österreichischen Gesetze diesbezüglich ausreichend?

Bayr: Was das Strafgesetz betrifft, denke ich, dass es ausreichend ist; auch deshalb, weil FGM auch verfolgbar ist, wenn es im Ausland durchgeführt wird. Der Bereich der Asylgesetze ist schwieriger. Hier gibt es zum einen gesetzliche Lücken, wo Frauen durch das Netz fallen, wie die Drittstaatenregelung. Ein Beispiel: Eine afrikanische Familie flieht aus einem anderen Grund als FGM nach Belgien und beantragt dort Asyl. Sie bekommen eine Tochter. Nach zwei Jahren beschließt die Familie, das Kind zu verstümmeln. Die Mutter flieht mit dem Kind nach Österreich. Sie bekommt aber kein Asyl, weil Belgien ein sicheres Drittland ist. In diesem Fall ging es aber gut aus. Ich kenne vier Fälle, bei denen aufgrund von FGM Asyl gewährt wurde. Das Dilemma ist, es gibt keine Statistiken dazu.

Zum anderen bezweifle ich, dass bei Beamten, die mit Asylsuchenden zu tun haben, wirklich Sensibilität für frauenspezifische Verfolgungsgründe vorhanden ist. Ich bezweifle auch, dass Frauen so einfach darüber reden.

Die Furche: Glauben Sie, dass die westliche Gesellschaft mit diesem Problem überfordert ist und nicht wirklich ein Rezept dagegen hat?

Bayr: Eine 5000 Jahre alte Tradition von heute auf morgen auszulöschen, dafür hat niemand ein Rezept. So gesehen sind alle überfordert. Aber andererseits erlebe ich heute, dass jeder weiß, was das ist, und dass viele sehr betroffen sind und sich engagieren wollen. So gesehen ist die Gesellschaft gar nicht überfordert, weil es eine große Offenheit und Bereitschaft gibt. Das finde ich toll. Ich habe auch das Gefühl, dass auf der legistischen bzw. juristischen Ebene wirklich etwas weitergeht, auch EU-weit, nicht nur in Österreich. Zudem wurden Beschlüsse zu diesem Thema im Nationalrat immer einstimmig beschlossen.

Die Furche: Was sagen Sie zur Ermahnung Betroffener, dass sich Außenstehende nicht einmischen sollten?

Bayr: Das stimmt natürlich. Eine kultursensible Herangehensweise ist ganz wichtig. Menschen, die flüchten, lassen alles zurück und nehmen oft nur ihre Kultur und Identität mit. Es kann natürlich nicht sein, dass wir sagen "Pfui, pfui, das, was ihr macht, ist schlecht!" Ich glaube aber, dass das kaum passiert. Wir schauen auch, dass in der Beratungsstelle "Bright Future" (FGM-Beratung der Stadt Wien; Anm.) nur Frauen arbeiten, die aus demselben Kulturkreis kommen und muttersprachlich beraten können.

Meine Erfahrung ist auch, dass die Menschen das Thema behutsam angehen. Wir bekommen auch Anfragen von Bürgern, die beispielsweise fragen: "Bei uns auf der Stiege lebt ein ägyptisches Ehepaar mit zwei Töchtern, die bald auf Urlaub fahren. Was ist, wenn den Mädchen was passiert? Wie sollen wir da vorgehen? Wir können ja nicht einfach hingehen und sie darauf ansprechen." Ich erlebe sehr viele Menschen, die sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie wirklich helfen können.

Das ist wirklich ganz tolle Zivilcourage. Denn es ist unglaublich schwierig, zu jemandem hinzugehen und darüber zu reden. Ich habe auch mit einer Ärztin gesprochen, die bei sich im Haus ein Ehepaar gehabt hat, bei dem sie Aufklärungsarbeit gegen eine Beschneidung geleistet hat. Das sind zwei Fälle von vielen anderen. Ich erlebe sehr rücksichtsvolles und sensibles Vorgehen, was mich sehr positiv überrascht. Weil die Wiener bzw. Österreicher nicht unbedingt so kultursensibel sind.

Die Furche: Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit betroffenen Frauen?

Bayr: Den meisten Frauen fällt es sehr schwer, darüber zu reden, überhaupt mit jemanden, der aus einer anderen Kultur kommt. Die Frauen haben Angst, man würde sie für rückständig halten oder man würde das nicht verstehen. Entweder die Frauen zogen sich zurück oder sie sagten, sie seien "nur" der "Sunna"-Variante (siehe Info-Box, Seite 2) unterzogen worden. Es kommen auch sehr viele Rechtfertigungen. Ich verlange aber keine Rechtfertigungen. Frauen laden sich eine kulturelle Schuld auf, die sie gar nicht haben müssten.

Die Furche: Was halten Sie von der Konferenz in Kairo, bei der islamische Würdenträger klar gesagt haben, dass FGM gegen die Lehren des Islam sei?

Bayr: Das ist ein wichtiger Schritt gegen FGM. Es zeigt sich, dass das Einbeziehen von religiösen Würdenträgern ein ganz wichtiger Schlüssel ist. Noch wichtiger wäre das Einbeziehen der religiösen Würdenträger vor Ort.

Die Furche: Was ist nun in Österreich im Kampf gegen FGM weiter geplant?

Bayr: Die Stadt Wien lässt in Rahmen einer Studie in der afrikanischen Community nachforschen, was sich Betroffene als Hilfestellung wünschen. Die Ergebnisse sollen im März präsentiert werden.

Das Gespräch führte Regine Bogensberger.

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