"Den Menschen zeigen, daß sie nicht allein sind"

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Seit Jahren ist Annemarie Kury mit dem eigenen Auto nach Kroatien und Bosnien unterwegs, um Hilfe zu bringen - auch während der Kriegswirren. Mit ihren Freunden brachte sie bisher 6,5 Millionen Schilling auf: Helfen als "Pensionshobby" einer bemerkenswerten Frau.

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Seit Jahren ist Annemarie Kury mit dem eigenen Auto nach Kroatien und Bosnien unterwegs, um Hilfe zu bringen - auch während der Kriegswirren. Mit ihren Freunden brachte sie bisher 6,5 Millionen Schilling auf: Helfen als "Pensionshobby" einer bemerkenswerten Frau.

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dieFurche: Sie sind dieser Tage wieder aus Bosnien zurückgekommen, die wievielte Fahrt war das?

Annemarie Kury: Die 118., bei der ich selbst gefahren bin. Dazu kommen noch einige mit LKW, wo ich nur dabeigesessen bin.

dieFurche: Seit wann machen Sie diese Fahrten ?

Kury: Seit November 1991, seit der Krieg nach Kroatien übergegrifffen hat. Bis 1994 fuhr ich nach Kroatien, seither nach Bosnien.

dieFurche: Was sind die Kernpunkte Ihrer Aktionen ? Was wollen Sie erreichen? Was stellen Sie sich vor?

Kury: Das ist nicht so leicht zu beantworten, weil sich die Akzente verschoben haben. Zuerst ging es mir nur darum, Lebensmittel für die Menschen, vor allem für die Flüchtlinge aus Ostslawonien, hinzubringen, reine Transporte mit Sachgütern, Lebensmitteln, Medikamente, Hygieneartikel, Kleidung. Dabei kam ich mit so vielen Menschen zusammen, die ich dann immer wieder besucht habe, daß ich gemerkt habe, daß Mehl allein nicht alles ist. Ich wollte den Menschen zeigen, daß sie nicht alleingelassen werden, daß es hier Menschen gibt, die sehr an sie denken. Und dann hatte ich einfach das Bedürfnis zu teilen.

dieFurche: Bei solchen Bemühungen gibt es natürlich auch Hindernisse . Was hat Sie am meisten behindert?

Kury: Anfangs zunächst einmal meine Ahnungslosigkeit - die Grenzabfertigungen, der Zoll, die verschiedenen Uniformen, ich kannte die Fahrtstrecken nicht, die schlechten Straßen. Dann aber kam die Schwierigkeit, gerecht zu verteilen, möglichst gerecht, denn ganz gerecht ist nicht möglich. Heute noch gibt es die Schwierigkeit herauszufinden, wo Hilfe am nötigsten ist.

dieFurche: Wie steht es mit der Bürokratie? Gab es Schikanen, bösen Willen zu überwinden?

Kury: Davon habe ich viel gehört - mir gegenüber habe ich eigentlich nie Schikanen empfunden. Ich habe da so ein paar Dinge, die mir wichtig sind: Ich sehe den Menschen direkt in die Augen - deswegen trage ich nie eine Sonnenbrille. Ich frage mich jeweils: Wie geht es denen? Warum machen die das? Ich glaube, wenn man mit dieser Einstellung kommt, können auch Soldaten und Zollbeamte weicher gestimmt werden.

dieFurche: Wie steht es mit Sprachkenntnissen? Sprechen Sie Serbisch?

Kury: Anfangs überhaupt nicht. Ich begann dann mit einem kleinen Wörterbuch, habe Wörter zusammengesetzt, sie auswendig gelernt. Ich habe mich viel zu spät entschlossen, die Sprache in einem Kurs zu lernen, aber das fällt mir schwer, ich komme nur langsam vorwärts. Aber es gab immer wieder hier oder dort jemanden, der dolmetschen konnte. Meist Gastarbeiter, die in Deutschland oder Österreich gearbeitet hatten.

dieFurche: Wer hilft Ihnen bei Ihren Aktionen?

Kury: Ich habe hier einige Helfer, die mir die Sachen organisieren oder verpacken helfen. Die wichtigsten Helfer aber sind natürlich die Spender.

dieFurche: Wer sind die Spender?

Kury: Nur Freunde, Freunde von Freunden, ausschließlich private - wobei ich unter "privat" etwa auch Schulen verstehe, in denen ich über meine Fahrten erzähle und die dann Sammlungen organisieren. Ich habe noch nie öffentliches Geld bekommen. Es spricht sich herum. Dann berichte ich über jede meiner Reisen in einem Rundbrief, den meine Spender erhalten. Ich habe mit fünf Durchschlägen angefangen, heute geht jeder Brief mit 300 Stück hinaus, bis in die USA, nach Portugal, nach Australien. Auch von dort kommt Hilfe.

dieFurche: Aber die Spenden von Lebensmitteln, von Pharmazeutika?

Kury: Das war am Anfang. Inzwischen sind es vorwiegend Geldspenden, weil wir in Bosnien 50 Patenkinder haben, wobei unter "Patenkinder" auch Erwachsene zu verstehen sind, die keine Möglichkeit zur Selbsthilfe haben : eine alte blinde Frau , die keine Pension, keine Krankenkasse hat. Dann körperlich oder geistig Behinderte, Kinder wie Erwachsene, oder eine Kriegswitwe mit vier kleinen Kindern, die ihre Heimat verloren und sonst keine Verwandten hat. Das sind unsere Patenkinder.

dieFurche: Wie spielt sich eine solche Patenschaft ab?

Kury: Ich werde unten angesprochen : Da ist jemand, der unbedingt Hilfe braucht. Man kennt mich ja schon, weil ich schon so oft hinuntergekommen bin. Ich besuche diese "Patenkinder", meist sind es Familien, mindestens alle drei Monate, um ihnen ihr Patenschaftsgeld für ein Vierteljahr zu bringen, dazu irgendeine Kleinigkeit, die es gerade gibt, etwas zu essen , Wäsche, Samen.

dieFurche: Die "Paten", die Spender hier, wissen, an wen ihr Geld geht?

Kury: Ja, ich schaue dann, daß sie auch ein bißchen zusammenpassen, etwa wenn eine Familie hier mit drei erwachsenen Kindern, die ihr Studium schon abgeschlossen haben, unten für einen Studenten zahlt, der keine Angehörigen mehr hat.

dieFurche: Wieviel macht so eine Patenschaft aus?

Kury: 50 D-Mark, 350 Schiling, im Monat, nach Möglichkeit bar in D-Mark, die unten als die eigentliche Währung gilt, im Kuvert, schon beschriftet, ich übergebe das Geld nur. Ich bringe es selbst hin. Von den Spendengeldern darf von mir aus kein Schilling für Transport und Verwaltung aufgehen. Das ist mein Prinzip!

dieFurche: Ihre Spesen zahlen Sie selbst Auch die Transportkosten?

Kury: Ja, das ist mein Pensionshobby. Wenn noch jemand mit eigenem PKW mitfährt, zahlt er sich das auch selbst.

dieFurche: Haben Sie einen Überblick, wie viel Sie in diesen Jahren "umgesetzt" haben?

Kury: Ich kann nur das Bargeld zählen, die Sachspenden machen mindestens ebenso viel aus. An Bargeld waren es 6,5 Millionen Schilling.

dieFurche: Wo sind jetzt Ihre Einsatzgebiete?

Kury: Zur Zeit in der Umgebung von Tuzla. Dort sind besonders viele Binnenflüchtlinge aus Teilen Bosniens, die jetzt unter serbischer Verwaltung stehen, Menschen, die alles verloren haben und denen es besonders schlecht geht, weil ihnen niemand hilft. Die humanitäre Hilfe, von der sie in den letzten Jahren gelebt haben, hat aufgehört. Das sind vorwiegend Muslime, aber für mich ist es ganz gleich, von welcher Volkszugehörigkeit die Menschen sind. Für mich zählt nur die Not, in der sie sich befinden. Außerdem bauen wir ein Dorf auf, westlich von Zupanja, in Nordbosnien. Tramoznica hatte früher 2.500 Einwohner, dann kamen die Serben und sprengten jedes einzelne Haus. Inzwischen sind 250 Menschen zurückgekommen und wollen ihr Dorf wieder aufbauen.

dieFurche: Bekommen sie dazu nicht Hilfe vom Ausland?

Kury: Die EU gibt für Häuser, die als "noch reparaturfähig" erklärt wurden, Zuschüsse. Für jene Häuser aber, die total zerstört sind, gibt es keine Hilfe. Was sollen die Menschen dann machen? Da wollen wir helfen - und sie brauchen alles.

dieFurche: Wie wollen Sie dort konkret helfen?

Kury: In Tramoznica wird zur Zeit der Pfarrhof aufgebaut, in den auch die Schule aufgenommen werden soll. Der soll im September in Betrieb gehen. Wir haben jetzt gesammelt für die Fenster und Türen, die werden nun eingebaut. Alles andere brauchen sie noch.

dieFurche: Um die Schulklassen einzurichten, brauchen sie ja auch eine Menge.

Kury: Tische, Sessel, Tafeln, Hefte, Material, alles brauchen sie. Alte Schultafeln, Tische, Sessel müßten doch hier zu haben sein, wo Schulen neu eingerichtet werden. Was bleibt, ist das Transportproblem. Es müßte etwa eine Firma einen LKW mit Fahrer zur Verfügung stellen, der die Sachen hinunter bringt.

dieFurche: Warum machen Sie das alles?

Kury: Weil ich selbst die Vertreibung erlebt habe und auch das Witwendasein schon lange kenne. Dadurch habe ich sicher mehr Verständnis. Ich brauche die Phantasie nicht, um mich in die Lage dieser Menschen hineinzudenken. Und es macht mir Freude zu sehen, wie die Menschen dort auf mich warten, wie sie mich umarmen und abküssen, wenn ich komme. Eine alte muslimische Frau hat mir ein Holzstück mit eingebranntem Papstbild geschenkt, um mir eine Freude zu machen.

dieFurche: Wie lange wollen Sie das noch weitermachen?

Kury: Inschallah! Wie sie dort sagen. Gott weiß! Ich werde schon ein bißchen müde. 118mal selbst am Steuer, zehnmal als Beifahrerin im LKW. Aber Bosnien braucht Hilfe. Deswegen ist es mir auch so wichtig, daß fallweise jemand mitfährt, dem die Augen aufgehen. Ich hatte junge Menschen mit, die dann sagten, so hätten sie es sich nicht vorgestellt.

Das Gespräch führte Felix Gamillscheg Zur Person: Helfen aus Freude an der Arbeit Annemarie Kury , Jahrgang 1932, stammt aus dem Südböhmischen, wo ihr Vater Forstdirektor beim Fürsten Schwarzenberg war. Nach der Vertreibung 1946 fand sie in der Steiermark eine zweite Heimat. Im Wiener Rudolfinerhaus zur Diplomkrankenschwester ausgebildet, heiratete sie einen Arzt und brachte fünf Kinder zur Welt. 1977 stürzte ihr Mann als Expeditionsarzt im Himalaya tödlich ab. "Ich horche immer auf die innere Stimme, was ich zu tun habe," analysiert sie sich selbst. "Das funktioniert immer". Ihre Kraftquellen sind ihre Religion, die Freude an der Arbeit - und jeweils zwei Monate Ausspannen auf einer Alm oberhalb von Murau.

Wer mithelfen will: Tel (01) 478 4669

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