Den Ort des Glücks suchen

Werbung
Werbung
Werbung

Was lockt Tausende Österreicher jedes Jahr in den Himalaya? Eine aktuelle Studie beschreibt, welche Motive Himalayareisende in die Höhe treiben - und mit welchen Erfahrungen sie heimkommen.

Diese Lust, alles stehen und liegen zu lassen, kommt einem im Alter von zehn bis dreizehn Jahren, wenn man bäuchlings auf dem Teppich liegt und sich still den Atlas anschaut", so schreibt der Reiseschriftsteller Nicolas Bouvier in seinem Buch "Die Erfahrung der Welt". Ist es die ewig jugendliche Neugier, was die Menschen hinaustreibt - und auch immer höher hinauf? Auch solche, denen schon in der Ebene die Luft ausgeht, machen sich auf. Sie streben Destinationen an, deren Namen sie kaum richtig aussprechen können, aber deren Magie sie voll erlegen sind.

Auch Rosmarie aus Zwettl hat ihren Rucksack gepackt, sich in ihre Outdoor-Kluft geworfen und ist nach acht Stunden Direktflug auf dem Airport von Kathmandu, der Drehscheibe des Himalaya-Tourismus, gelandet. Etwa 3.000 Österreicher waren es im Vorjahr. Die meisten sind in ihren "besten" Jahren und im Trekkingparadies Nepal gelten sie als Qualitätstouristen, weil ihnen in Restaurants oder in den Souvenirläden die Rupie locker sitzt.

Kein Sinn mehr in der Ebene

Hat der flache Alltag das Leben so planiert, dass in der Ebene kein Sinn mehr zu finden ist, ein solcher nur noch in der Höhe vermutet wird? "Der Sinn fällt nicht vom Himmel", philosophiert Reinhold Messner, die umstrittene Galionsfigur der Bergsteigerszene. Er hat wie kein anderer die Welt der Achttausender für sich als Erlebnisraum definiert und seine Risikoinszenierungen machten auch den Wanderern zwischen Arlberg und Semmering Appetit auf Höheres, Intensiveres, Exotischeres.

Vor 50 Jahren waren es Heinrich Harrer oder Herbert Tichy, deren Begegnungen mit den Menschen des Himalaya die Leser bewegten. Auch die Bücher von den erfolgreichen Erstbesteigungen des Mount Everest, der Annapurna oder des Nanga Parbat wurden zu Bestsellern. "Ich wollte mir einen Jugendtraum erfüllen" - dieser innere Antrieb motiviert viele der heutigen Himalayatouristen. Das romantische Motiv, zurück zur Natur, in die Wildnis, ist ein zentrales. Einsamkeit erleben als Voraussetzung, um die Größe der Berge überhaupt wahrnehmen zu können, das Individuum in sich wieder spüren, vielleicht sogar begreifen. Und auch etwas Mut und Angst spielen mit beim Verlassen des erprobten Terrains.

Aura des Geheimnisvollen

Über dem Himalaya schwebt auch eine Aura des Geheimnisvollen, des Spirituellen, des MystischMythischen. Für die Einheimischen sind die Gipfel von Göttern bewohnt, ihren Lebensrhythmus regiert göttliche Ordnung. Hunderttausende Hindus wie Buddhisten pilgern zu den großen Jatras im indischen und nepalesischen Himalaya, besuchen die magischen Kraftplätze oder umrunden den heiligen Berg Kailash in Tibet auf dem Weg zur vollkommenen Harmonie.

Die touristische Vermarktung des Himalaya im Westen spielt mit diesen Bildern. Vor allem der Tibet-Mythos lässt sich umsetzen, und Hollywood hat mit Filmen wie "Sieben Jahre Tibet" oder "Little Buddha" das Interesse für die Ereignisse auf dem Dach der Welt akzentuiert. Einmal diese fremde, exotische Welt zu erleben, jenes Gemisch aus Gebetsmühlen und Buttertee, einen flüchtigen Einblick in das Klosterleben oder in den Ablauf der Dinge in den Dörfern zu gewinnen und etwas von der uns verloren gegangenen Kosmogenität zu begreifen, derartige Wünsche stecken hinter der Himalaya-Sehnsucht.

Auf der Liste der Attraktionen steht auch das Weltkulturerbe Kathmandutal, mit seiner jahrhundertealten Architektur, seinen einzigartigen Tempeln, Palästen und Hinterhöfen, die großteils dem Verfall preisgegeben sind, in kleinen Teilen aber restauriert werden, u.a. von der Gesellschaft Öko Himal im Rahmen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. (www.ecohimal.or.at)

Blutegel, Wanzen überall

Eine vom Institut für interdisziplinäre Tourismusforschung der Universität Salzburg durchgeführte Studie (www.sbg.ac.at/init) ging der Frage nach, welche Motive Himalayareisende in die Höhe treiben und welche Erfahrungen sie heimbringen. Während Männer durch ausgedehntes Trekking den Körper an seine Leistungsgrenze heranführen wollen, fühlen sich Frauen stärker von der Spiritualität des Kulturkreises angezogen. Sie sind neugieriger auf das Fremde, wollen wissen, wie diese Menschen mit ihrer Nähe zum Himmel das Leben bewältigen. Sie sind die toleranteren und zufriedeneren Touristen, was angesichts der hygienischen Bedingungen, die mancherorts herrschen, erstaunt.

Männer kritisieren häufiger die Qualität, stoßen sich an unsauberen Unterkünften. Niemand liebt Blutegel oder Wanzen, aber Äußerungen wie "Ich kann keinen Reis mehr sehen" oder "Es gab keine Maggi-Brühwürfel" zeigen, wie sehr die Abweichung vom Normalweg am Gemüt zehren kann. Männer sind vielleicht auch deshalb etwas weniger begeistert, weil sie sich in der exotischen Atmosphäre und fremden Kultur weniger wohl fühlen oder weil es ihnen möglicherweise schwerer fällt, abzuschalten und Seelenfrieden zu finden.

In die generelle Zufriedenheit mischen sich Kritik und Unverständnis. "Kathmandu ist das faszinierendste Dreckloch der Erde", resümiert Torsten aus Bielefeld. Er kommt seit Jahren nach Nepal, denn das Land sei "das Mekka aller Bergbegeisterten". Für europäische Mülltrenner sind die stinkenden Abfallhaufen und wilden Deponien im gesamten Kathmandu-Tal eine Zumutung, ebenso der katalysatorfreie Verkehr und die zu Kloaken mutierten heiligen Flüsse.

"Sie spucken nach links und rechts." Katrin weiß, dass Tuberkulose eine typische Krankheit in Nepal ist, dennoch - manchmal ist es schwer, die ortsüblichen Körperäußerungen zu akzeptieren. Alle Reisenden sind aber hingerissen von der ansteckenden Herzlichkeit der Nepalis, ihrer Gastfreundschaft, ihrer Hilfsbereitschaft. Von den meisten Reisenden wurde der ruhige Fluss des Lebens in den Dörfern und die offensichtliche Stresslosigkeit als wohltuend empfunden.

Dunkle Seite des Paradieses

"Die Armut, die schweren Lasten der Träger, die Plünderung ihrer Kunstschätze, meine Ohnmacht beim Anblick von Krankheiten - ich wusste nicht, wie damit umzugehen", schildert eine Lehrerin ihre Eindrücke. Wie sie haben viele erkannt, dass das ferne "Paradies" eine dunkle Seite hat, die in den Hochglanzkatalogen nicht aufscheint. Die verzweifelte Armut jener Bergbauern, an denen die Entwicklung des Landes bislang vorbeigegangen ist, nutzt eine maoistische Untergrundbewegung zum "Volkskrieg" gegen die rasant wechselnden Regierungen, die kaum etwas Positives zustande bringen.

Seitdem die Rebellen mit Streiks und Terroranschlägen das Hindukönigreich in Atem halten, ist das friedvolle Image dahin und mit ihm die Touristen, die nach dem 11. September den Pinzgau und den Schwarzwald wieder als Trekking-Biotope entdecken. Innerhalb von zwei Jahren halbierte sich die Zahl der Nepalbesucher auf rund 250.000, was die Probleme des Landes, das auf den Tourismus angewiesen ist, nur noch vergrößert.

"Nepal war ein Kontrasterlebnis, das uns Wohlstandsmenschen wieder bescheidener macht." Der fünfzigjährige Tischler aus der Steiermark wirkt eher nachdenklich, als er auf dem Wiener Flughafen landet. Eine Kölnerin im gleichen Alter schimpft über die langen Fußwege im dortigen Transitbereich. Viel kann es nicht sein, was sie von Asien gelernt hat!

Lernen den Nepalesen

In der Mehrzahl sind Himalaya-Touristen aber wachsame, ökologisch wie kulturell sensible Reisende, kritisch gegenüber ihrem eigenen Tun. Die Vermeidung von Müll und die Mitnahme der leeren Batterien nach Hause wurde daher auch am häufigsten als eigener Beitrag zum umweltgerechten Verhalten genannt. Etliche verzichteten auf Mineralwasser aus Plastikflaschen, kochten mit Kerosin, verbrannten ihren Mist und kamen auch ohne heiße Dusche beim Trekken aus.

Weniger Klarheit bestand bei der Kulturverträglichkeit. Die einen gaben bettelnden Kindern "Pen" und "Mi tai" (Süßes), die andern nicht, und beide glaubten richtig gehandelt zu haben. Sitten und Bräuche, soweit bekannt oder erklärt, wurden nach eigener Einschätzung befolgt, ebenso die Kleiderordnung. "Ich habe freundlich zurückgelächelt" berichtet eine 60plus alte Trekkerin aus Deutschland. Und "ich habe versucht, mich dem Leben dort anzupassen", bemerkt ein 40plus alter Österreicher. Kann man mehr von ihnen erwarten?

Der Autor ist Professor für Interkulturelle Kommunikation und Tourismuswissenschaft an der Universität Salzburg sowie Vorsitzender von Öko Himal.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung