Den sanften Kaiserschnitt gibt es nicht

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Der Kaiserschnitt hat nun ein Gesicht: ein neues Buch zeigt nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Narben der Frauen, deren Kinder per Sectio entbunden wurden.

Am Anfang stand der Rückbildungskurs. Zwischen Beckenboden an- und entspannen kamen zwei junge Mütter ins Gespräch und kamen von einem Thema alsdann nicht mehr los: ihren Kaiserschnittgeburten, mit denen beide Frauen seither haderten. Caroline Oblasser und Ulrike Ebner, zwei Salzburgerinnen, beschlossen daraufhin, ein Buch über Kaiserschnitt-Mütter zu schreiben. "Es sollte anders werden als bereits existierende", erzählte Caroline Oblasser, die Projektleiterin, heute.

Also wurde beschlossen, das zu zeigen, was immer ausgeblendet wird: Die Kaiserschnitt-Narbe. Um interessierte Frauen zu finden, wurde eine kleine Anzeige geschalten. Die Reaktion war enorm. Mit dem regen Interesse hatten die zwei Frauen nicht gerechnet. Frauen kamen sogar von weit her, um über ihre Kaiserschnitt-Geburt(en) zu reden, sich nackt auszuziehen und fotografieren zu lassen.

Warum? "Es hat sie bisher niemand gefragt, wie es ihnen geht. Der Leidens- und Mitteilungsdruck muss schon sehr groß sein, wenn beispielsweise eine Frau von Stuttgart anreist, hier auf ihre Kosten übernachtet, um ihre Narbe fotografieren zu lassen", sagt die 30-jährige Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter. Es gehe um Wahrnehmung und Anerkennung des Erlebten, meint auch Anna Rockel-Loenhoff, erfahrene Ärztin und Hebamme aus Unna in Deutschland, die das Buch fachlich lektorierte.

Endlich hatte also jemand die Frauen nach ihrem Empfinden gefragt und die Narben einer großen Bauchoperation dokumentiert, die - so die Wahrnehmung vieler Betroffener und Experten - von Öffentlichkeit und Medien oft bagatellisiert wird. "Es ging uns nicht um eine Schwarz-Weiß-Darstellung, sondern die ganze Bandbreite sollte im Buch Platz finden: Von Traum bis Trauma und alles dazwischen," sagt Oblasser, hochschwanger mit dem zweiten Kind. 162 Frauen berichten im Buch über ihre Erfahrung mit dem Kaiserschnitt (auch zahlreiche geburtshilfliche Experten wurden befragt). 60 Frauen wurden auf ästhetischen Fotos abgelichtet. Es sind kaum sichtbare Narben zu sehen bis hin zu wulstig mächtigen Hautfurchen. Doch das sind die Äußerlichkeiten. Was sich innerlich bei den Frauen abspielte, verrieten die Frauen ebenso; hier einige Ergebnisse der Umfrage: Vor dem ersten Kaiserschnitt hatten sich fast alle - 94 Prozent dieser Frauen - eine vaginale Geburt gewünscht, vor dem zweiten waren es immer noch 84 und vor dem dritten immerhin 48 Prozent. 42 Prozent gaben an, die erste Sectio als Trauma erlebt zu haben, 16 Prozent sagten allerdings, der Kaiserschnitt sei für sie die "ideale Form der Geburt" gewesen. Bei einem Fünftel der Frauen traten während der Operation Komplikationen auf. Jede Dritte litt nach eigenen Angaben an Depressionen nach der Geburt, bedingt durch das fehlende Geburtserlebnis, den späten Erstkontakt zum Kind, Versagens- und Schuldgefühle, nicht zuletzt durch die körperlichen Beschwerden in Folge der Operation. 59 Prozent der Mütter spüren die Narbe auch noch Jahre nach dem Eingriff immer wieder. Jede vierte empfindet sie als "hässlich". Doch das Spektrum der Meinungen ist breit: Manche Frauen empfinden Dankbarkeit und Stolz: "Dieser Narbe habe ich das Leben meiner Kinder und auch mein eigenes zu verdanken." Andere leiden unter der Narbe und Langzeitfolgen: "Sie trennt meinen Körper." "Außen hui - innen pfui."

In den Interviews mit den Frauen sei eines besonders deutlich geworden, erzählt Oblasser: "Die mangelnde Aufklärung vor dem Eingriff." Auch sie selbst hatte sich bis unmittelbar vor der Geburt ihrer Tochter vor zweieinhalb Jahren nicht mit der Möglichkeit einer Sectio-Entbindung auseinandergesetzt. "Es hat mich völlig kalt erwischt. Ich frage mich heute noch jeden Tag, wie es dazu kommen konnte", berichtet sie und bezweifelt die medizinische Notwendigkeit des Eingriffs in ihrem Fall: Nach Einleitung auf geburtsunreifen Muttermund und unnatürlichen aber umso heftigeren Wehen wurde sie völlig erschöpft in den OP gebracht. "Ich hätte nur mal Ruhe gebraucht, mal eine Nacht schlafen, und dann hätte man weiterschauen sollen. Stattdessen fand ich mich im OP wieder, wie am Kreuz liegt man da. Da mühte ich mich stundenlang in den Wehen ab, dann in wenigen Sekunden Schnitt, das Kind ist da." Ein Schock, der lange nachwirkte. "Fremde Leute entscheiden über ihr Schicksal; und das ist die Autonomie der Frau!", fragt sich Caroline Oblasser rückblickend.

Allzu schnell werde das mächtige Argument vorgebracht: "Sie gefährden Ihr Kind." Die Frau habe dann nichts mehr zu melden. Von der gesunden Frau werde man plötzlich zur Patientin und in eine Opferrolle gedrängt. "Sie haben eh ein gesundes Kind, was wollen Sie", so das Argument, das jede Aufarbeitung des Eingriffs erschwert. "Ich habe gedacht, ich tue das Beste für mich und mein Kind, wenn ich ins Krankenhaus gehe; dabei war das der erste Schritt in den OP." Auch Rockel-Loenhoff, die seit 30 Jahren Hausgeburten betreut, kritisiert die Art und Weise, wie heute auf Schwangerschaft und Geburt geschaut wird: Durch die pathologische Brille und unter dem Gefahrenaspekt. "Die Frauen ordnen sich dieser technischen Akribie unter. Es wird versucht, von außen ein komplexes selbstregulierendes System zu kontrollieren."

Das zweite Kind will Oblasser ganz natürlich, ohne unnötige Interventionen mit einer Hebamme ihres Vertrauens gebären. Die Reaktionen auf das Buch waren bisher "nur positiv", meint Oblasser. "Sogar Ärzte, die sich zuvor kritisch über die Idee des Buches geäußert hatten, haben dann gesagt, sie seien entsetzt, sie hätten nicht gewusst, dass Frauen den Eingriff so empfinden würden." bog

DER KAISERSCHNITT HAT KEIN GESICHT

Von Caroline Oblasser, Ulrike Ebner, Gudrun Wesp (Fotos)

edition riedenburg, Salzburg 2007 491 Seiten, brosch., € 35,80

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