Wald - © Foto: Pixabay

"Denk ich an Deutschland"

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Die Patriotismus-Party ist vorbei, aber eine konservative Revolution findet statt.

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Die Patriotismus-Party ist vorbei, aber eine konservative Revolution findet statt.

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Der 9. November gilt in Deutschland als "Schicksalstag". Nicht nur wegen der Judenpogrome des Jahres 1938: Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann in Berlin die Republik aus. Auf den Tag genau fünf Jahre später, 1923, marschierten Nationalisten auf die Münchner Feldherrnhalle und wurden von der Polizei niedergeschossen - der so genannte Hitler-Putsch. Und 1989 war es wieder ein 9. November, als die ostdeutsche Regierung ihren Bürgern Reisefreiheit zugestand und damit das Ende der DDR einleitete.

Nach der Wende kam der 9. November daher als neuer Nationalfeiertag ins Gespräch. Doch vielen war dieses Datum, in dem sich wie in keinem anderen die Brüche und Widersprüche der deutschen Geschichte bündeln, zu negativ besetzt. Deshalb entschieden sich die Volksvertreter nach einiger Diskussion für den unverfänglichen 3. Oktober, an dem 1990 die Wiedervereinigung in Kraft trat. Seither begeht die politische Klasse Jahr für Jahr den 3. Oktober mit pflichtgemäßem Brimborium, und das Volk freut sich über einen arbeitsfreien Tag. Der 9. November hingegen bleibt dem Gedenken des Nationalsozialismus gewidmet.

Die Diskussion seinerzeit ist ebenso wie die Routine des Gedenkens symptomatisch für Deutschlands Geschichtskultur, für das gespaltene Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nationalgeschichte. Der kurze Sommer der Heimatliebe ist längst verweht, die WM mit ihrem schwarz-rot-goldenen Taumel nur noch wehmütige Erinnerung.

Wie früher bedarf es nur kleiner Anlässe, um vergangenheitspolitische Aufregungen zu erzeugen: Im Herbst zog die neonazistische NPD in den Mecklenburger Landtag ein. Günter Grass bekannte sich zu seiner SS-Mitgliedschaft. Eine hessische Gemeinde verordnete ihren Kindertagesstätten Deutsch als Pflichtsprache. Und der Philosoph Jürgen Busche insinuierte jüngst, angeregt durch eine Passage in Joachim Fests Autobiografie Ich nicht, Jürgen Habermas sei in seiner Jugend ein strammer Hitlerjunge gewesen. Jeder dieser Skandale und Skandälchen ließ die alten ideologischen Reflexe einrasten. Seither ist klar, dass es mit dem Patriotismus als allgemeine Dauer-Party so bald nichts werden wird. Der 3. Oktober wurde wie alle Jahre wieder professionell und pflichtgemäß abgefeiert, diesmal in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt Kiel, das nach den Gesetzen des Föderalismus mit der Ausrichtung des Festakts an der Reihe war. Bleibt in Deutschland also alles beim Alten?

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