Denkmäler der Verwandlung

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Die von ihm gestalteten Erinnerungsstätten gehören zu den eindrucksvollsten künstlerischen Orten des Gedenkens. Am 20. August wäre Bogdan Bogdanovic´ 95 Jahre alt geworden. Anlass für eine Würdigung.

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Die von ihm gestalteten Erinnerungsstätten gehören zu den eindrucksvollsten künstlerischen Orten des Gedenkens. Am 20. August wäre Bogdan Bogdanovic´ 95 Jahre alt geworden. Anlass für eine Würdigung.

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Bogdan Bogdanovic´ war eine Ausnahmeerscheinung. Der Intellektuelle, Surrealist, Architekt, Urbanist, Städtebauer, Bildhauer, Literat, Lehrer und zeitweise Bürgermeister von Belgrad blieb - trotz aller Wirrnisse in seiner Lebenszeit - sich und seinem humanistischen Weltbild treu. Er hinterließ ein reiches, vielschichtiges Werk aus Büchern, Schriften, Zeichnungen und Architektur. An die zwanzig Denkmäler erinnern an die Tragik des Balkans. Die genuine, ureigene Denkmalarchitektur von Bogdanovic´ aber schafft gänzlich undogmatische, ideologiefreie Orte zeitloser Schönheit.

Denkmäler und Nekropolen

1922 in eine intellektuelle Belgrader Familie geboren und schon als Schüler für den Surrealismus entflammt, schloss sich Bogdan Bogdanovic´ im Zweiten Weltkrieg den jugoslawischen Partisanen an. Nach Kriegsende studierte er in Belgrad Architektur und beteiligte sich 1951 an einem Wettbewerb für ein Denkmal auf dem dortigen sephardischen Friedhof. In seinem lesenswerten Buch "Der verdammte Baumeister" schildert er, wie es entstand. Ein Kollege fragte ihn kurz vor der Abgabe nach seiner Idee -um sich keine Blöße zu geben, imaginiert er einen Entwurf, der ihm im Moment des Erzählens zugefallen war. Zu Hause zeichnete er ihn auf und siegte: Der Anfang seiner einzigartigen Karriere als Spezialist für Denkmäler und Nekropolen.

Bis heute schreitet man auf diesem Weg am sephardischen Friedhof, der mit einer steinernen Schale beginnt und zwischen Trompetenbäumen auf ein Pylonenpaar zuläuft, metaphorisch vom Leben zum Tod und vielleicht darüber hinaus. Die rund gebogenen, 10,5 Meter hohen Pylonen aus Stein erinnern an Flügel oder die Tafeln der zehn Gebote. Der junge Architekt wollte sie in Beton ausführen, die jüdische Gemeinde beharrte auf Stein: Also ließ Bogdanovic´ den Betonkern mit Steinen verkleiden, die wie eine Bordüre aussehen. In die niedrige Mauer, die den Weg einfasst, sind Spolien aus der alten jüdischen Gemeinde eingearbeitet. Erstmals begegnete der junge Atheist hier der "Parallelwelt des sakralen jüdischen Symbolismus", die ihn faszinierte und lebenslang nicht mehr loslassen sollte. In diesem seinem ersten Denkmal wurde am 28. September 2010 seine Urne bestattet.

"Bogdanovic´ war ein Zeitreisender durch die Epochen, er hat sich selbst als Mensch aus dem 19. Jahrhundert bezeichnet", so Stadtplaner Reinhard Seiß, der heuer auf den Spuren seines Dokumentarfilms "Architektur der Erinnerung -Die Denkmäler des Bogdan Bogdanovic´" eine Exkursion der Architektenkammer zu denselben leitete. "Ich selbst konnte bis zu meiner Begegnung mit ihm mit der Gattung des Denkmales nichts anfangen." Das änderte sich danach schlagartig. Die Denkmäler und Gedenkstätten gegen Faschismus und Militarismus von Bogdanovic´ lassen mehr an Landschaftsgärten, Parks oder antike Kultstätten denken. Falsches Pathos ist ihnen fremd. In der Form archaisch, in der Anlage komplex, in der handwerklichen Ausführung aufwändig, oft aus Naturstein gefertigt und von Steinmetzen behauen, rühren diese Stelen, Tore und figurhaften Skulpturen an das Ewige, ohne furchterregend zu wirken.

"Den Toten eine Blume"

"Die Gedenkstätten des Urbanisten, Architekten, Bildhauers und Schriftstellers Bogdan Bogdanovic´ sind mit dem Vokabular heutiger Architekturtheorie nicht oder kaum zu beschreiben", so Friedrich Achleitner in seinem Buch "Den Toten eine Blume", das er den Denkmälern von Bogdanovic´ widmete. Es verdankt sein Zustandekommen einem Versprechen am Totenbett. "Seine übernationalen, multiethnischen und transreligiösen, dem Leben zugewandten Erinnerungsstätten gehören heute zu den eindrucksvollsten in die Landschaft eingeschriebenen künstlerischen Orten des Gedenkens der europäischen Kultur, auch sind sie Plätze der Ermutigung für neues Zusammenleben der Ethnien, Nationalitäten, Religionen und Regionen. Diese Denkmäler, Gedenkstätten, Mausoleen und Nekropolen sind, auch wenn sie oft von gebannten Monstern belagert werden, positive, der Zukunft und dem Leben zugewandte, aber auch aus der Zeit hinausweisende Orte."

In Krus evac wurden etwa 600 Antifaschisten und Geiseln von deutschen Besatzern und serbischen Kollaborateuren hingerichtet. Bogdan Bogdanovic´ entwarf hier einen Ort für die Lebenden und die Toten: Man betritt ihn durch einen großen, nach oben hin offenen, runden Stein, der in einem Erdwall steckt und einen kleinen Vorplatz bildet. Zwischen zwei Hügeln geht es auf eine weite, sacht geschwungene Wiese, die von einem Wäldchen gerahmt wird. Die schöne, grüne Lichtung ist von zwölf schmetterlingsartigen, kunstvoll verzierten Geschöpfen aus Stein bevölkert, deren weiche Form sich wunderbar zum Sitzen und Liegen eignet. Sie lassen sich auch als Maulwürfe, Hörner, Vögel oder andere Wesen deuten. In jedem Fall wirken sie friedlich und bilden einen sachten Bogen, der zwischen den einzelnen Skulpturen immer wieder neue Bezüge herstellt.

Die zweite Mulde in dieser künstlichen Landschaft war früher als antikes Theater ausgeführt und wurde oft für Veranstaltungen genutzt. Dieses "Tal der Lebenden" ist inzwischen mit Gras überwuchert, als Abdruck aber immer noch zu erkennen. Vögel zwitschern, ständig passieren Spaziergänger und Jogger das runde Tor zur Welt der Lebenden und Toten.

Jasenovac war eine Stätte des Grauens. Hier hatte die Ustascha auf dem Gelände einer alten Ziegelei jugoslawische Antifaschisten aller Art brutal ermordet. Vom Lager blieb nichts, die Zahl der Todesopfer schwankt zwischen 80.000 und 800.000. Die meisten Leichen sollen einfach in die Save geworfen worden sein. "Jasenovac war wahrscheinlich der letzte Richtplatz in Europa, der durch nichts an seine Vergangenheit erinnerte", schreibt Bogdanovic´ in "Der verdammte Baumeister." Er verweigerte sich der Heraufbeschwörung grauenhafter Massaker und entwarf ein Denkmal wie eine Blume aus Beton. Fast dreißig Meter hoch ist sie von weiter Ferne schon zu sehen. Bei der Eröffnung liefen zehntausende schwarz betuchte Frauen und andere Betroffene weinend über das Feld auf das Denkmal zu. Später kam ein Museum mit Atrium dazu (Architekt Petar Vovk, 1968). Am Vorplatz ist der Bau der Blume dokumentiert. Auf einem Bahndamm mit morschen, ungleichen Schwellen schreitet man in leichtem Bogen auf die Blume zu. Der Bogen rahmt einen Teich. Die Hügel in der Landschaft wurden dort aufgeschüttet, wo Teile des Lagers standen. Am Horizont erhebt sich die Blume, die klein aus dem Modell ragt und sich im Wasser spiegelt. Sie verändert sich im Lauf der Annäherung zu dem Hügel, auf dem sie steht. Ihre Wurzeln bilden eine Krypta, deren klare Akustik alle Geräusche der Außenwelt verstärkt. Mystisch.

Gedenkstätte als Denkstätte

"Die Gedenkstätte in Jasenovac ist vor allem eine Denkstätte. Es ist nicht möglich, diesen Ort unbeeindruckt zu durchwandern und verlassen. Und alle Symbole und Metaphern, die man zu erkennen vermeint, werden zum Schluss in eine der einfachsten Gesten des Menschen gegenüber einem Toten zusammengefasst: Er legt oder stellt ihm eine Blume aufs Grab. Bogdan Bogdanovic´ hat den Toten von Jasenovac eine riesige Blume in die Landschaft gestellt", schreibt Friedrich Achleitner in "Den Toten eine Blume". In diesem Buch ist auch der Gedenkpark Dudik für die Opfer des Faschismus in Vukovar, Kroatien dokumentiert. Achleitners Fotos zeigen das Denkmal stark zerstört. Diesen Sommer waren die fünf großen, 18 Meter hohen Kegel mit ihren leuchtenden Kupferblechspitzen wieder renoviert. Zwar waren sie mit Graffiti besprayt und lagen verdorrte Kränze am Boden. Die siebenundzwanzig kleinen, gestalthaften Schiffchen, die sich wie eine Herde im Gras vor den Kegeln verteilen, aber leuchteten warm im Licht der Abendsonne.

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