Der 25. Juli 1934 - nach 40 Jahren

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Notizen zu TV- und Pressedokumentationen.Kurt Schuschnigg die furche 10. 8. 1974

Überraschend wirkt, daß die Frage, ob Mord oder "unglücklicher Zufall" für den Tod von Kanzler Dollfuß als offenstehend bezeichnet wird. In seinem Schreiben an Herrn von Papen, datiert Bayreuth, 26. Juli 1934, bemerkt Hitler, daß "das Attentat gegen den österreichischen Bundeskanzler ... von der deutschen Reichsregierung auf das schärfste verurteilt und bedauert wird". [...]

Im Grunde ein makabres Spiel um Worte; und zwar, so wie die Dinge liegen, juristisch sowohl, wie auch politisch, historisch. Selbst wenn der erwiesenermaßen unbewaffnete Dollfuß, ja selbst wenn er bewaffnet gewesen wäre, sich gegen den wehrt, der mit erhobener Pistole gegen ihn eindringt, und dabei ums Leben kommt, wurde er dann nicht ermordet? Aber von Interesse ist wohl nur, ob sich hieb- und stichfest erweisen läßt, daß der Mord - in der offiziellen Diktion hieß es die "Beseitigung" - des Kanzlers Dollfuß vorbedacht in die Planung des Putsches einbezogen war. Und dafür spricht nach der Aktenlage wohl sehr viel mehr, als dagegen. [...]

Und schließlich noch ein Wort zu heute gängiger politischer Münze, an die ein Filmkommentar erinnerte: Mit Stahlhelmen und Gewalt lasse sich auf die Dauer nicht regieren. Das stimmt natürlich genau und wurde bekanntlich schon von Metternich gegenüber Napoleon in seinem Bajonetten-Ausspruch vermerkt. Dennoch hat es vorher und nachher - und in den verschiedenen Nationen - wiederholt Ausnahmesituationen gegeben, die Episoden blieben, und - als Roßkur, wenn man so sagen will - für die innere Gesundung und Besinnung später mehr beigetragen haben, als man nachträglich zuzugeben bereit ist.

Was nicht stimmt, ist, daß irgendein politisches System oder irgendeine Staats- oder Gesellschaftsform damals, nämlich 1934 oder 1938, die vorübergehende Entwicklung im gespaltenen Europa, wie es nun einmal damals war, ändern oder auch nur bremsen konnte. Beweis? Die tschechoslowakische parlamentarische Demokratie; das Oberstenregime in Polen; die Königsdiktaturen in anderen Staaten. Oder auch Finnland in seinem Verhältnis zu Sowjetrußland. [...]

1934 ist überhaupt nicht nur in Österreich ein Jahr des Unheils gewesen. In Paris war es im Februar zu blutigem Aufruhr und zum Sturz der Regierung gekommen. Sechs Tage später brach der Februaraufstand in Wien aus, dessen Tragik und paralysierende Wirkung in all den 40 Jahren nachher lebendig blieb. Im Herbst des gleichen Jahres hatte der Mord am jugoslawischen König Alexander und am französischen Außenminister Barthou die Weichen für düstere Zeiten gestellt. Aber auch den usa, in Japan und China, standen die Zeiger auf Mordtat und Gewalt. Die heile Welt, so es eine solche je gab, war aus den Fugen geraten. Auch wenn noch kaum jemand es wahrhaben wollte, daß eine Wegstrecke von kurzen fünf Jahren 1934 vom Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und von weiteren sechs langen Jahren von dessen Ende trennte. Alte Monumente stürzten; die neuen hießen vorerst Stalin und Mao Tse-tung. [...]

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