Der alte Henker geht in Pension

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Claus Peymann inszenierte Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" zwar etwas brav, aber dafür immerhin authentisch.

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Claus Peymann inszenierte Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" zwar etwas brav, aber dafür immerhin authentisch.

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Wieder einmal behält der Autor gegen den Regisseur recht. Beim Autor zieht Vera ihrem an Heinrich Himmlers Geburtstag vom Herzschlag gefällten Bruder Rudolf wenigstens einen Teil der SS-Uniform aus und läßt die Sachen ebenso wie das Himmlerbild verschwinden und ruft erst dann den Arzt. Der Regisseur aber läßt sie bloß eine Decke über den Bruder breiten und sie ansonsten hin und her rennen wie ein aufgescheuchtes Huhn. Der Schluß des Autors wäre um Klassen besser als der des Regisseurs. Ansonsten freilich läßt der Autor den Regisseur allein.

Nun ja, er heißt schließlich Thomas Bernhard und ist tot. Der Regisseur aber hat die Probleme am Hals, denn das Stück ist zwar angejahrt, aber noch nicht klassisch, und noch immer so irgendwie aktuell, aber so, wie es ist, nicht mehr wirklich. Und da er Claus Peymann heißt und vor 20 Jahren schon die Uraufführung des Stücks "Vor dem Ruhestand" inszenierte, ist er nicht zu beneiden. Er hat einen Ruf als Bernhard-Regisseur zu verteidigen, doch fehlt ihm - ähnlich wie in der Vorwoche Achim Benning für Schnitzlers "Weites Land" - die wichtigste Voraussetzung für eine große Regiearbeit, nämlich die Fähigkeit, auf Distanz zum Text zu gehen und ihn in einer veränderten Welt neu zu lesen.

Angesichts solcher Handikaps zog sich Peymann aber respektabel aus der Affäre, und wenn ihm auch keine große Regiearbeit gelang, eine überzeugende wurde es allemal. Daß Traugott Buhre mit dem Hintern zwischen die Eiswürfel fällt statt mit dem Kopf auf den Tisch, stört dabei weniger als die Sprechtechnik von Eleonore Zetzsche (Vera), die ihren Text über weite Strecken so spricht, als wäre das Publikum verpflichtet, ihn auswendig zu kennen.

"Vor dem Ruhestand" wirft auf poetische wie auch nach wie vor bühnenwirksame Weise ein Licht in Denken und Befindlichkeit einer bestimmten Kategorie unverbesserlicher alter Nazis, die nicht an den Stammtischen krakeelten, sondern Opern und Konzertsäle bevölkerten, die selbstverständlich nicht in der "plebejischen" SA, sondern in der "noblen" SS gewesen waren, die nach dem Krieg nahtlos ihre Karrieren fort- und sowohl in Deutschland als auch in Österreich genug Schlüsselpositionen besetzten, um massiv auf das Klima im Lande einwirken zu können.

Bernhards Stück spielt unmittelbar vor dem Übertritt des Gerichtspräsidenten und ehemaligen SS-Offiziers Rudolf Höller in den Ruhestand, also in jener Phase, in der die NS-Relikte und die niemals zur Rechenschaft gezogenen Schuldigen aus dem öffentlicghen Leben verschwanden. Bernhard war ein Virtuose des Zuhörens und der Kunst, Geistesmief in Sprache zu gießen, in dichterische Sprache, realistisch, doch fern jedem Naturalismus, und ein unerbittlicher Milieuzeichner, vor allem jenes Milieus der unerbittlichen Pflichterfüller, der kulturbeflissenen, der Musik hingegebenen Massenmörder, eben, die Figur hat wenig Zufälliges an sich, der Nachkommen der angeblichen Dichter und Denker, der Richter und Henker. Durch die Anwesenheit der nach einem Bombenangriff gelähmten Clara wird das Naziidyll in der vor sich hinbröckelnden Villa zur Familienhölle. Nur fallweise am Wort, doch stets präsent: Kirsten Dene.

Eine gewisse leichte Verstaubtheit der Aufführung ist zugleich ihr Plus. Peymann setzt auf das Wort, auf die Ausstrahlung der Schauspieler und erlaubt sich kein modisches Mätzchen. Thomas Bernhard wird noch nicht neu gesehen. Aber noch einmal authentisch.

Der alte Nazi und seine Schwester blättern allerdings gar zu ausführlich im verräterischen Fotoalbum. Hier hätte gekürzt gehört.

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