Der Bahnhof als Anziehungspunkt

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Die Eisenbahn: ein aufwendiges Transportsystem mit beachtlichen Möglichkeiten der Nutzung, die vielerorts wenig in Anspruch genommen werden. Wieso eigentlich? Nicht zuletzt deswegen, weil die Bahnhöfe und deren Einbindung in die Umgebung vielfach nicht kundengerecht sind.

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Die Eisenbahn: ein aufwendiges Transportsystem mit beachtlichen Möglichkeiten der Nutzung, die vielerorts wenig in Anspruch genommen werden. Wieso eigentlich? Nicht zuletzt deswegen, weil die Bahnhöfe und deren Einbindung in die Umgebung vielfach nicht kundengerecht sind.

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Der VCÖ Verkehrsclub Österreich untersuchte 1998 im Auftrag des Amtes der oberösterreichischen Landesregierung vier Bahnhöfe und erarbeitete Empfehlungen, um diese attraktiver zu machen. Dabei zeigte sich, daß die tatsächliche Nutzung von Bahnhöfen und deren Kundenpotential weitgehend unerforschte Themen sind.

Beide Themen kommen erst dann zur Geltung, wenn wir die Bahn nicht mehr als ein von allem anderen losgelösten Inselbetrieb, sondern als Organismus begreifen, der in Symbiose mit seiner Umgebung lebt. Wie intensiv diese Symbiose ist, hängt weitgehend davon ab, wie der Bahnhof selber, ihre Umgebung und die Übergänge dazwischen gestaltet sind.

Der VCÖ schätzt, daß jährlich 25 Millionen Bahnfahrten mehr in Österreich zustandekämen, wenn Bahnhöfe und Bahnhaltestellen serviceorientiert gestaltet und die zugehörigen Zugangs- und Umsteigewege verbessert würden.

Bahnhöfe attraktiver für Fußgeher machen Der größte Teil dieses Fahrgastzuwachses wäre durch kürzere und komfortablere Gehwege zu Bahnhöfen zu erzielen (österreichweit bilden die Fahrgäste, die schon jetzt zu Fuß zum Bahnhof kommen, eine relative, vielleicht sogar die absolute Mehrheit der Bahnkunden). Pro investierter Million Schilling sind in Städten durch Abkürzungen beim Gehen (etwa Brücken, Unterführungen und neue Bahnsteigzugänge) rund fünfzehnmal mehr neue Fahrgäste zu gewinnen als durch den Bau von Garagen beim Bahnhof.

Neue Fahrgäste lassen sich ebenfalls bei annehmbaren Investitionskosten gewinnen, wenn überdachte und beleuchtete Fahrrad-Abstellanlagen an Bahnhöfen und Bahnhaltestellen errichtet werden.

Auch steigt die Aufenthalts- und Servicequalität von Bahnhöfen beträchtlich, wenn bahnfremde Funktionen hinzukommen. Gerade die großen Bahnhöfe sind attraktive Standorte für Handel und Gewerbe. Auf kleinen Bahnhöfen kann das Personal zusätzliche Aufgaben im Bereich des Einzelhandels (Trafik, Lebensmittel) oder andere Dienstleistungen (Bank, Post, Fremdenverkehrsinformation) übernehmen.

Häufig finanziert die öffentliche Hand die Errichtung von Pkw-Abstellplätzen an Bahnhöfen in der Annahme, diese werden Autoinsassen zu Bahnkunden werden lassen. Die Rechnung kann in ländlichen Gebieten an Auspendler-Bahnhaltestellen aufgehen, wo sich der Pkw als Zubringer zur Bahn nützlich macht und die Abstellplätze verhältnismäßig wenig kosten.

Je teurer aber der Boden und je weniger Platz vorhanden ist (Tiefgaragen!), desto fragwürdiger diese Strategie. An Einpendler-Bahnhöfen wie Krems und Steyr ging sie an den Bedürfnissen der meisten Bahnkunden vorbei - und dennoch waren jeweils um die 100 Millionen Schilling weg.

Am Hauptbahnhof in Linz sollen in den nächsten Jahren insgesamt 1.700 unterirdische Pkw-Abstellplätze errichtet werden - eigentlich ein Schlag gegen die innerstädtischen und regionalen öffentlichen Verkehrsmittel. Sie werden als Zubringer zum Bahnfernverkehr dadurch abgewertet, daß die Parkplatznot an diesem wichtigen Knotenpunkt künftig entfallen wird. Hier wird das Autofahren subventioniert, weil eine allfällige Bewirtschaftung dieser Abstellplätze niemals deren Errichtungs- und Betriebskosten decken wird.

Autofixierte Planer und Entscheidungsträger übersehen in solchen Fällen eine wichtige Tatsache: Dieselben Geldmittel bringen wesentlich mehr neue Bahnkunden, wenn sie so investiert werden, daß sie den jeweiligen Bahnhof für Fußgänger, Radfahrer und Benutzer anderer öffentlicher Verkehrsmittel zugänglicher machen. Bei der VCÖ-Untersuchung von vier oberösterreichischen Bahnhöfen stellte sich heraus, daß rund zwei Drittel der Bahnkunden den jeweiligen Bahnhof zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen. Und ähnliches gilt für sehr viele kleinere Städte und Orte in Österreich.

Das von Planern meist als nebensächlich eingestufte Gehen ist in Wirklichkeit die wichtigste Verkehrsart beim Zugang zum Bahnhof und wird es auch bleiben. Radfahren (dessen Potential ebenfalls unterschätzt wird) hat den Vorteil, daß es gegenüber Gehen den Einzugsbereich des Bahnhofs verzehnfacht.

Für beide Verkehrsarten gilt: Umwegfreie Verbindungen zum Bahnhof ohne Hindernisse wie etwa Ampelschaltungen, die den Kfz-Verkehr bevorzugen, oder Stiegen machen die Bahn attraktiv. Beim Radfahren sind darüber hinaus funktionsgerechte, d. h. witterungs- und diebstahlsichere Abstellanlagen wichtig.

Um die Bahn attraktiver zu machen, ist folgende Priorität beim Zugang zum Bahnhof zu beachten: * Fußgänger (hier ist besonders den Bedürfnissen von Personen mit Kinderwagen oder schwerem Gepäck und Rollstuhlfahrern Rechnung zu tragen), * Öffentlicher Verkehr und Radfahrer, * Motorisierter Individualverkehr, * Lkw-Zubringerverkehr zum Bahnhof.

Die Zugänge sollen nicht nur direkt und hindernisfrei zum Bahnhof führen, sondern auch die Benutzer ansprechen. Verkehrsteilnehmer sind bereit, durch eine als angenehm empfundene Umgebung wesentlich weiter zu gehen, als wenn die Umgebung abstoßend wirkt.

Eine angenehme Umgebung weist Bäume und andere Grünelemente sowie Geschäfte und Lokale (insgesamt eine attraktive Bebauung) auf. Sie ist durch Menschen belebt und wirkt subjektiv sicher. Wenn der Weg zum Bahnhof diese Bedingungen erfüllt, hat die Bahn mehr Kunden.

Eine wichtige Rolle spielen auch die Aufenthaltsqualität und das Service. Heute wirken aber viele Bahnhöfe kahl und deprimierend. Dagegen kann man etwas unternehmen. Bahnhöfe können nämlich sauber, übersichtlich und gut beleuchtet sein. Sie können Witterungsschutz, Sitzgelegenheiten, einen geheizten Warteraum bieten.

Besetzte Bahnhöfe sind immer attraktiver als unbesetzte. Kunden sollen während der Bedienungszeiten möglichst durchgehend Auskünfte erhalten, Fahrkarten kaufen, Gepäck aufgeben und abholen können. Ein Info-Point mit Bahn- und Busfahrplänen, Tarifinformation, Streckennetzplan und aktuellen Angeboten sowie Angaben zur Umgebung (Unterkünfte, Gastronomie, Stadtplan beziehungsweise Plan der Region, Radroutenübersicht) ist eine verhältnismäßig billige Möglichkeit, Kunden zu betreuen. Wegweiser zu wichtigen Zielen für Fußgänger und Radfahrer am Bahnhofsvorplatz sind es ebenfalls.

Auch sollten am Bahnhof Einkaufs- und Verpflegungsmöglichkeiten vorhanden sein: Je nach Bahnhofsgröße Speisen- und Getränkeautomaten, ein Kiosk mit Zeitungen und Tabakwaren, ein Lebensmittelgeschäft, ein Lokal mit warmer Küche. Telefonzellen und Postkasten sind unentbehrlich.

Was aber tun, wenn der Erlös aus dem Fahrkartenverkauf die Personalkosten eines besetzten Bahnhofs nicht deckt? Der Bahnbetreiber kann natürlich das Personal durch einen Fahrkartenautomaten ersetzen. Das entlastet seine Finanzen, gewinnt aber keinen einzigen neuen Fahrgast. Das Personal kann aber auch bahnfremde Tätigkeiten übernehmen, etwa den Verkauf von Erfrischungen oder andere Dienstleistungen. Das belebt den Bahnhof und steigert in der Regel die Fahrgastzahlen.

Privatpersonen als Stationshalter Seit zehn Jahren verfolgen die Schweizer Bundesbahnen (SBB ) diese zweite Strategie. Inzwischen betreiben selbständige Stationshalter rund ein Dutzend Bahnhöfe, welche die SBB aus finanziellen Gründen nicht mehr besetzen wollten. Der Stationshalter mietet die Räumlichkeiten von den SBB und verkauft Fahrkarten auf Provisionsbasis.

Darüber hinaus führt er ein Reisebüro, betreibt ein Copycenter, verkauft Fahrradzubehör oder bietet Kaffee und Lebensmittel an. Auch die Kombination Fahrkartenverkauf plus Post- und Bankleistungen kommt vor.

Der gemeinsame Nenner: Der Bahnhof erhält zusätzliche Funktionen, Bahnkunden können allfällige Wartezeiten für Erledigungen nutzen und Passanten haben einen Grund, den Bahnhof aufzusuchen, auch wenn sie nicht gerade wegfahren wollen. Der Bahnhof lebt also auf, ohne daß der Bahnbetreiber finanziell belastet wird - eine Lösung, die auch in Österreich auszuprobieren wäre.

Anfang 1998 ließen die Österreichischen Bundesbahnen ein ehrgeiziges Investitionsprogramm zur Aufwertung ihrer Bahnhöfe vom Stapel. Bis zum Jahr 2004 sollen etwas mehr als acht Milliarden Schilling in die 43 meistfrequentierten österreichischen Bahnhöfe und in rund 50 Haltestellen gesteckt werden. Was soll damit erreicht werden?

Seit 1992 sind die ÖBB angehalten, nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu agieren. Sie halten Güterverkehr für wesentlich gewinnträchtiger als Personenverkehr. Die Bahnhofsoffensive zielt daher unter anderem darauf, Bahnhöfe für den Güterverkehr durchlässiger zu gestalten.

Die Bahn muß mehr kooperieren Ein zweites Ziel: Dort, wo hohe Mieten zu erzielen sind, Liegenschaften der ÖBB besser zu verwerten. Auch architektonisch wollen die ÖBB mehr aus den großen Bahnhöfen machen. Als "Drehscheiben des öffentlichen Verkehrs und hochfrequentierte Verkehrsknotenpunkte" (Zitat aus einer ÖBB-Broschüre) sollen sie "beste Serviceleistungen ... mehr Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe ... kompromißlose Sicherheit und Sauberkeit" bieten.

Die Bahnhofsoffensive könnte grundsätzlich dazu führen, daß die Züge der ÖBB wesentlich mehr Fahrgäste befördern. Die Chancen steigen, wenn andere Organisationen mit den ÖBB an einem Strang ziehen. Um ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erzielen, ist es erforderlich, daß mehrere Verbündete - die Bahn, die Gemeinden, andere Verkehrsunternehmen - gemeinsam ein Maßnahmenpaket abstimmen und umsetzen.

Und damit das Ergebnis wirklich kundengerecht wird, ist es ratsam, in einem möglichst frühen Stadium die Kunden des Bahnhofs zu Rate zu ziehen. Diese wissen mehr als sonst jemand über ihre Bedürfnisse.

Die Bahnhofsoffensive soll also am jeweiligen Standort die Gemeinde, andere Verkehrsunternehmen (falls vorhanden) und Bahnbenutzer einbeziehen. Der so aufgewertete Bahnhof kann dadurch merklich attraktiver und nützlicher werden.

Der Autor ist selbständiger Verkehrsberater und erarbeitete Mobilitätspläne und Verbesserungsvorschläge für Unternehmen, Gemeinden und Basisinitiativen.

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