Der Balkan und seine Religionen

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Am Balkan stellt die multireligiöse Gesellschaft eine Herausforderung dar. Ein Vorlesungsreihe an der Universität Graz nähert sich diesem Thema.

Innerhalb der riesigen Balkanhalbinsel gibt es unterschiedliche Kulturen, eine große Religionsvielfalt (vor allem Christentum – orthodoxe, katholische und protestantische Konfessionen –, Islam und einige jüdische Gemeinschaften) sowie diverse Sprachgemeinschaften. Einerseits gibt es eine faszinierende Mischung kultureller Traditionen, in Literatur, Musik, Küche, in Sitten, im Handel: eine Verbindung, die zum Beispiel auch in multireligiösen Wallfahrtsorten zum Ausdruck kommt. Andererseits findet man Spannungen und zahlreiche Konflikte vor. Zur Erklärung dieser Konflikte werden oft religiöse Faktoren und kulturelle Sonderheiten genannt. Es existiert eine Tendenz, nachweisen zu wollen, dass die eigene Religionsgemeinschaft und die eigene ethnische Gemeinschaft Recht haben. Zahlenmäßig sind die wichtigsten Religionsgemeinschaften im Südosten Europas heute die Orthodoxie, der Katholizismus und der Islam. Bis zum Zweiten Weltkrieg existierten blühende jüdische Gemeinschaften, sie wurden jedoch von den Nazis und von den mit ihnen befreundeten Regimes großteils ausgerottet.

Noch nicht „gut entwickelt“

Ökumenische und interreligiöse Beziehungen sind im Balkan noch weit davon entfernt, gut entwickelt genannt werden zu können. Auf der einen Seite gibt es Toleranz, Gastfreundlichkeit, gelegentliche Begegnungen der Leiter der Religionsgemeinschaften und eine gewisse Zusammenarbeit. Auf der anderen Seite sind konfessioneller Fundamentalismus und Unkenntnis über die anderen Konfessionen und Religionen weit verbreitet. Allerdings scheint mir der performance record vieler Balkanländer in diesem Bereich nicht schlechter als in den meisten anderen Ländern der Welt.

Die katholischen und die protestantischen Glaubensgemeinschaften werden, so unbedeutend die Anzahl ihrer Anhänger/innen im Süd- und Ostbalkan auch sein mag, dort oft noch mit großem Argwohn beobachtet. Wichtige Gründe dafür sind die Geschichte der westkirchlichen Missionstätigkeit sowie die enge Verbindung zwischen orthodoxer Kirche und bulgarischer bzw. griechischer, rumänischer und serbischer Nation. Die Orthodoxie wird als Hüterin von Moral und nationalen Werten, die vor Multikulturalität, religiösem Pluralismus, ausländischen „Sekten“ und dem Islam geschützt werden müssen, angesehen. Gleichwohl kann die enge Verbindung zwischen Orthodoxie und einzelnen Balkanvölkern auch als ein interessantes Resultat der Inkulturierung des Christentums angesehen werden. Dadurch wurden viele spezifische beliebte religiöse Riten hervorgebracht, besonders bezüglich der Verehrung von „Nationalheiligen“ wie des hl. Ivan von Rila in Bulgarien und des hl. Sava in Serbien).

Auch in anderen Ländern, etwa in Kroatien, bestehen enge Beziehungen zwischen Religion und Nation: in diesem Fall zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem Dasein als Kroate. Einige katholische Kreise haben übrigens sowohl Nachholbedarf im Bezug auf die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils als auch hinsichtlich der Einsicht, dass die orthodoxe und die katholische Kirche „Schwesterkirchen“ und gemeinsame Zeuginnen des Evangeliums sind.

Allerdings waren auch westeuropäische Länder jahrhundertelang von einer engen Beziehung zwischen Kirche und Nation gekennzeichnet. Zudem wurde die schlimmste Rassenideologie des 20. Jahrhunderts – inklusive der Ermordung des Großteils des europäischen Judentums sowie des Umbringens unzähliger Roma und anderer Menschen – nicht im Balkan, sondern im Deutschen Reich kultiviert und durchgeführt. Dass aber der Balkan nicht völlig dagegen gefeit war, zeigt zum Beispiel das kroatische KZ Jasenova´c, wo während des Zweiten Weltkrieges hunderttausende orthodoxe Serb/inn/en umgebracht wurden.

Im Allgemeinen bewirken jedoch bessere Ausbildung, die lockende Mitgliedschaft in der EU und mehr Reisemöglichkeiten auch, dass viele Bewohner der Balkanhalbinsel allmählich anders über Westeuropa denken. Außerdem betrachten viele junge Menschen ihre traditionelle orthodoxe bzw. katholische Kirche oder ihren Islam oft als „zu konservativ“ oder „versteinert“.

Der Vergleich zwischen den meist friedvollen christlich-islamischen Beziehungen wie in Bulgarien und den blutigen Konflikten in Bosnien, Mazedonien oder im Kosovo zeigt, dass interreligiöse und interethnische Toleranz am Balkan nicht selbstverständlich und äußerst wertvoll sind. So ist das bulgarische Modell der Koexistenz zwischen Christentum und Islam wertvoll, auch weil es zeigt, dass der Islam wesentlich zur europäischen Identität gehört. Wahrscheinlich sollte man doch gleichzeitig nüchtern feststellen, dass auch in Bulgarien die interreligiöse Toleranz eher einen negativen, passiven als einen positiven, aktiven Beigeschmack hat. Die jeweiligen Leiter der Religionsgemeinschaften und viele Gläubige koexistieren pragmatisch, achten aber gleichzeitig sehr genau auf das Bewahren der Unterschiede. Wie in anderen europäischen Ländern sind die Beziehungen zwischen der islamischen und der übrigen Bevölkerung oft delikat und ambivalent.

Die notwendige Religionsfreiheit

Das große gemeinsame Leid aller Religionsgemeinschaften in den Ländern Südosteuropas während der kommunistischen Diktatur sollte als Brücke zu einem gemeinsamen Verständnis dienen, und nicht zu einer Bewegung in Richtung Isolation führen. Denn Religionen sollten nicht damit beschäftigt sein, für nationale Interessen und Belange der dominanten, traditionellen Religion zu kämpfen. Individuelle Religionsfreiheit ist ebenso notwendig: Sie ist ein äußerst kostbares Gut, das nicht immer als solches in den Kirchen und Religionen angesehen wird. Offenheit, Respekt anderen religiösen Überzeugungen gegenüber sowie ökumenische und interreligiöse Bildung sind eine conditio sine qua non in einer multireligiösen Gesellschaft.

* Der Autor ist Prof. für Liturgiewissenschaft und UNESCO-Prof. für Balkanstudien an der Uni Graz

Der Balkan: Gesellschaft, Kultur & Religion

Religion am Donnerstag – Öffentliche Vorlesungsreihe der Universität Graz

15., 29. Okt.; 12., 26. Nov.; 10. Dez.; 14., 28. Jänner – jeweils 19 Uhr s.t., Universitätszentrum Theologie, 8010 Graz, Heinrichstr. 78, Hörsaal 47.01

Veranstaltung in Kooperation mit der FURCHE. Infos: www-theol.uni-graz.at

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